Der Nürnberger Reichswald - biologische Vielfalt oder Monokultur?
Seit 20 Jahren wird von der AG Geobotanik am Lehrstuhl für Molekulare Pflanzenphysiologie unter Leitung von Prof. Dr. Werner Nezadal verstärkt die Vegetation des Nürnberger Reichswaldes untersucht. Neben 16 Diplom- und Zulassungsarbeiten wurde auch eine Dissertation verfasst. Mit der Vorstellung einer Vegetationskarte der Grünen Lunge des Ballungsraums können jetzt erstmals statistische vegetationskundliche Daten für den gesamten Nürnberger Reichswald von Erlangen bis Allersberg präsentiert werden. Teilweise hat der Bund Naturschutz über Fördermittel des Bezirks Mittelfranken und die Staedtler Stiftung das Vorhaben unterstützt.
Anteile von Baumarten und Lebensraumtypen
Nach wie vor ist die Kiefer mit einem Anteil von 65% an der Baumschicht die häufigste Baumart. Zusammen mit der Fichte liegt der Nadelholzanteil bei 81% und damit über allen Schätzungen ursprünglicher Baumartenverteilung oder den Aussagen von Untersuchungen zur Potenziellen Natürlichen Vegetation im Gebiet. Der Nadelholzanteil dürfte demnach unter natürlichen Gegebenheiten bei 10 - 20% liegen. Die Laubbäume könnten einen Anteil von mindesten 80% erzielen. Besonderen Anlass zur Diskussion bietet das potenzielle Verhältnis von Eiche und Buche, die aktuell auf 4,5% bzw. 2,5% der Fläche stocken. Ergeben sich auf lehmigen Böden des Burgsandsteins Vorteile für die Buche, so scheint sich die Eiche auf den Schwemm- und Flugsanden besser durchsetzen zu können. Vor allem fehlt der Buche die Verjüngungskraft in Nadelholzforsten.
Neue Waldgeneration im Sebalder und Lorenzer Wald
In den letzten Jahrzehnten wurden etwa die Hälfte der Altbestände aus Kiefer und Fichte im Rahmen des Reichswaldunterbauprogrammes durch die früheren Forstämter, heute durch den Forstbetrieb Nürnberg mit standortgerechten Laubhölzern wie Eiche, Buche, Hainbuche und Linde unterbaut. Reine Nadelholzbestände ohne Laubhölzer werden mittelfristig zur Seltenheit werden.
Regionale Besonderheiten
51% der Wälder des Gebiets werden vom großflächig vorkommenden Weißmoos-Kiefernwald (Leucobryo-Pinetum) einschließlich seiner ökolo¬gischen Varianten gebildet. Somit prägt der trockene oder wechselfeuchte Kiefernwald das Erscheinungsbild des Reichswalds. Charakteristisch sind auch die Flechten-Kiefernwälder auf Bleicherden über Flugsand, deren Bestand durch Sukzession und atmosphärischen Stickstoffeintrag gefährdet ist.
Dieser Waldtyp kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit natürlicherweise vor allem in Nordbayern und hier wieder im Nürnberger Reichswald vor. Der Flechten-Kiefernwald mit am Boden wachsenden Rentierflechten ist vor allem im Lorenzer und Südlichen Reichswald verbreitet.
Weiterhin sind die trockenen Eichenwälder mit vielen Zwergsträuchern (Hainsimsen-Eichenwald) und die feuchte Form mit der Seegras-Segge (Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald) für das sandige Nürnberger Becken typisch.
Naturnähe der Waldbestände
12 Assoziationen bzw. 16 der ermittelten 40 Kartiereinheiten können als Elemente der Potenziellen Natürlichen Vegetation, also einer Vegetation betrachtet werden, die auch ohne den Einfluss des Menschen vorhanden wäre. Diese Gesellschaften erreichen aktuell einen Flächenanteil von nur 12,7%.
Dass über 80% der Vegetationsbestände ohne wertvolle Totholz-Strukturen auskommen müssen und in mehr als 60% der Fläche keine natürliche Bestandsverjüngung erfolgt, kann ein Hinweis auf einen Mangel naturnaher Strukturen sein.
Die Inventuren zur Forsteinrichtung der früheren Forstämter Nürnberg, Altdorf, Feucht und Erlangen zeigen ein anderes Bild und weisen Totholzvorräte von 2 bis 8 Festmeter pro Hektar im Durchschnitt auf.
Eine Schätzung der Hemerobie (Einfluss des Menschen auf das Ökosystem) zeigt für den Reichswald, dass ca. 15% der Waldbereiche als naturnah und weitere 43% als mäßig vom Menschen beeinflusste, strukturarme Bestände bewertet werden können. Die restlichen Flächen werden von intensiv genutzten Forsten oder gebietsfremden Bäumen bestockt.
Effektivität der Schutzgebiete
Die Schutzwürdigkeit der Vegetation des Reichswalds wurde gemäß den Vorgaben des Art. 13d BayNatSchG und der FFH-Richtlinie (Anhang I) bewertet. Sieben Schutzgebiete mit einem Flächenumgriff von 3052 ha oder 8,4% sind ausgewiesen. Daneben besteht ein SPA-Gebiet (Special Protected Area nach der EG-Vogelschutzrichtlinie), das fast den gesamten Reichswald abdeckt. Jedoch ist nur ein geringer Teil der Vorkommen geschützter Pflanzengesellschaften von den Schutzgebieten erfasst. Insbesondere Laubwälder, und darunter wieder die Eichen- und Buchenbestände, sind in den Schutzgebieten stark unterrepräsentiert. Gerade die mangelnde Berücksichtigung der Eichenwälder bei der FFH-Richtlinie muss in der Fachwelt verstärkt diskutiert werden.
Künftige Forschungsaktivitäten im Reichswald
Aktuell wird in einer interdisziplinären Arbeitsgruppe mit Beteiligung der Bodenkunde und Geographie an einem Modell der Potenziellen Natürlichen Vegetation für den Nürnberger Reichswald gearbeitet. Ziel ist es dabei ein differenziertes Leitbild für einen stabilen und naturnahen Reichswald der Zukunft zu entwickeln.
Dabei interessiert besonders der Einfluss klimatischer und geologisch-bundenkundlicher Rahmenbedingungen auf die Konkurrenzkraft der Baumarten. In der Fachwelt wird intensiv darüber diskutiert, welches Verhältnis Eiche / Buche der natürlichen Vegetation weitgehend entspricht. Unabhängig von dieser Frage ist der Laubholzanteil im Reichswald - abgesehen von Kiefersonderstandorten - zu erhöhen..
Künftige forstliche Planung im Reichswald
Für den Forstbetrieb Nürnberg wird momentan eine Zustandserhebung der Bestände, des Zuwachses und verschiedener anderer Parameter durchgeführt, aufgrund derer die künftige Bewirtschaftung neu geregelt wird. Dabei wird insbesondere der jährlich zulässige Einschlag im Hinblick auf die Nachhaltigkeit geregelt. Für die Begründung naturnaher Mischbestände werden standortgemäße Baumartenanteile für die künftigen Wälder festgelegt. Die Bestockungsziele orientieren sich weitgehend an der Potentiellen Natürlichen Vegetation.
Zugänglichkeit der Ergebnisse
"Die Aktuelle Vegetation des Nürnberger Reichswaldes" wird in ca. 4 Wochen als wissenschaftliche Publikation beim M. Galunder Verlag/Nürmbrecht erscheinen. Eine populärwissenschaftliche Zusammenfassung der Ergebnisse ist mit einem regionalen Partner geplant. Gespräche mit der Naturhistorischen Gesellschaft Nürnberg finden gerade statt.