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Artenschutzbericht Bayern: Bund Naturschutz sieht wenig Licht aber viel Schatten und kritisiert drohenden Kahlschlag im Naturschutzhaushalt

20.10.2010

Der Bund Naturschutz hat die Vorlage des „Artenschutzbericht Bayerns“ durch das Umweltministerium grundsätzlich begrüßt: „Der Bericht ist eine gute Zusammenfassung des Zustandes der Natur und  von Aktivitäten im bayerischen Naturschutz“ so Landesvorsitzender Prof. Dr. Hubert Weiger. Dennoch überwiegt beim BN die Kritik: „Wir hätten uns eine Analyse erwartet, warum Erfolge im Naturschutz in Bayern bisher nur punktuell stattfinden, in der Fläche aber der Trend des Arten- und Biotoprückganges ungebrochen ist. Daraus hätten deutliche Konsequenzen und finanzielle Nachbesserungen für die bayerische Biodiversitätsstrategie formuliert werden müssen.“
Zwar zeigt der Bericht deutlich, dass Naturschutz erfolgreich sein kann. „Erfolge stellen sich aber nur dann ein, wenn es Betreuer oder ehrenamtliches Engagement und v.a. genügend Finanzmittel gibt.“ so BN-Landesbeauftragter Richard Mergner. „Doch genau hier wird die bayerische Staatsregierung mit ihren Kürzungsüberlegungen im Naturschutz unglaubwürdig.“
Insgesamt ist das Fazit des BN: „Wenn die Ziele der bayerischen Biodiversitätsstrategie nicht erreicht werden, braucht die bayerische Staatsregierung nicht lange nach den Ursachen zu suchen – sie spielt selbst mit der verfehlten Agrar-, Verkehrs- und Raumordnungspolitik eine zentrale Rolle“, so Weiger.
Um die Ziele der bayerischen Biodiversitätsstrategie zu erreichen, hat der BN bereits vor zwei Jahren nötige Nachbesserungen und Forderungen aufgestellt. „Keine dieser Forderungen wurde bisher erfüllt, da helfen auch 500 Seiten Artenschutzbericht nicht weiter, “ so BN-Artenschutzreferent Dr. Kai Frobel.

Denn in dem Bericht werden vor allem zahlreiche Projekte und Programme aufgeführt, die bereits seit vielen Jahren laufen - mit starker Beteiligung der Naturschutzverbände. Nicht aufgeführt wird hingegen, dass die bayerische Staatsregierung durch den aktuellen Sparzwang infolge des Landesbank-Debakels aktuell dabei ist, gerade die erfolgreichen Projekte und Grundlagen auf Eis zu legen: seit kurzem steht die Fortführung von Landschaftspflegemaßnahmen und von Vertragsnaturschutz und damit eine der finanziellen Grundlagen von Naturschutzprojekten zur Disposition. Obwohl im Artenschutzbericht steht: „Artenschutzprojekte und Biotoppflegeprogramme müssen auf nachhaltigen Erfolg angelegt sein und konsequent fortgeführt werden. Ein Abbruch der Maßnahmen würde unweigerlich zu Bestandseinbrüchen bei bedrohten Arten führen.“ (S. 270).
Auch Biotopkartierung und Arten- und Biotopschutzprogramm sind auf Eis gelegt. Bei den Artenhilfsprogrammen lief 2010 weniger als in den Jahren zuvor. Bei den Naturschutzbehörden wird eingespart und die dringend nötigen und im Rahmen der Biodiversitätsstrategie zunächst angekündigte personelle Aufstockung der Unteren Naturschutzbehörden wird schon seit 2 Jahren nicht weiter verfolgt.
Zudem kritisiert der BN, dass die bayerische Staatsregierung, Landkreise und viele Kommunen trotz schöner Sonntagsreden täglich gegen den Biodiversitätsschutz entscheiden: „Ob es das sture Festhalten an der A94 im Isental, am Donauausbau oder an der 3. Startbahn am Flughafen München ist, oder die zahlreichen Ortsumgehungen und Gewerbegebiete – hier wird die bayerische Staatsregierung endgültig unglaubwürdig und große Diskrepanzen zwischen schönen Sonntagsreden und Berichten und der Realität offenkundig“, urteilt die Artenschutzbeauftragte für Südbayern Dr. Christine Margraf.

Nicht im Bericht thematisiert wird auch, dass Freiwilligkeit im Naturschutz nicht immer zielführend ist. Die bayerische Biodiversitätsstrategie ist weitgehend auf Freiwilligkeit aufgebaut und hat damit kein Konzept gegen den weiterhin dramatischen Schwund von Arten der Kulturlandschaft (z.B. Wiesenbrüter und den rapiden Verlust von artenreichen Wiesen). Nicht einmal bundesweite Vorgaben wie verpflichtende Gewässerrandstreifen werden in Bayern umgesetzt. Auch die aktuell geplante Novelle des Bayerischen Naturschutzgesetzes wird daran nichts ändern. Wichtig wäre auch ein Stopp aller naturschutzfeindlichen Subventionen im Agrarbereich: öffentliche Gelder darf es nur geben für öffentliche Güter, die die Intensivlandwirtschaft nicht erbringt.
Und nicht zuletzt enttäuscht der Bericht den BN auch deshalb, weil zu einem aus Artenschutzsicht eindeutig sinnvollen und nötigen neuen Nationalpark Steigerwald kein einziges Wort zu finden ist.

Anlage: Forderungen des BN zur Bayerischen Biodiversitätsstrategie
(Die bayerische Biodiversitätsstrategie wurde am 1.4.2008 vom Ministerrat verabschiedet und gilt für alle bayerischen Behörden).


Für Rückfragen:
Dr. Kai Frobel, BN Artenschutzreferent,
Tel.: 0911/81878-18, kai.frobel@bund-naturschutz.de
Dr. Christine Margraf, BN Artenschutzreferentin für Südbayern,
Tel.: 089/548298-89, christine.margraf@bund-naturschutz.de
Hintergrund-Informationen des Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN) zu Biodiversität, zur bayerischen Biodiversitätsstrategie und den Forderungen des BN unter:
www.bund-naturschutz.de/fakten/artenbiotopschutz/index.html

Anlage: Forderungen des BN zur Bayerischen Biodiversitätsstrategie

  • Ein Investitionsprogramm Naturschutz für eine grüne Infrastruktur insbesondere in den ausgeräumten Agrarlandschaften Bayerns zur Neuschaffung von Biotopverbundstrukturen. Dazu ist der Mittelansatz für aktiv neu geschaffene Biotope von derzeit ca. 5 Mio. € auf 50 Mio. € / Jahr zu erhöhen.
  • Über die 3 Mio. € Biodiv-Gelder des StMUG hinaus muss es einen Etat von 300 Mio. € „Biodiv-Gelder“ im Haushalt 2009/2010 geben (vgl. 200 Mio. € Klimaschutzgelder).
  • Für die Biodiversität besonders wichtige/ effektive Maßnahmen müssen besonders gefördert werden. Eine „Biodiversitäts-Prämie“ von 500 €/ ha wäre eine Grundsicherung gerade für kleinere landwirtschaftliche Betriebe in reich strukturierten Landschaften mit kleinen Schlaggrößen, hohem Anteil an Grünland, Streuobst, Hecken oder Feldrainen bzw. Betriebe mit Biotopen und Arten, die in Bayern und Europa besonders schutzwürdig sind.
  • Für die Beteiligung am Aufbau grüner Infrastruktur sind 10% des Etats der Straßenbauverwaltung bereitzustellen.
  • Der Umfang des Vertragsnaturschutzprogrammes (VNP) muss von derzeit 2 % auf 10 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Bayerns steigen. Der Mittelumfang eines auch mit attraktiveren Prämien ausgestatteten Programmes ist auf 200 Mio. €/Jahr zu erhöhen.
  • Ein neues Förderprogramm für die Erhöhung der Biotopqualität im Privat-, Körperschafts- und Kommunalwald.
  • Abbau aller naturschädlichen Subventionstatbestände, die zur Zerstörung biologischer Vielfalt beitragen (Landes-, Bundes- und EU-Förderprogramme Landwirtschaft, Wirtschaft u.a.).
  • Entbürokratisierung und Vereinfachung des unerträglich hohen und dem Ehrenamt im Naturschutz nicht mehr zumutbaren formalen Aufwandes bei der Durchführung des Landschaftspflege- und Vertragsnaturschutzprogrammes.
  • Schaffung des dritten bayerischen Nationalparks im nördlichen Steigerwald für unser Naturerbe Buchenwälder.
  • Bis 2015 sollen 10% der Fläche der öffentlichen Wälder für ungestörte Naturentwicklung (Naturwälder) gewidmet (= zusätzlich ca. 50.000 ha) und durch Korridore und Trittsteine insbesondere die Laubwälder vernetzt werden. Naturnahe alte Wälder über 140 bzw. 180 (Buche) bzw. 300 (Eiche, Tanne) Jahre sind aus der Nutzung zu nehmen.
  • Reaktivierung der ehemaligen Auenflächen auf 50% des im bayerischen Auenprogramm erfassten Potentials bis 2020 und deren Redynamisierung und Vernetzung mit dem Fluss (Auenverbund). Die erheblichen Mittel der bayerischen Wasserwirtschaft (ca. 200 Mio. € / Jahr) sollen umgeschichtet werden von großtechnischen Wasserbaumassnahmen an einzelnen Flussabschnitten hin zur großflächigen Auenrenaturierung und zum dezentralen Hochwasserschutz.
  • *n den Flüssen (Gewässer 1. und 2. Ordnung) werden bis 2015 alle bereits in Staatsbesitz befindlichen Uferstreifen in echte ungenutzte Renaturierungsflächen umgewandelt. 50% der undurchlässigen Querbauwerke sollen bis 2015 durchgängig sein, wobei Durchgängigkeit eine umfassende ökologische Durchgängigkeit (nicht nur Fischpass) bedeutet. Die großen Wasserkraftbetreiber sollen sich an einer Verringerung der verursachten Schäden am Ökosystem Fluss finanziell beteiligen.
  • Die Wiederherstellung der im bayerischen Moorentwicklungskonzept als Moorhandlungsschwerpunkte 1.Dringlichkeitsstufe (22 Moore) und 2. Dringlichkeitsstufe (36 Moore) eingestuften Moore wird auch wegen des Klimawandels innerhalb der nächsten 5 Jahre realisiert. Besonderer Vorrang haben dabei der Voralpen- und Alpenraum und die großen Niedermoore.
  • Erhöhung des Umsetzungsgrades der BayernNetzNatur-Projekte auf mindestens 75% bis 2020 in allen Projekten.
  • Für die bayerischen Natura 2000-Gebiete (europäische Biotopverbundnetz) werden für Pflege durch Landnutzer und Biotopoptimierung eigene Mittel bereitgestellt, um innerhalb der nächsten 10 Jahre einen günstigen Erhaltungszustandes für alle FFH-Arten und Lebensräume zu erreichen. Die Erstellung der Managementpläne ist bis 2015 abzuschließen, die fachliche Qualität zu verbessern und die Umsetzung sicherzustellen. Der Verbund zwischen den Gebieten ist zu verbessern.
  • Statt Stellenabbau Stärkung der Naturschutzbehörden, Schaffung von Synergieeffekten durch Bündelung mit Fachbehörden aus dem Bereich der Landnutzung („Grüne Ämter“)
  • Schaffung von 50 zusätzlichen Gebietsbetreuerstellen für herausragende bayerische Natur- und Kulturlandschaften bis 2015.
  • Institutionelle Förderung aller bayerischen Umweltstationen mit einer halben Stelle.
  • Schaffung von zwei Naturschutzlehrstühlen an den bayerischen Universitäten, konkrete umfassende Verankerung der „Biodiversität“ in den Lehrplänen.
  • Und: Reduzierung des Flächenverbrauches auf 0 ha/ Jahr bis 2015 und Verzicht auf Großprojekte, die weiter die Biodiversität reduzieren (Donauausbau, 3. Startbahn Flughafen München, A94 im Isental u.a.)


Dies sind Handlungsbeispiele, wie mit einem neuen „Investitionsprogramm Naturschutz und Ländlicher Raum“ die Situation gefährdeter Arten und Biotope in Bayern tatsächlich grundlegend verbessert werden kann! Hunderte von Modellprojekten des Umweltministeriums, des Bayerischen Naturschutzfonds, der Städte und Gemeinden sowie der Naturschutzverbände haben in den letzten 20 Jahren bewiesen, dass mit hoheitlichem Naturschutz und entsprechendem Einsatz von Finanzmitteln, Flächenbereitstellung und Personal sehr wohl quantitativ wie qualitativ die Naturschutzziele erreicht werden können. Nach der Modell- und Testphase in kleinen Teilen der bayerischen Landschaft seit Ende der 80er Jahre ist jetzt ist eine Übertragung und Umsetzung auf der gesamten Landesfläche durch eine Investitionsoffensive im Naturschutz überfällig. Das Netz des Lebens, die „grüne Infrastruktur“  dieses Landes, muss uns mindestens ebenso viel wert sein wie die über Jahrzehnte einseitig bevorzugte technische Infrastruktur dieses Landes.