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Rettungsmission Flussperlmuschel
Früher bedeckte sie zu Abertausenden die Bachbetten Bayerns – in großen Kolonien aufgereiht wie Pflaumen auf einem Kuchen. Heute ist die Flussperlmuschel zur Seltenheit geworden. Der BUND Naturschutz will das ändern.
Sie sitzt jahrzehntelang im glasklaren Wasser, dicht an dicht mit ihresgleichen, und die Nahrung schwimmt ihr förmlich in den Mund. So beschaulich hört sich das Dasein der Flussperlmuschel (Margaritifera margaritifera) an. Doch veränderte Umweltbedingungen machen ihr das Überleben schwer.
Das blieb lange Zeit unbemerkt, bis die Aktiven der BN-Kreisgruppe Hof Anfang der 1980er-Jahre Alarm schlugen: Bei einer Zählung in heimischen Bächen entdeckten sie nur noch 100.000 bis 150.000 der schönen Muscheln; in den 1950er-Jahren sollen es noch sieben bis zehn Millionen gewesen sein. 2020 war gerade noch ein Viertel davon übrig. Außerdem sind die bayerischen Bestände deutlich überaltert: Kaum ein Tier zählt weniger als 40 Jahre.
1950
7 bis 10 Millionen
Muscheln
1989
120.000
Muscheln
2020
30.000
Muscheln
Warum die Bestände so drastisch abgenommen haben, lässt sich bisher nicht eindeutig klären. Vermutlich handelt es sich um ein ganzes Bündel von Faktoren. Flussbegradigungen, Wasserverschmutzung und vor allem intensive Land- und Forstwirtschaft spielen dabei eine große Rolle. Der Effekt: Die Jungmuscheln bleiben aus, und das, obwohl eine ausgewachsene Flussperlmuschel vier Millionen mikroskopisch kleiner Larven (Glochidien) zur Welt bringen kann.
Faszinierender Entwicklungszyklus
Seit 300 Millionen Jahren leben Flussperlmuscheln schon auf der Erde. Angesichts ihres komplizierten Lebenszyklus' ist das durchaus erstaunlich. Entwicklungsschritt eins: Nach der "Geburt" heften sich die Larven der Flussperlmuschel an die Kiemen ihres Wirtsfisches, der Bachforelle. Dort wachsen sie ein bis zehn Monate lang zu einer winzigen Muschel von 0,4 bis 0,7 Millimeter Länge heran, die schließlich abfällt. Entwicklunsschritt zwei: Jetzt geht der Flussperlmuschel-Nachwuchs erst einmal fünf bis sieben Jahre auf Tauchstation. Die Jungmuscheln graben sich im Bachbett ein und entziehen sich so auch den Augen der Forscher.
Nachwuchs erstickt im Schlamm
Was in dieser »Kinderstube« passiert und welche Probleme dem Nachwuchs dort zusetzen, war lange ungeklärt. Heute weiß man, dass sich der von Äckern und Feldwegen erodierte und abgeschwemmte Oberboden als feiner Schlamm auf dem kiesigen Bachbett absetzt und die Jungmuscheln regelrecht erstickt. Denn während die Altmuscheln sich bei Starkregen auch einmal 48 Stunden lang verschließen und die Schlammfracht an sich vorbeiziehen lassen können, ist das den Jungmuscheln im Sediment nicht möglich.
Muschelzucht in der Huschermühle
Seit 2018 züchtet der BN Muscheln in der historischen Huschermühle im Landkreis Hof. Die Larven der Flussperlmuschel werden dort so lange gepäppelt, bis sie zu winzigen Jungmuscheln herangewachsen sind und in Lochplatten in die Herkunftsbäche zurückgesetzt werden können. Zwei Vollzeitkräfte sind 365 Tage im Jahr mit der Muschelaufzucht beschäftigt. Bis zu 15.000 Jungmuscheln werden pro Jahr "in die Wildnis" entlassen.
Entwicklungsschritt drei: Mit einer Größe von einem bis 1,5 Zentimeter kommen junge Flussperlmuscheln wieder nach oben, setzen sich zu großen Gruppen im Bachbett fest und filtrieren ihre Nahrung aus dem Strömungswasser.
Für den vierten Entwicklunsschritt schließlich nehmen sich die Flussperlmuscheln alle Zeit der Welt: Erst mit 15 Jahren sind sie fortpflanzungsfähig. Aber gemessen an ihrer möglichen Lebensspanne ist dieser Zeitraum wiederum kurz. Denn wenn die Bedingungen günstig sind, können Flussperlmuscheln 80 bis etwa 100, in Skandinavien sogar bis zu 150 Jahre alt werden. Dabei werden sie etwa neun bis maximal 13 Zentimeter lang.
Im Gegensatz zur Bachmuschel (elliptisch, eiförmig) ist die Flussperlmuschel nierenförmig.
Lebensraum der Flussperlmuschel
Flussperlmuscheln sind Indikatoren für hervorragende Wassergüte und höchste ökologische Qualität. Sie brauchen naturnahe Bäche, die auch in niederschlagsarmen Zeiten Wasser führen, einen sandig-kiesigen Untergrund haben und viele Bachforellen beherbergen.
Der BN, die Naturschutzbehörden des Landkreises Hof und der Regierung von Oberfranken sowie das Wasserwirtschaftsamt Hof arbeiten gemeinsam mit den tschechischen Nachbarn seit mehr als 25 Jahren daran, die Lebensräume der Flussperlmuschel in der Region wieder zu verbessern. Flussufer werden von Fichten befreit, Flächen angekauft und aus der intensiven Nutzung genommen und Schlammfangbecken installiert.
Verbreitung der Flussperlmuschel
Die Flussperlmuschel kam ursprünglich in weiten Teilen Europas vor. Heute gibt es nur noch wenige größere Vorkommen. Das bedeutendste ist jenes im Drei-Länder-Eck Bayern-Sachsen-Böhmen.
In ihrem langen Leben haben Flussperlmuscheln genügend Zeit, in ihrem Inneren eine kleine Kostbarkeit entstehen zu lassen. So findet sich in manchen Beständen in jeder zehntausendsten Muschel eine Perle. Sie und die seidenschimmernde Perlmuttschicht im Inneren der Muschel waren bereits im Mittelalter begehrt und die Perlfischerei war ab Anfang des 17. Jahrhunderts ein Vorrecht der Landesfürsten.
10.000
Muscheln
1 Perle
1.000
Beschäftigte
Perlmuttindustrie
Die Perlen waren für Adelshäuser so wertvoll, dass es in Sachsen und Bayern hauptberufliche Perlenfischer gab, die die Flussperlmuscheln pflegten und ernteten. Im 19. und 20. Jahrhundert waren bis zu 1.000 Menschen in der "Perlmuttindustrie" beschäftigt.
Muschelräuber wurden damals drakonisch bestraft, trotzdem kam es gebietsweise zum Raubbau. 1930 sollen Landwirte die noch häufigen Flussperlmuscheln sogar schaufelweise geernteten und ihren Schweinen und Enten zum Fraß vorgeworfen haben. Daher kommt wahrscheinlich auch der Spruch: Perlen vor die Säue werfen.
Schutzstatus
Die Flussperlmuschel ist nach der EU-FFH-Richtlinie und der Bundesartenschutzverordnung geschützt.