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Ortsumfahrung Reisbach: Symbol für Bayerns verkehrte Straßenbaupolitik

Bund Naturschutz fordert Energieeinsparung auch im Verkehrssektor und einen wirksamen Naturschutz statt Geldverschwendung und Zerstörungen durch unsinnigen Straßenbau

18.08.2011

Um die Ziele der beschlossenen Energiewende zu erreichen, müssen neben der Energieeinsparung, der Verbesserung der Energieeffizienz und dem Ausbau der Erneuerbaren Energien auch im Verkehrsbereich die Verkehrsvermeidung, attraktive Angebote mit Bussen und  Bahnen auch im ländlichen Raum konsequent umgesetzt werden. Der Verkehrssektor verbraucht rund 30 Prozent der Endenergie in Deutschland, wobei der Straßenverkehr mit über 80 Prozent den weitaus größten Anteil hat. „Statt immer neue Straßen brauchen wir eine Wende in der Verkehrspolitik mit Priorität für den Erhalt des bestehenden Straßennetzes sowie den Ausbau und die Verbesserung des öffentlichen Verkehrssystems, auch im Landkreis Dingolfing-Landau“, betonte Richard Mergner, der Landesbeauftragte des BN.

Angesichts leerer Haushaltskassen und dem enormen Nachholbedarf für die Erhaltung der bayerischen Staatsstraßen, wofür Innenminister Joachim Herrmann rund 720 Millionen Euro veranschlagt, sind die Kosten von über 7,5 Millionen für eine neue, naturzerstörende  Umfahrungsstraße in Reisbach nicht vertretbar. Auch im bisherigen Entwurf des Ausbauplans für Staatsstraßen ist die Ortsumfahrung Reisbach nur mit der Dringlichkeit 2 eingestuft, was einen Bau nach 2025 bedeuten würde, und sie hat mit der Bewertung „Null“ bei der Raumwirksamkeit keinerlei übergeordnete Bedeutung. Um das Vorhaben dennoch zu realisieren soll es zu 70 Prozent aus Mitteln des Förderprogramms „Staatsstraßenumfahrungen in gemeindlicher Sonderbaulast“ finanziert werden. Der Freistaat selbst, der eigentlich für den Staatsstraßenbau zuständig ist, sieht dafür in absehbarer Zeit jedenfalls keinen Bedarf. „Wir fordern daher, keine weitere Verschwendung von Steuermitteln für dieses ökologisch und verkehrspolitisch unsinnige Straßenprojekt und appellieren an die Marktgemeinde, das Vorhaben endgültig in der Mottenkiste zu versenken. Sie sollte sich stattdessen für ein nachhaltiges, Klima schonendes und Sprit sparendes Gesamtverkehrskonzept für den Landkreis einsetzen“, fordert Peter Hirmer, BN-Kreisvorsitzender von  Dingolfing-Landau.

Gerade der Heimatlandkreis und die Heimatgemeinde von Erwin Huber, dem Vorsitzenden des Wirtschafts- und Verkehrsausschusses im Bayerischen Landtag, wäre für eine derartige Initiative prädestiniert.

Mit der 3,6 Kilometer langen Umfahrung wären aber auch massive Beeinträchtigungen des Naturhaushalts und des Landschaftsbilds verbunden. „Insbesondere im Bereich des Schleifmühlbaches würde ein hochwertiger Lebensraumkomplex und eine wichtige Verbundachse für Feuchtlebensräume zerschnitten“, betonte Kurt Schmid, der BN Regionalreferent für Niederbayern. Hinzu käme der Verlust landwirtschaftlicher Flächen sowie eine völlige Entwertung und optische Überprägung des reizvollen Landschaftsraums südlich von Reisbach.

Seit über neun Jahren plant die Marktgemeinde Reisbach an einer Südumfahrung des Ortes im Zuge der Staatsstraße 2083. Genauso lange kämpft die BN-Kreisgruppe Dingolfing-Landau zusammen mit der örtlichen Bürgerinitiative “Keine Ortsumgehung“ gegen dieses Natur und Landschaft zerstörende Projekt. Im April hat der Gemeinderat den überarbeiteten Bebauungsplan für die Ortsumfahrung beschlossen. Die ursprüngliche Planung war im März 2010 vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wegen naturschutzrechtlichen Defiziten für unwirksam erklärt worden.

Der Bund Naturschutz kritisiert die fehlende Planrechtfertigung und bezweifelt eine ausreichende Entlastungswirkung, die die vorprogrammierten Eingriffe in bisher ruhige Landschaftsräume und die neuen Belastungen der dort lebenden Menschen rechtfertigen könnten. „Die angestiegene Verkehrsbelastung wird nicht vom Durchgangsverkehr verursacht, der weitgehend stabil blieb, sondern primär durch die Ansiedlung der drei Verbrauchermärkte am Kreisverkehr am östlichen Ortsrand“, erklärte Peter Hirmer. Ein Großteil des Verkehrsaufkommens in Reisbach ist daher hausgemacht. Es fehlt weiterhin ein überregionales Verkehrskonzept mit natur- und umweltverträglicheren Alternativen.

Von der Südumfahrung wären zudem wertvollste Lebensräume von landesweiter Bedeutung und streng geschützte Tierarten wie Wiesenknopfameisenbläuling, Gelbbauchunke, Schmale Windelschnecke, Haselmaus und Kammmolch direkt betroffen. Für sie würde das Straßenbauprojekt mit großer Wahrscheinlichkeit das Aus im Reisbacher Lebensraum bedeuten. Die geplanten und teilweise bereits begonnenen vorgezogenen „Schutzmaßnahmen“ gleichen die Eingriffe in die Natur nicht aus, sondern gefährden im Gegenteil weitere Biotopbereiche, kritisiert Hirmer. Er kündigte an, dass die BN-Kreisgruppe weiter für den Erhalt der Biotopkomplexe im Süden von Reisbach, vor allem auch am Schleifmühlbach, kämpfen wird. Dazu werden alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, die dem BN zur Verfügung stehen. Zudem wird die Kreisgruppe, wie bisher auch, die Bürgerinitiative im Klageverfahren mit Rat und Tat unterstützen.

Dr. Artur Steinhauser, Sprecher der Bürgerinitiative „Keine Ortsumgehung“ bekräftigte ebenfalls die Ablehnung des Straßenbauprojektes. „Die betroffenen Grundstückseigentümer werden sich mit allen rechtlichen Mitteln widersetzen“, so Steinhauser. Er zeigte sich überzeugt, dass die Bürgerinitiative vor Gericht auch erfolgreich sein wird, weil die Marktgemeinde Reisbach europäisches Artenschutzrecht wieder nur unzureichend umgesetzt habe. Die vorgesehenen Tümpel und Buschbestände für Kammmolch und Haselmaus sind aus naturschutzfachlicher Sicht ungeeignet. Ein Baubeginn für die Südumgehung Reisbach wäre aber erst dann möglich, wenn diese vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen tatsächlich wirksam werden.

Weitere Kritikpunkte des BN am Aufstellungsverfahren sowie am Bebauungsplan schilderte Peter Hirmer. Er nannte es einen schweren Verstoß gegen die Anhörungsrechte des BN, dass mit den vorgezogenen Ausgleichsmaßnahmen schon vor dem Abschluss der Öffentlichkeitsbeteiligung begonnen wurde. „Wie kann ein Marktgemeinderat vorgebrachte Einwendungen sachgerecht abwägen, wenn draußen der Bagger bereits vollendete Tatsachen geschaffen hat“, so der BN-Kreisvorsitzende. Besonders interessant sei in diesem Zusammenhang, dass die Maßnahme auch ohne die erforderliche behördliche Plangenehmigung begonnen wurde. Auch die Tatsache, dass die dem BN zugeleiteten Unterlagen aufgrund von veralteten Rechtsgrundlagen erstellt wurden, könnte bei der gerichtlichen Überprüfung durchaus noch eine Rolle spielen. Weiter könne die Marktgemeinde Reisbach die Entscheidung für eine Umgehungstrasse nicht aufgrund von unvollständigen und völlig veralteten naturschutzfachlichen Unterlagen treffen. Für eine große Anzahl an Arten wurden keinerlei aktuelle Kartierungen durchgeführt, obwohl die amtliche Biotopkartierung teilweise über 20 Jahre alt ist.

Darüber hinaus soll in sensible Quellbereiche eingegriffen werden, obwohl bis heute das entsprechende hydrogeologische Fachgutachten fehlt. Bei der Erstellung der Ausgleichsbiotope hat dies bereits zu negativen Auswirkungen für den Grundwasserhaushalt der angrenzenden Biotopbereiche geführt. Noch größere Eingriffe in den Wasserhaushalt sind durch den eigentlichen Straßenbau zu erwarten. Der Bund Naturschutz wird die entsprechenden Wasserrechtsverfahren deshalb kritisch begleiten, kündigte Peter Hirmer an.

Für Rückfragen:

Kurt Schmid
Regionalreferent für Niederbayern, Tel.: 089/548298-88

Peter Hirmer
Vorsitzender der BN Kreisgruppe Dingolfing-Landau, Tel.: 09952/1697

Dr. Artur Steinhauser
Sprecher der Bürgerinitiative, Tel.: 08725/967723