Bund Naturschutz warnt vor flächigem Gifteinsatz in Frankens Wäldern - Forderung eines Spritz-Moratoriums an Staatsminister Helmut Brunner
Der Bund Naturschutz kritisiert die geplanten flächigen Gifteinsätze in Frankens Eichenwäldern. In den nächsten Wochen sollen wieder etwa 2.600 Hektar Wälder in Franken mit dem Pflanzenschutzmittel Dimilin (Wirkstoff Diflubenzuron) begiftet werden. Der Bund Naturschutz appelliert an Forstminister Helmut Brunner ein Moratorium für den Gifteinsatz zu verfügen und im privaten wie öffentlichen Wald auf den Gifteinsatz zu verzichten, bis die langfristigen Auswirkungen der großflächigen Einsätze auf Menschen, Tiere und Umwelt detailliert untersucht sind.
Der Bund Naturschutz hat großes Verständnis für die Sorgen der Waldbesitzer und Förster, die bemüht sind, die Eichenwälder zu erhalten und gerade vor Ort vor einem schwierigen Abwägungsprozess stehen. Allerdings hält der BN den seit Jahrzehnten beschrittenen und leider auch von kommunalen Waldbesitzern geforderten Weg, den Wald mit der Giftspritze schützen zu wollen, für falsch. Das Problem der Massenvermehrung von Insekten an Eichen wird dadurch nicht gelöst.
Stattdessen fordert der Bund Naturschutz, alle Bemühungen auf einen schnellen Ersatz reiner Eichenwälder zu stabileren Laubmischwäldern zu konzentrieren. Hierzu müsse vor allem der Rehwildbestand reduziert werden, damit die Naturverjüngung mit anderen Baumarten möglich werde.
Recherchen und Befragungen des BN haben zudem ergeben, dass bei den wiederholten Begiftungen in den letzten Jahren die Auflagen wie Absperrrungen nicht eingehalten wurden und eine intensive Information der Bevölkerung nicht stattfand. Dies ist insbesondere problematisch, weil ein Abbauprodukt des Dimilin, 4-Chloranilin, nach Auskunft des Umweltbundesamtes als krebserregend gilt.
Forstliche Altlasten mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Der Bund Naturschutz fordert, die forstliche Altlasten „Eichenreinbestände“ und „zu hoher Rehwildverbiss“ endlich zu beseitigen, die für die Massenvermehrung blattfressender Schmetterlingsraupen mitverantwortlich sind. Dies bedeutet, dass die Eichenreinbestände, in denen sich die blattfressenden Schmetterlingsraupen wegen des warmtrockenen Bestandsklimas besonders gut vermehren, in Laubmischwälder umgewandelt werden müssen. Dafür müssen die Rehwildbestände deutlich abgesenkt werden. Denn der immense Rehwildverbiss verhindert seit Jahrzehnten, dass sich vielerorts eine standortstypische Vegetation aus verschiedenen Baum-, Straucharten und Bodenpflanzen ausbilden kann. „Es passt nicht zusammen, die alten Eichenbestände mit der Giftspritze am Leben erhalten zu wollen, damit sich daraus eine standortangepasste Eichenverjüngung entwickeln kann, wenn gleichzeitig diese Eichenverjüngung wegen der überhöhten Rehwildbestände nahezu komplett abgefressen wird“, beurteilt Mergner den seit Jahrzehnten zu hohen Wildverbiss.
Krebserregende Gift-Abbauprodukte auf tausenden Hektar Waldfläche
Der Bund Naturschutz bedauert ebenso die Informationspolitik der Forstverwaltung zu den Auswirkungen des Dimilins auf Mensch und Umwelt. So spricht die Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft beim Dimilin von raschem Abbau, kurzer Verweildauer in der Umwelt und davon, dass der Wirkstoff Diflubenzuron im Boden sehr rasch abgebaut wird. Dabei wird verschwiegen, dass Abbauprodukte des Diflubenzurons eben nicht leicht biologisch abbaubar sind und bei Menschen Krebs erregen können. Das Umweltbundesamt schätzt das Gift als für Menschen schädlich ein. Schon 1994 hielt das Bundesumweltamt nach einem Artikel in der Frankfurter Rundschau (16./17.7.1994) die Abbauprodukte des Dimilin bei großflächigen Einsatz in Wäldern für bedenklich. Bereits damals hieß es, das Bundesumweltamt würde „aus heutiger Sicht die Zustimmung zur Zulassung von Dimilin nicht mehr geben“. Außerdem ist das Mittel giftig für Fisch, Fischnährtiere und Algen sowie schädigend für Florfliegen und Schwebfliegen.
Vorgeschriebene Absperrungen wurden nicht eingehalten
Trotz dieser sehr bedenklichen Abbauprodukte wurden wichtige Auflagen bei der Ausbringung in den letzten Jahren offensichtlich in vielen Fällen nicht eingehalten. So besteht nach der Ausbringung ein grundsätzliches Betretungsverbot von 24 Stunden und nach 48 Stunden dürfen die Flächen nur mit ausreichender Schutzausrüstung betreten werden (Schutzanzug gegen Pflanzenschutzmittel und Universal-Schutzhandschuhe).
Trotz jahrzehntlangen Gifteinsatzes fehlen langfristige Begleituntersuchungen
Obwohl Eichenwälder in warm-trockenen Regionen Frankens bereits seit 1975 regelmäßig mit dem Gift Dimilin besprüht werden, wurde es bislang versäumt, die Notwendigkeit und die Auswirkungen der Gifteinsätze langfristig wissenschaftlich zu untersuchen und zu dokumentieren. „Es ist für uns völlig unverständlich, dass man bei solch großflächigen und regelmäßig stattfindenden Eingriffen die negativen ökologischen Folgewirkungen bislang nicht langfristig und umfassend untersucht hat“, so BN-Waldreferent Dr. Ralf Straußberger.
Dimilin/Diflubenzuron führt zu Artensterben
Dimilineinsatz führt dazu, dass viele Arten aus den ehemals artenreichen Eichenwäldern Frankens verschwinden. Dagegen scheinen mit dem Eichenprozessionsspinner und dem Eichenwickler zwei „Forstschädlinge“ an der Eiche die Gifteinsatz besser zu überleben. Dies lässt sich durch eine wissenschaftliche Studie aus Schwabach belegen: „Die seit sechs Jahren in Folge über überwiegend mit Dimilin durchgeführten Bekämpfungsmaßnahmen haben zu einer extrem reduzierten und verarmten Schmetterlingsfauna im Stadtpark Schwabach geführt.“ „Im Vergleich zu ähnlich strukturierten Wäldern ist die Schmetterlingsfauna insgesamt derzeit um über dreiviertel an Arten und Individuen reduziert.“ „Die Bekämpfung mit Dimilin zeigt aber auch, dass eine flächige Bekämpfung die Gefahr birgt seltene Arten zu vernichten, …“. (Umweltamt Schwabach (2009): Untersuchungen zur Tag- und Nachtfalterfauna im Stadtpark Schwabach).
Unzureichende artenschutzrechtliche Prüfungen
Die Notwendigkeit chemischer Bekämpfungsmaßnahmen muss grundsätzlich überprüft werden, wie dies nach dem Pflanzenschutzrecht auch vorgeschrieben ist. Die verschiedenen Bekämpfungsmethoden müssen mit der Nichtbekämpfung abgewogen werden. Außerdem fordert der BN umfassende ökologische Begleituntersuchungen zu den der Auswirkungen bisheriger Gifteinsätze. Unerlässlich für eine Entscheidung, ob überhaupt etwas gegen den Eichenprozessionsspinner unternommen werden muss, sind objektive und nachprüfbare Prognoseverfahren. Wegen der gefährlichen Auswirkungen der Abbauprodukte des Diflubenzurons darf dieses Mittel keine Genehmigung mehr erhalten.
Für Rückfragen:
Richard Mergner, Landesbeauftragter
Tel. 0911/81878-25
Hintergrundinformationen
Diflubenzuron/Dimilin
Bei Dimilin mit dem Wirkstoff Diflubenzuron (1-(4-Chlorphenyl)-3-(2,6-Difluorbenzoyl)-Harnstoff) handelt es sich um einen hochwirksamen Häutungshemmer, der den Chitinstoffwechsel von Insekten unterbricht. Diflubenzuron blockiert Enzyme, die normalerweise für die Chitinbildung und Aushärtung der Chitinhaut sorgen. Dadurch wird die Häutung verhindert, es kommt zum Absterben der Raupen und der Puppen. Das Gift kann schon im Eistadium tödlich wirken. Diflubenzuron ist ein Fraßgift, das über die Blattnahrung aufgenommen wird. Es tritt keine Sofortwirkung ein, die betroffenen Raupen fressen bis zur nächsten Häutung weiter. Als Dimilin 80 WG wurde der Wirkstoff Diflubenzuron in Forsten nach dem Pflanzenschutzgesetz gegen den Eichenprozessionsspinner verwendet. 2010 waren davon mehrere 1000 Hektar in Franken betroffen.
Auflagen für die Dimilinausbringung sind u.a. nach Kennzeichen SF1891
Das Wiederbetreten der behandelten Flächen/Kulturen ist am Tage der Applikation nur mit der persönlichen Schutzausrüstung möglich, die für das Ausbringen des Mittels vorgegeben ist. Nachfolgearbeiten auf/in behandelten Flächen / Kulturen dürfen grundsätzlich erst 24 Stunden nach der Ausbringung des Mittels durchgeführt werden. Innerhalb 48 Stunden sind dabei der Schutzanzug gegen Pflanzenschutzmittel und Universal-Schutzhandschuhe (Pflanzenschutz) zu tragen.
Gefahren durch Dimilin
Das große Problem bei Dimilin ist, dass es ein Breitbandmittel ist, d.h. es wirkt nicht nur selektiv auf z.B. den Schwammspinner oder Eichenprozessionsspinner, sondern auf sämtliche Insektenarten, die sich im Larvenstadium befinden. Dies bedeutet es werden auch unschädliche, eventuell seltene und geschützte Arten wie der Heckenwollafter betroffen. Ganze Generationen vieler Klein- und Großschmetterlinge, wie der Blaue Eichenzipfelfalter, die Grüne Eicheneule, die Ockerbraune Herbsteule oder die Olivgrüne Eicheneule können betroffen sein, weil deren Raupen wegen des Gifteinsatzes absterben.
Diflubenzuron ist außerdem tödlich für Fische, Fischnährtiere und Algen. Bei Untersuchungen wurden auch Auswirkungen auf den Bruterfolg von Singvögeln festgestellt (fast vollständiger Ausfall der Zweitbruten von Kohlmeisen, da diese nicht mehr ausreichend Raupen für die Aufzucht einer zweiten Brut vorfinden). Ebenso ist ein deutlicher Rückgang bei Netzflüglern zu beobachten. In Weisendorf im Lkr. Erlangen/Höchstadt führte 2010 ein unsachgemäßer Einsatz von Diflubenzuron an einem Waldrand zu einer Vergiftung des Futtergrases, woran tausende Heuschreckenlarven einer gewerbliche Heuschreckenzucht starben. Wegen des entstandenen Schadens ist derzeit ein zivilrechtliches Verfahren anhängig.
Die Eiche als El Dorado für Insekten wird regelmäßig begiftet
Besonders gravierend ist der Dimilineinsatz für die Biodiversität, weil die Eiche die Baumart mit dem höchsten natürlichen Insektenreichtum aller Waldbäume ist. Auf keiner anderen heimischen Baum- oder Pflanzenart leben mehr Insektenarten als auf der Eiche. Aus den bekannten Insektengruppen leben allein etwa 400 Schmetterlingsarten, mehr als 50 Bockkäferarten sowie etwa 10 Borken- und Kernkäferarten direkt bzw. indirekt an und von der Eiche. Dazu kommen noch Dutzende Arten von Zweiflüglern und Hautflüglern.
Massive Auswirkungen der Begiftung nicht langfristig untersucht
Der BN kritisiert seit langem, dass Hinweisen auf schädliche Auswirkungen nicht ausreichend nachgegangen wurde. So ist nach Kenntnis des BN, der vom Aussterben bedrohte Maivogel, dessen Raupen an Eschen leben, nach der Spritzung von 1993/94 am Hohenlandsberg bei Weigenheim ausgefallen und dauerhaft verschwunden. Andere Arten haben sich erst nach Jahren erholt. Außerdem belegen Untersuchungen von Vogelbruten in Nistkästen, dass in begifteten Waldgebieten die Zweitbruten vollständig ausgefallen und verhungert sind. Zudem sind anscheinend Flächen bereits mehrfach begiftet worden, ohne dass die Auswirkungen ausreichend untersucht wurden. All diesen Kritikpunkten hätte man in langfristigen Untersuchungen nachgehen müssen. Ebenso fehlt regelmäßig die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung durch entsprechende Fachleute (saP). Die für Natura 2000-Arten (FFH-Anhang IV-Arten und Arten der Vogelschutzrichtlinie) vorgeschriebene Verträglichkeitsprüfungen werden ebenfalls meist unterlassen.
Klimawandel mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Die regelmäßigen Massenvermehrungen blattfressender Schmetterlingsraupen an Eichen sind eine Folge der Klimaänderung. Die CO2-Immissionen aus Industrie, Verkehr und Haushalten führen zu Temperaturerhöhungen und zu einer Abnahme der Niederschläge. Davon profitieren insbesondere die blattfressenden Insekten wie die Eichenprozessionsspinner, die warm-trockenes Klima lieben.
Forstliche Monokulturen mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Die blattfressenden Schmetterlingsraupen an der Eiche sind zudem ein Hinweis auf die Schwachstellen in unseren Waldökosystemen im warm-trockenen Franken. Ein Grund für die hohen Befallszahlen sind die aus der früheren Waldwirtschaft hervorgegangenen Eichenreinbestände, die aus der Mittel- oder Niederwaldwirtschaft (Stockausschlagbewirtschaftung) entstanden sind. In diesen baumartenarmen Wäldern vermehren sich die blattfressenden Schmetterlingsraupen wegen des warmtrockenen Bestandsklimas besonders gut. Diese historische Wirtschaftsweise und die allgemeine forstliche Zielsetzung hat die Baumart Eiche im Hauptbestand überproportional bevorzugt. Von Natur aus würden im kollinen, wärmebegünstigten Bereich der Fränkischen Platte und des Steigerwaldvorlandes Laubmischwälder wachsen, in denen neben den Eichen auch Hainbuchen, Ahornarten, Ulmenarten, Elsbeeren, Mehlbeeren und Vogelkirschen wachsen. Bei etwas tiefgründigeren und feuchteren Böden (z.B. Nordhänge) käme auch sehr schnell die Buche als Mischbaumart dazu.
Klimawandel mitverantwortlich für Raupenvermehrung
Die regelmäßigen Massenvermehrungen blattfressender Schmetterlingsraupen an Eichen sind eine Folge der Klimaänderung. Die CO2-Immissionen aus Industrie, Verkehr und Haushalten führen zu Temperaturerhöhungen und zu einer Abnahme der Niederschläge. Davon profitieren insbesondere die blattfressenden Insekten wie die Eichenprozessionsspinner, die warm-trockenes Klima lieben.