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Tiere und Pflanzen

Natura 2000 ist wichtiger denn je

Fortschreibung der Roten Listen belegt dramatischen Artenschwund

06.04.2004

Am vergangenen Freitag stellte das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) auf einer Fachtagung in Augsburg nach 10 Jahren die erste umfassende landesweite Fortschreibung der "Roten Listen" vor. Das Ergebnis ist schlimmer als es selbst die Fachleute des BN befürchtet hatten. Dem Verzeichnis der in Bayern gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen mussten zahlreiche neue Arten hinzugefügt werden. Selbst noch vor Jahren häufige "Allerweltsarten" der offenen Agrarlandschaft wie Feldlerche, Grasfrosch oder Goldammer stehen nun auf der Roten Liste! Der Gesamttrend der Artenvielfalt in Bayern geht in erschreckender Dramatik rasant bergab.

Als zentrale Gründe wurden vom LfU die anhaltende Intensivierung auf landwirtschaftlichen Nutzflächen und der galoppierende Flächenverbrauch für Straßen, Siedlung und Gewerbe benannt. Und ebenso deutlich wurde auf der Tagung als entscheidende Gegenmaßnahme gefordert, die Kürzung der staatlichen Naturschutzförderprogramme zurückzunehmen und das europäische Schutzgebietssystem "Natura 2000" mit FFH- und Vogelschutzgebieten umfassend und rasch zu realisieren, um den Artenschwund zu stoppen!

Der Bund Naturschutz (BN) bedauert angesichts dieser für Bayern verheerenden Naturschutzbilanz, dass der Bayerische Bauernverband (BBV) wei-terhin die Ausweisung europäischer Schutzgebiete (FFH und Vogelschutzgebiete) für "Natura 2000" verhindern will. In einer "Weigenheimer Erklärung" vom 1.04.2004 fordert der BBV weitgehenden Verzicht auf solche Schutzgebiete, was das Artensterben in der Region beschleunigen würde.

Natura 2000 ist ja nicht wie vom BBV behauptet, ein von der EU von "oben" verordnetes Vorhaben, sondern entstand 1992 unter deutscher EU-Präsidentschaft nach fünfjähriger Diskussion im Rat und im europäischen Parlament mit einstimmigem Beschluss der Minister aller Mitgliedstaaten. 1992 stimmte die Bundesregierung, damals CDU/CSU zu, 1988 das Land Bayern im Bundesrat. Der bayerische Landtag beschloss 1995 und ähnlich 2000: "die Staatsregierung wird ersucht darauf hinzuwirken, dass die Umset-zung der FFH-Richtlinie in nationales Recht mit Nachdruck vorangetrieben wird und dass die Länder noch im Jahr 1995 Schutzgebiete an den Bund melden". Mittlerweile ist aber die Umsetzung dieser EU-Richtlinie um Jahre verschleppt, die EU hat gegen Deutschland Klageverfahren eingeleitet.

Der Freistaat Bayern hat von Experten der EU bereits im November 2002 bestätigt bekommen, dass die im Jahre 2000 gemeldeten Gebietsflächen hinten und vorne nicht ausreichen. Es sind v.a. die Flächen und Biotope, die damals aufgrund der massiven Einsprüche von Politik und Landwirtschaft beim "Dialogverfahren" 2000 entfallen waren. Deutschland und Bayern haben sich aber für die Umsetzung dieser europäischen Schutzidee verpflichtet. Nun weiß auch die Staatsregierung, dass eine erneute Aufweichung der Gebietsmeldungen nicht noch einmal möglich ist. In 2004 dürfen die Gebiete wirklich nur nach naturschutzfachlichen Kriterien ausgewählt werden und nicht nach den Wünschen verschiedener Landnutzer - das haben mehrere Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes bestätigt!

Diese veränderte Situation wird von vielen Verantwortlichen leider noch nicht erkannt. Die Argumente gegen FFH gleichen denen aus dem Jahr 2000. Darunter auch das Abstreiten einer Möglichkeit, die Land- und Forstwirte finanziell zu honorieren, die Flächen in FFH-Gebieten haben. Während unsere Nachbarländer Hessen und Thüringen längst FFH-Prämien ihren Landwirten gewähren und es dort keine Proteste wie in Bayern gibt, wird in Bayern eine vom Landwirtschaftsministerium beantragte und bereits im September 2000 von der EU genehmigte und von 2001 bis 2006 mit über 14 Mio € ausgestattete FFH-Prämie aus rein politischen Gründen nicht vollzogen. Der BN, der diese Honorierung von Landwirten in FFH-Gebieten seit über einem Jahrzehnt fordert, appelliert an den BBV sich im Interesse der betroffenen Land-wirte endlich gemeinsam für diese FFH-Prämie auch in Bayern einzusetzen! Es hängt also nicht wie in der "Weigenheimer Erklärung" dargestellt von "Bürgschaften" des BN ab, ob es derartige Ausgleichszahlungen gibt, sondern vom politischen Wollen des Bauernverbandes.

Christine Wolf-Mutzke: "Landschaftspflege ist keine Selbstverständlichkeit! Wir vom Bund Naturschutz unterstützen alle Bemühungen die von FFH-Gebieten betroffenen Landwirte und Waldbesitzer in den Genuss der FFH-Prämie kommen zu lassen. Es ist unser natürliches Anliegen als Natur-schutzverband mit dafür Sorge zu tragen, dass der natürliche Reichtum an Arten in unserem Landkreis bewahrt wird. Dies ist unsere gemeinsame Ver-antwortung, die nicht zum Nachteil Einzelner werden darf."

"Bürgschaften" müßte vielleicht der BBV übernehmen, wenn durch seine Blockadepolitik gegen "Natura 2000" Deutschland wegen Nichteinhaltung der FFH-Richtlinie vom Europäischen Gerichtshof verurteilt wird. Dann drohen nächstes Jahr bis zu 800.000 € Strafgelder - pro Tag und rückwirkend! Das sollten dann aber nicht die Steuerzahler, sondern die aufbringen, die das eu-ropäische Schutzgebietssystem aushöhlen wollen.

Der BN ist sich jedoch mit dem BBV einig bei der Kritik an der Informationspolitik der Bayerischen Staatsregierung. Kai Frobel, Artenschutzreferent des Landesverbandes: "Die Informationspolitik Bayerns über Natura 2000 ist schlicht miserabel. Die Landwirte werden über die tatsächlichen Wirkungen von FFH und auch über die Chancen als Förderkulisse der Zukunft nicht informiert. Das sogenannte Dialogverfahren wird völlig überraschend noch einmal verschoben, wie jüngst aus dem Bayerischen Kabinett bekannt wurde. Es soll jetzt erst deutlich nach Pfingsten stattfinden und kann sich bis in den August ziehen."

Damit wird "Natura 2000" weiter verschleppt. Die Unterlagen der Fachbehör-den waren schon vor der Landtagswahl im vergangenen Herbst fertig und nun verschiebt man es "zufällig" bis nach der Europawahl. Wieder einmal sind politische Erwägungen wichtiger als Belange der Natur oder auch drän-gende Fragen der Landwirte. Der BN fordert die Staatsregierung und die Landratsämter auf, die Zeit bis zum Dialogverfahren, wo es vorrangig eher um einzelne Gebietsabgrenzungen geht, endlich für eine breite und objektive generelle Information über "Natura 2000" zu nutzen und nicht bis zum Juni "auf Tauchstation" zu gehen. Der BN wird sich an der überfälligen Diskussion gerne konstruktiv beteiligen und wiederholt sein Gesprächsangebot an die Landwirte und Kommunalpolitiker!