Grundsatz „Wald vor Wild“ konsequent umsetzen
Das aktuelle Verbissgutachten, das aktuelle Gutachten zur Bewertung der Forstreform und der Jahresbericht 2009 des Obersten Rechnungshofes (ORH) belegen, dass es in weiten Teilen Bayerns noch immer große Defizite in der Waldverjüngung gibt, weil die Verbissbelastung zu hoch ist. Dies hat verheerende ökonomische und ökologische Folgen. Trotzdem wird von Seiten des Bayerischen Landesjagdverbandes (BJV) der Grundsatz Wald vor Wild, dessen Umsetzung durch die Behörden und das bayerische Vegetationsgutachten massiv angegriffen. Der Bund Naturschutz (BN) und Vertreter der Waldbesitzer fordern dagegen, dass der Grundsatz Wald vor Wild in ganz Bayern konsequent und flächig umgesetzt wird. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist dies unverzichtbar, um naturnahe und zukunftsfähige Mischwälder aufzubauen. In Wäldern mit zu hoher Verbissbelastung muss deshalb der Abschuss von Reh- und Rotwild deutlich erhöht werden.
Grundsatz Wald vor Wild
Der Grundsatz Wald vor Wild bedeutet, dass die Verjüngung aller standortheimischen und standortgemäßen Baumarten, die für einen gesunden und den Klimawandel trotzenden Mischwald nötig sind, ohne besondere Schutzmaßnahmen durch eine entsprechende Bejagung der Schalenwildbestände sicherzustellen ist. Dies heißt, dass der Wald als ganzes mit seinen vielen verschiedenen Schutz- und Erholungsfunktionen sowie mit seiner Einkommensfunktion für die Waldbesitzer Vorrang genießt vor einer einseitigen Hege des Rot- und Rehwildes, die hohe Wildbestände oder nur Jagdvergnügen zum Ziel hat. Dies bedeutet nicht, dass Rehe und Hirsche im Wald unerwünscht sind, sondern dass überhöhte Bestände auf ein waldverträgliches Maß zurückzuführen sind.
Bayernweit große Verbissbelastung und -schäden
Die zentrale Forderung gemäß dem Grundsatz Wald vor Wild lautet deshalb, dass nur soviel Wild vorhanden sein darf wie Wald und Natur vertragen. „Von diesem Zustand sind wir in weiten Bereichen Bayerns und auch in unserem Landkreis Landshut leider weit entfernt“, kritisiert Ludwig Huber, 1. Vorsitzender der Waldbesitzervereinigung Landshut. Auf großen Flächen ist die Verbissbelastung so hoch, dass viele wichtige Mischbaumarten tot gebissen werden oder als „Bonsai-Bäumchen“ dahin vegetieren und von den Fichten überwachsen werden. Dies widerspricht eindeutig dem Grundsatz Wald vor Wild und hat verheerende ökonomische und ökologische Folgen. Dies verursacht nicht nur Verluste bei der Artenvielfalt, sondern bedeutet auch erhebliche Mehraufwendungen an Zeit und Geld für die Waldbesitzer. Im Vergleich zu einer gepflanzten und eingezäunten Kultur erspart die natürliche Waldverjüngung dem Besitzer über 5000 € pro Hektar und 200 harte Arbeitsstunden! Ein Riesenbetrag, wenn man bedenkt, dass der Wald frühestens in einer Generation zurückkommt. Gott sei Dank gibt es auch Lichtblicke, wo wunderbare Waldbilder beweisen, was handwerklich gute und für den Wald engagierte Jäger vollbringen könnten.
Zu hoher Verbiss ist schon seit Jahrzehnten bekannt, es fehlt die Umsetzung
Die Verbissbelastung ist in Bayerns Wäldern schon seit Jahrzehnten zu hoch. Seit 2003 ist eine Verschlechterung bzw. Stagnation auf zu hohem Niveau festzustellen. Regelmäßig wird dies von den amtlichen Vegetationsgutachten festgestellt und auch der ORH monierte dies seit Jahrzehnten. In seinem Jahresbericht 2009 stellt der ORH große Vollzugsdefizite bei den Unteren Jagdbehörden fest und fordert sogar eine Zuständigkeitsverlagerung an die Unteren Forstbehörden. „Wir Waldbauern sind gerade in Zeiten des Klimawandels darauf angewiesen, dass die Jagd- und Forstbehörden Wald vor Wild konsequent umsetzen und den Vollzug auch überwachen, damit wir naturnahe und zukunftsfähige Mischwälder begründet können“, so Michael Lechner, 1. Vorsitzender der Waldbesitzervereinigung Holzkirchen.
BJV verfolgt einseitige Lobbyinteressen gegen Waldbesitzer und Gesellschaft
Der Bund Naturschutz und viele Waldbesitzer haben es begrüßt, dass der Bayerische Landtag einstimmig den Grundsatz Wald vor Wild in das Bayerische Waldgesetz aufgenommen hat. Dies geschah mit Votum von Professor Jürgen Vocke, der als Landtagsabgeordneter zugestimmt hat, aber als BJV-Präsident diesen Grundsatz und dessen Umsetzung seitdem ständig kritisiert. „Wir kritisieren, dass Vertreter des BJV sich ihrer Verantwortung für den Wald nicht stellen und auch ihren Teil nicht dazu beitragen, überhöhte Wildbestände abzubauen“, so Hubert Weiger, Landesvorsitzender des Bundes Naturschutz. „Doch anstatt sich dafür einsetzen, dass die immensen Probleme gelöst und die Defizite im Vollzug beseitigt werden, greifen BJV-Vertreter Angehörige der Forst- und Jagdbehörden an, die lediglich die gesetzlichen Vorgaben des Wald- und Jagdgesetzes vollziehen.“ Es überrascht deshalb nicht, dass die Kritik des Landesjagdverbandes immer dann laut wird, wenn das Vegetationsgutachten alle 3 Jahre erstellt wird und die Defizite mit objektiven Zahlen zur Verbisssituation untermauert werden. Mit dieser unsachlichen Kritik soll offensichtlich eine Kurskorrektur zu Lasten der Wälder, der Waldbesitzer und der Artenvielfalt erreicht werden. „Wir werten dies als Ablenkungsmanöver von der kritischen Verbisssituation und dem eigenen Versagen als Jagdverband in dieser Sache“, so Hans Kornprobst, Sprecher des BN Arbeitskreises Wald.
Nachwachsende Mischwälder hinter Zaun teuer und unsicher
In vielen Wäldern Bayerns gelingt es nur hinter Zäunen naturnahe, stabile Mischwälder nachzuziehen. Doch die Zäunung und die Pflanzung kosten zusammen etliche 1000 € pro Hektar, die sich die Waldbesitzer oft sparen könnten, wenn nicht überhöhte Wildbestände die Naturverjüngung verhindern bzw. stark schädigen würden. Die Zäune sind allerdings keine befriedigende Lösung, weil sie teuer sind, weil nicht alles gezäunt werden kann und weil sie vor allem oft nicht wilddicht gehalten werden können. „Für uns als großer kommunaler Waldbesitzer in Unterfranken sind angepasste Wildbestände die entscheidende Voraussetzung, damit wir unsere Laubwälder naturnah bewirtschaften und ohne Zaun verjüngen können“, so Ernst Prüße, Erster Bürgermeister der Stadt Lohr am Main. „Viele Mischbaumarten, die wir in unseren buchenreichen Wäldern aus ökonomischen und ökologischen Gründen dabei haben wollen, würden ohne angepasste Wildbestände gemäß dem Grundsatz Wald vor Wild nicht hochkommen“, so Bernhard Rückert, Betriebsleiter des Stadtwaldes Lohr.
Landespolitik muss jahrzehntelange Defizite in Bayerns Wälder endlich abstellen
Der BN und die Vertreter des Waldbesitzes fordern die Bayerische Staatsregierung und die Parteien im Bayerischen Landtag auf, sich deutlich zu dem Grundsatz Wald vor Wild zu bekennen und eine konsequente und flächige Umsetzung sicherzustellen.
Dies bedeutet im Einzelnen:
· der Aufbau von gemischten Wäldern muss ohne Schutzmaßnahmen möglich sein
· die Rechte des einzelnen Waldbesitzers haben Vorrang vor jagdlichen Interessen
· die vielfältigen gesellschaftlichen Gemeinwohlinteressen an gemischten, artenreichen Wäldern haben Vorrang vor jagdlichen Interessen
· über die Bewirtschaftung seines Waldes entscheidet im Rahmen der Gesetze allein der Eigentümer
· über die Anwendung der gesetzlich zugelassenen Jagdarten und –methoden entscheidet in seinem Revier allein der Jagdausübungsberechtigte
· die Stellung des Forstlichen Vegetationsgutachten wird gestärkt, es bleibt die wesentliche Grundlage für die Abschussfestsetzung
· um die Vollzugsdefizite abzustellen müssen die gesetzlichen Vorgaben bei der Abschussplanung konsequenter von den Höheren und Unteren Jagdbehörden umgesetzt werden, so wie es z.B. die Regierung von Niederbayern mit Ihrem Schreiben vom 17.02.10 getan hat
· die hegemeinschaftsweisen Vegetationsgutachten werden künftig durch revierweise Gutachten ergänzt, die die örtliche Verbissbelastung für jedes Jagdrevier ermitteln
Sollte sich an der in weiten Teilen Bayerns festgestellten Verbisssituation nichts ändern, ist nach Ansicht des BN der Vorschlag des Obersten Rechnungshofes zur Verlagerung der Zuständigkeiten der Unteren Jagdbehörden auf die Ämter für Landwirtschaft und Forsten umzusetzen.
Für Rückfragen:
Richard Mergner, Landesbeauftragter Bund Naturschutz
Tel. 0911 / 81 87 8-15 Fax 0911 / 86 95 68