40 Jahre Nationalpark Bayerischer Wald
Vor genau vier Jahrzehnten wurde eine kühne Idee des Bund Naturschutz (BN) Wirklichkeit: Deutschlands erster Nationalpark, im Bayerischen Wald. Der Grundstein für die natürliche Entwicklung eines mitteleuropäischen Waldökosystems war damit gelegt und die Voraussetzung zur Entstehung einer Waldwildnis im Herzen Europas geschaffen. Trotz gesellschaftspolitischer Hürden die zu überwinden waren, zahlreichen Kompromissen und Widerständen gegen das Ziel „Natur Natur sein lassen“, ist der Nationalpark heute ein einmaliges Highlight der biologischen Vielfalt. „Der Mut zum Nichtstun und ohne lenkende Eingriffe des Menschen den natürlichen Prozessen freien Lauf zu lassen, ist für die Bewahrung der Arten- und Lebensraumvielfalt in der heutigen Zeit wichtiger denn je“, sagte Hubert Weiger, der Vorsitzende des BUND und Landesvorsitzende des BN. Naturereignisse wie Windwurf oder Schneebruch sind zusammen mit Insekten- und Pilzbefall wesentliche Faktoren der natürlichen Waldentwicklung in einem Nationalpark. „Und gerade der Borkenkäfer hat sich als eine Schlüsselart dieser dynamischen Prozesse des Waldumbaus sowie für die darauf angewiesenen seltenen und gefährdeten Arten erwiesen“, so Weiger. Die Naturzonen und damit die Wildnisentwicklungsflächen müssen deshalb auch im Erweiterungsgebiet des Nationalparks so schnell wie möglich vergrößert werden.
Der Bund Naturschutz (BN) hat damals, vor 40 Jahren, maßgeblich zur Gründung des ersten deutschen Nationalparks beigetragen und seine Weiterentwicklung bis heute kritisch und konstruktiv begleitet. Das Schutzgebiet ist aber nicht nur für die Natur von herausragender, europäischer Bedeutung, sondern auch ein Aushängeschild und Alleinstellungsmerkmal des Tourismus in der Region.
Der Nationalpark war und ist ein zentraler Impulsgeber der wirtschaftlichen Entwicklung im Bayerischen Wald und trägt zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen bei. Viele der Besucher kommen gerade wegen der für Mitteleuropa einmaligen Waldentwicklung die sie im Alt-Nationalpark zwischen Rachel und Lusen erleben können. „Im Erweiterungsgebiet sind wir davon aber leider noch weit entfernt und auf großen Flächen findet hier nach vor Borkenkäferbekämpfung statt“, erklärte Helmut Steiniger, Mitglied des BN-Landesvorstands und Vertreter des BN im Nationalparkbeirat seit 1970. „Wir werden uns daher mit aller Kraft weiter dafür einsetzen, dass die Umsetzung der internationalen Vorgaben im Gesamtnationalpark forciert wird und dieses bedeutende Schutzgebiet, in direkter Nachbarschaft zum tschechischen Nationalpark Sumava, seine Vorbildfunktion nicht verliert“, betonte Steiniger.
Aller Anfang ist schwer
Am 7. Oktober 1970 wurde der Nationalpark Bayerischer Wald feierlich eröffnet. Die Idee dazu hatte Mitte der 1960er-Jahre Hubert Weinzierl, damals ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter der Regierung von Niederbayern, entwickelt. Er konnte Bernhard Grzimek zur Unterstützung gewinnen und kämpfte jahrelang um die Verwirklichung seiner Idee. Die härtesten Widerstände kamen von der Staatsforstverwaltung. Erst als 1969 Dr. Hans Eisenmann Landwirtschaftsminister wurde, war der Weg frei. Am 11. Juni 1969 beschloss der Landtag einstimmig, zwischen Rachel und Lusen einen Nationalpark mit einer Fläche von circa 13000 Hektar zu schaffen. Auch engagierte Lokalpolitiker setzten sich für den Nationalpark ein, um in einer bis dahin armen, strukturschwachen Region neue Impulse für den Tourismus zu schaffen.
Verantwortlich für die Umsetzung des Landtagsbeschlusses war das neu geschaffene Nationalparkamt, das aber für Wald und Wild im Nationalpark zunächst keine Zuständigkeit hatte. Die blieb bei den fünf Forstämtern. Schon im ersten Jahr begannen die Konflikte. Bei einer Inventur wurde festgestellt, dass 3000 (!) der 13000 Hektar Nationalparkwälder massiv vom Rotwild geschädigt waren. Jahrelang waren Hirsche „gezüchtet“ worden und hatten die Rinde der Bäume „geschält“. Durch zu hohe Rehbestände wuchsen keine Tannen mehr nach. Der ursprüngliche Fichten-Tannen-Buchenwald wandelte sich dadurch in Fichten-Buchen- und reine Fichtenbestände.
Als Hans Bibelriether und Georg Sperber vom Nationalparkamt diese Zustände öffentlich machen wollten, wurde ihnen dies vom Ministerium untersagt. Ein sogenannter „Wildschadenspfad“ durfte nicht angelegt werden. Es gelang den beiden aber, den damals bekanntesten und einflussreichsten Tierfilmer – und Mitglied des BN-Beirates – Horst Stern für das Thema zu interessieren. Sein Film „Bemerkungen über den Rothirsch“, der an Heiligabend 1971 in der ARD ausgestrahlt wurde, sollte das Denken über die Jagd und die Machtposition der Jäger in Deutschland nachhaltig verändern.
Das Nationalparkamt hatte die volle Unterstützung von Minister Eisenmann. Geplante 130 Kilometer neue Forststraßen durften nicht mehr gebaut werden. Man nahm die noch vorhandenen gut 800 Hektar alter, ursprünglicher Bergmischwälder aus der Nutzung, außerdem bereits 1972 über 1000 Hektar vor allem alter Bergfichtenwälder. Nachdem die 25 Rotwildfütterungen durch drei Wintergatter ersetzt und die Rehwildfütterung eingestellt wurden, ging der Wildverbiss entscheidend zurück.
Ein Minister mit Weitblick
Im Frühjahr 1972 warf ein Sturm viele Fichten zu Boden, rund 5000 Kubikmeter Holz. Mit größter Mühe gelang es, gegen den Willen der Forstämter im Nationalpark rund zehn Prozent davon liegen zu lassen. Ein Glücksfall, wie sich zehn Jahre später zeigte, als ein Gewittersturm Fichten auf rund 90 Hektar umriss. Denn nachdem Hans Eisenmann zusammen mit den Mitgliedern des Nationalparkbeirates eine Sturmfläche von 1972 gesehen und festgestellt hatte, welch artenreicher junger Wald dort inzwischen entstanden war, entschied er, dass die Windwürfe liegen bleiben. Seine Aussage „Wir wollen einen Urwald für unsere Kinder und Kindeskinder“ war entscheidend für die Zukunft des Nationalparks und ein Wegweiser für ein neues Naturschutzziel.
Als 1986 die erste Borkenkäfer-Massenvermehrung stattfand, die 1991 wieder zusammenbrach, wurde entschieden, dass in den Wäldern in der Naturzone auch der Borkenkäfer nicht bekämpft wird! Hans Bibelriether prägte damals die heute noch gültige Kernaussage „Natur Natur sein lassen“. Dies bedeutet in der Praxis, die Waldbestände im Nationalpark den Kräften der Natur zu überlassen.
Naturschutz wird dynamisch und Widerstand gegen die Erweiterung
Lange Zeit war der Naturschutz in Deutschland nur „statisch“, sein Ziel war es, bestimmte Arten und deren Lebensräume zu erhalten. Durch den Nationalpark Bayerischer Wald und die dort erstmals in Deutschland umgesetzte Zielsetzung, natürliche Abläufe zu schützen, wurde der sogenannte „Prozessschutz“ entwickelt. Er ist inzwischen in deutschen Naturschutzgesetzen rechtlich festgeschrieben.
1997 wurde der Nationalpark vom Rachel über den Großen Falkenstein bis nach Bayerisch Eisenstein um 11000 Hektar erweitert. Dagegen gab es massiven Widerstand vor Ort und eine „Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes“ wurde gegründet. Dieser Widerstand hält bis heute an, obwohl 2007 als Kompromiss die Ausweitung der Naturzonen zwischen Rachel und Falkenstein um 10 Jahre verlängert und bis dahin auch die Borkenkäferbekämpfung in der Entwicklungszone festgelegt wurde. Entgegen anderer Äußerungen wird der Nationalpark von der Mehrheit inzwischen aber positiv gesehen. Die Zustimmung der Bevölkerung vor Ort liegt im Nationalpark-Altgebiet bei 88 % und im Erweiterungsgebiet bei 62 %, wie eine Akzeptanzstudie 2009 ergab.
Mehr Naturzonen jetzt, Herr Minister Söder
Das aktuell größte Problem im Erweiterungsgebiet ist aus Naturschutzsicht die Bekämpfung von Borkenkäfern durch die Fällung betroffener Fichten. In einer, für einen Nationalpark unvorstellbaren Weise, wird dadurch und durch den Einsatz großer Maschinen beim Holzabtransport massiv Boden zerstört und schon vorhandener Jungwuchs vernichtet.
Zusammen mit dem Landesbund für Vogelschutz und Pro-Nationalpark-Vereinen fordert der Bund Naturschutz, im neuen Nationalparkplan festzuschreiben, Großmaschinen aus dem Nationalpark zu verbannen, Borkenkäferholz entrindet im Wald zu belassen und die Käferbekämpfung auf eine maximal 500 Meter breite Randzone zu Privatwäldern zu beschränken. Nachdem diese Forderungen im Nationalparkbeirat bei der Behandlung der Fortschreibung des Nationalparkplans Anfang März 2010 nicht angenommen wurden, hat der BN im Auftrag der befreundeten Vereine die Forderungen an Umweltminister Markus Söder herangetragen, der nun seine positive Einstellung zur Nationalparkphilosophie in die Tat umsetzen sollte.
Außerdem ist es zwingend erforderlich, die Ausweisung der Naturzonen im Erweiterungsgebiet zu forcieren, um die international gültigen Vorgaben für Nationalparke zu erfüllen. Die Naturzonen betragen derzeit nur 52 Prozent der gesamten Nationalparkfläche. Im Altnationalpark zwischen Rachel und Lusen sind bereits 75 Prozent erreicht, während Im Erweiterungsgebiet nur auf rund 29 % die Natur Natur sein darf. Durch den Widerstand der „Bürgerbewegung“ ist das Ziel, in den nächsten 17 Jahren auch hier drei Viertel der Waldfläche als Naturzonen auszuweisen, gefährdet.
Der Bund Naturschutz hat entscheidend zur Gründung des Nationalparks Bayerischer Wald beigetragen. Er wird daher alle politischen Möglichkeiten ergreifen und sich dafür einsetzen, dass dieser Nationalpark ein „wirklicher Nationalpark“ im Sinne der Naturschutzgesetze und internationalen Richtlinien bleibt und seine Vorbildfunktion nicht verliert.
Für Rückfragen:
Kurt Schmid
BN Regionalreferent für Niederbayern
Tel.: 089/548298-88 oder -63
kurt.schmid@bund-naturschutz.de