Bund Naturschutz warnt vor flächigem Gifteinsatz
Der Bund Naturschutz (BN) kritisiert den großflächigen Gifteinsatz auf etwa 3.000 Hektar in Frankens Eichenwäldern gegen den Eichenprozessionsspinner und andere Schmetterlingsraupen. „Wir kritisieren die Gifteinsätze vor allem, weil sie keinen dauerhaften Erfolg bringen und weil massive ökologische Schäden zu befürchten sind“, so Manfred Engelhard, BN-Vorsitzender der Kreisgruppe Kitzingen. Zum einen bleiben die Nester mit den problematischen Haaren mehrere Jahre erhalten. Zum anderen werden die begifteten Wälder sehr schnell wieder besiedelt, weil die Eichenprozessionsspinner als Offenlandart mittlerweile fast ganze Landkreise besiedeln wie z.B. den Landkreis Kitzingen. Obwohl Eichenwälder in warm-trockenen Regionen Frankens bereits seit 1975 regelmäßig mit dem Gift Dimilin besprüht werden, wurde es bislang versäumt, die Notwendigkeit und die Auswirkungen der Gifteinsätze langfristig wissenschaftlich zu untersuchen und zu dokumentieren. „Es ist für uns völlig unverständlich, dass man bei solch großflächigen und regelmäßig stattfindenden Eingriffen die negativen ökologischen Folgenwirkungen bislang nicht langfristig und umfassend untersucht hat“, so Karin Eigenthaler, Vorsitzende der BN-Kreisgruppe Neustadt/Aisch. Angesichts des Klimawandels wird man sich wie in anderen wärmeren Regionen Europas darauf einstellen müssen, dass man mit dem Eichenprozessionsspinner leben muss. Eine jährliche Begiftung lehnt der BN kategorisch ab!
Die Eiche als El Dorado für Insekten wird regelmäßig begiftet
Der Häutungshemmer Dimilin ist ein Breitbandmittel, das verhindert, dass sich die Haut der Raupen erneuert. Diese muss bei der heranwachsenden Schmetterlingsraupe mehrfach neu gebildet werden, weil Chitin nicht dehnungsfähig ist. Dimilin sorgt dafür, dass auch viele andere Insektenarten, die an der Eiche leben, sich nicht mehr häuten und dann zu Tode kommen. D.h. alle Larven, die sich im Verlaufe ihres Wachstums häuten müssen und etwas von dem Fraßgift Dimilin aufnehmen, gehen zugrunde. Das gilt z.B. für alle Schmetterlingsarten, Blattkäferlarven, Grashüpfer und andere Arten, für die Eichen den Lebensraum bilden. Dies ist umso gravierender als die Eiche die Baumart mit dem höchsten natürlichen Insektenreichtum aller Waldbäume ist. Auf keiner anderen heimischen Baum- oder Pflanzenart leben mehr Insekten als auf der Eiche. Allein aus den bekannten Insektengruppen leben etwa 400 Schmetterlingsarten, mehr als 50 Bockkäferarten sowie etwas 10 Borken- und Kernkäferarten direkt bzw indirekt an und von der Eiche, dazu kommen noch Dutzende Arten von Zweiflüglern und Hautflüglern.
Massive Auswirkungen der Begiftung nicht langfristig untersucht
Der BN kritisiert, dass Hinweisen auf schädliche Auswirkungen nicht ausreichend nachgegangen wurde. So ist nach Kenntnis des BN der vom Aussterben bedrohte Maivogel, dessen Raupen an Eschen leben, nach der Spritzung von 1993/94 am Hohenlandsberg bei Weigenheim ausgefallen und dauerhaft verschwunden. Andere Arten haben sich erst nach Jahren erholt. Außerdem belegen Untersuchungen von Vogelbruten in Nistkästen, dass in begifteten Waldgebieten die Zweitbruten vollständig ausfallen bzw. verhungern. Außerdem sind anscheinend Flächen bereits mehrfach begiftet worden, ohne dass die Auswirkungen der Mehrfachbegiftungen untersucht wurden. All diesen Kritikpunkten hätte in langfristigen Untersuchungen nachgegangen werden müssen. Ebenso fehlt die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP), die für Natura 2000-Arten (FFH-Anhang IV-Arten und Arten der Vogelschutzrichtlinie) in allen betroffenen Wäldern vorgeschrieben ist sowie die Verträglichkeitsprüfungen für FFH-Gebiete.
Forstliche Monokulturen mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Die blattfressenden Schmetterlingsraupen an der Eiche sind zudem ein Hinweis auf die Schwachstellen in unseren Waldökosystemen im warm-trockenen Franken. Ein Grund für die hohen Befallszahlen sind die aus der früheren Waldwirtschaft hervorgegangenen Eichenreinbestände, die aus der Mittel- oder Niederwaldwirtschaft (Stockausschlagbewirtschaftung) entstanden sind. In diesen baumartenarmen Wäldern vermehren sich die blattfressenden Schmetterlingsraupen wegen des warmtrockenen Bestandsklimas besonders gut. Diese historische Wirtschaftsweise und die allgemeine forstliche Zielsetzung hat die Baumart Eiche im Hauptbestand überproportional bevorzugt. Von Natur aus würden im kollinen, wärmebegünstigten Bereich der Fränkischen Platte und des Steigerwaldvorlandes Laubmischwälder wachsen, in denen neben den Eichen auch Hainbuchen, Ahornarten, Ulmenarten, Elsbeeren, Mehlbeeren und Vogelkirschen wachsen. Bei etwas tiefgründigeren und feuchteren Böden (z.B. Nordhänge) käme auch sehr schnell die Buche als Mischbaumart dazu.
Zu hoher Rehwildverbiss mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Zu der forstlichen Altlast kommt noch eine jagdliche Altlast historischen Ausmaßes hinzu. Der immense Rehwildverbiss verhindert vielerorts seit Jahrzehnten, dass sich eine standortstypische Vegetation aus verschiedenen Baum-, Straucharten und Bodenpflanzen ausbilden kann. Der Aufwuchs aus den Baum- und Straucharten würde das Kleinklima zu Ungunsten der wärmeliebenden „Schadinsekten“ ändern. Aufgrund des starken Rehwildverbisses fehlen aber häufig krautartige Pflanzen, die für die natürlichen Gegenspieler der blattfressenden Raupen eine wichtige Nahrungsgrundlage darstellt. Gerade in Zeiten niedriger Populationen der blattfressenden Raupen dient diese krautartige Vegetation dann als Ausweichnahrung für Gegenspieler wie Erz- und Brackwespen oder Igelfliege. Die zu hohen Rehwildbestände tragen somit dazu bei, dass das Waldökosystem nicht in der Lage ist, die Massenvermehrung blattfressender Insektenarten abzupuffern.
Klimawandel mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Die regelmäßigen Massenvermehrungen blattfressender Schmetterlingsraupen an Eichen sind eine Folge der Klimaänderung. Die CO2-Immissionen aus Industrie, Verkehr und Haushalten führen zu Temperaturerhöhungen und zu einer Abnahme der Niederschläge. Davon profitieren insbesondere die blattfressenden Insekten wie die Eichenprozessionsspinner, die warm-trockenes Klima lieben.
Mechanische Maßnahme bei hygienischen Problemen bevorzugen
Der BN kann akzeptieren, dass in Stadtnähe, Spielplatznähe oder bei häufig begangenen Wanderwegen gegen den Prozessionsspinner vorgegangen wird, weil dessen Haare tatsächlich allergische Reaktionen auslösen können. Dabei sollen jedoch mechanische Verfahren, wie das Absammeln, Abflammen oder Besprühen der Nester mit Wasserglas bevorzugt werden. Dies wird andernorts seit Jahren erfolgreich praktiziert wird.
- Der BN fordert, dass
endlich vor der Bekämpfung repräsentative und ausreichend große Nullflächen im Staats- bzw. Körperschaftswald ausgewiesen werden, die vor und nach der Bekämpfung waldökologisch umfassend und langfristig zu untersuchen sind. - die Auswirkungen der Gifteinsätze auf die artenreiche Fauna der Eichenwälder langfristig zu untersuchen ist.
- in den betroffenen Natura 2000-Gebieten eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, ob ein derartiger Gifteinsatz rechtlich möglich ist.
- eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung (saP) für Natura 2000-Arten (FFH-Anhang IV-Arten und Arten der Vogelschutzrichtlinie) in allen betroffenen Wäldern durchgeführt wird.
- der Umbau der Eichenreinbestände in naturnahe Mischwälder deutlich ausgeweitet werden soll. Dazu sind die Beratung der Waldbesitzer durch die Forstverwaltung zu intensivieren und die zusätzlich Haushaltsmittel bereitzustellen.
- die jagdlichen Anstrengungen deutlich verstärkt werden müssen, um entsprechend den Grundsatz Wald vor Wild eine artenreiche Waldverjüngung und Bodenvegetation zu erreichen. Dazu müssen die Unteren Jagdbehörden an den Landratsämtern die erstellten Abschusspläne daraufhin überprüfen, ob sie die jagdlichen Voraussetzungen für einen artenreichen Mischwald schaffen sowie deren Umsetzung kontrollieren. Außerdem sind von der Forstverwaltung für alle Jagdreviere, in denen bekämpft werden soll, künftig vor der Bekämpfung revierweise Gutachten über die Verbissbelastung zu erstellen.
Dr. Ralf Straußberger
BN-Waldreferent
Tel. 0911/81 87 8-22
Fax 0911/86 95 68
E-Mail: ralf.straussberger@bund-naturschutz.de