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Veranstaltung des Bürgerwaldforums am 23. Oktober 2002 in Garmisch-Partenkirchen

Bürgerwaldforum

23.10.2002

Der Bund Naturschutz in Bayern e.V., der Deutsche Alpenverein e.V., die Bayer. Gebirgs- und Wandervereine e.V., die Interessengemeinschaft Kommunaler Trinkwasserversorgung e.V., der Landesbund für Vogelschutz e.V. und die Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft haben sich zum Bürgerwaldforum zusammengeschlossen, um die Gemeinwohlfunktionen im Bayerischen Staatswald (Bürgerwald) zu sichern und Bestrebungen, den Wald des Bayerischen Volkes zu privatisieren, entschieden entgegenzutreten.

Das Bürgerwaldforum veröffentlicht alljährlich einen Bürgerwaldbericht, der sich mit wichtigen Themen des Bürgerwaldes befasst und die Interessen der Bürger Bayerns an "ihrem Wald" verdeutlicht.

Demnächst erscheint der neue Bürgerwaldbericht.

Vorab wird anlässlich der Bürgerwaldveranstaltung am 23. Oktober über zentrale einzelne Themen aus dem neuen Bürgerwaldbericht informiert:


1. Forstreform ohne wirtschaftlichen Erfolg - Gemeinwohlinteressen in Gefahr

Im Jahr 1995 hatte der Bayerische Ministerrat ein umfassendes Reformkonzept für die Bayerische Staatsfortverwaltung beschlossen. Der Beschluss sah eine konsequente unternehmerische Ausrichtung und eine gewinnorientierte Führung nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen vor.
Diese Zielsetzung zeigt bereits gravierende negative Auswirkungen:


  • 23 Forstämter und 93 Forstreviere wurden im Zeitraum von 1992 bis zum Jahr 2000 aufgelöst, die Förster als Ansprechpartner für den Bürger vor Ort werden immer weniger.

  • Der Holzeinschlag (zur Zeit 4,4 Mio. fm) wurde dermaßen erhöht, dass die Nachhaltigkeit in Frage gestellt wird und Raubbau an den Wäldern der Allgemeinheit befürchtet werden muss.

  • Die Interessen der waldbesuchenden Bürger und der vorbeugende Hochwasserschutz werden dem Einsatz von Großmaschinen geopfert.



Die bislang erhofften Gewinne blieben zudem aus. Nur finanzielle Umschichtungen erlaubten der Forstverwaltung ein bescheidenes Plus von jährlich unter einer Million Euro. Gemessen am Gesamthaushalt des Freistaats Bayern (ca. 35 Mrd. Euro) bewegt sich dieser Betrag im Promillebereich.

Das Bürgerwaldforum wird sich deshalb mit Nachdruck für eine Korrektur dieser Zielsetzung einsetzen. Im Staatswald, dem Wald der Bürger, sollen vorrangig wieder die Gemeinwohlfunktionen erfüllt werden. Der Schutz von Trinkwasser durch Verzicht auf die chemische Behandlung verkaufsfertigen Holzes, das Belassen von Spechtbäumen als Lebensraum für Waldarten, die oft bereits auf der Roten Liste stehen, oder der aktive Hochwasserschutz müssen wieder erste Priorität erhalten.

Die dauerhaften Übernutzungen im Staatswald stellen zudem einen eklatanten Verstoß gegen das Nachhaltigkeitsprinzip und internationale Vereinbarungen dar.


2. Förster gehören in den Wald und nicht auf´s Arbeitsamt

Weitere Einsparungen auf der Aufwandseite würden andererseits die Erfüllung der Gesamtaufgaben der Forstverwaltung gefährden. So steht zu befürchten, dass mit weiter sinkendem Personal Aufgaben wie die Waldpädagogik, die bislang ausgesprochen kostengünstig miterledigt wird (Synergieeffekt), nicht mehr erfüllt werden können.

Im Bereich der Waldarbeit muss darüber hinaus dafür gesorgt werden, dass nicht weiter sozial abgesicherte Arbeitsplätze im ländlichen Raum durch ortsfremde Unternehmer ersetzt werden.

1990 wurden noch 4.694 Waldarbeiter beschäftigt, im Jahr 2000 waren es nur mehr 2.234, damit wurden mehr als 50 % der Arbeitsplätze eingespart.


3. Politiker lassen sich von Hobbyjägern auf Kosten der Allgemeinheit missbrauchen

Der Fall "Freising", wo sich Minister Wiesheu unter Missachtung der Interessen des Bürgerwaldes für waldfeindliche, aber jägerfreundliche Jagdregelungen ausgesprochen hat, zeigt wie die Lobby der Hobbyjäger Politiker gegen die Interessen des Bürgerwaldes instrumentalisiert.
Mit solchen Aktionen werden die Bemühungen der Forstleute, den Bürgerwald von überhöhten Schalenwildbeständen zu entlasten, zunichte gemacht. Die im Vergleich zu privaten und kommunalen Jagdrevieren deutlich besseren Verbissergebnisse im Bürgerwald sind dadurch gefährdet.

Auch hat das Land Bayern im Bundesrat wieder einmal dagegen gestimmt, als die Angleichung der Jagdzeiten des weiblichen und männlichen Rehwildes zur Abstimmung stand. Damit hat Bayern die Chance verpasst, bewährte Jagdmethoden wie die Bewegungsjagd effizienter zu machen.


4. Wasserrückhaltefunktion wird Großmaschinen geopfert

Eine wichtige Aufgabe des Bürgerwaldes ist der Schutz vor Hochwasser und die Sicherung der Trinkwasservorräte. Diese wichtige Gemeinwohlaufgabe wird nach wie vor zu wenig beachtet.
So sollte es selbstverständlich sein, dass in den Trinkwassereinzugsgebieten eine trinkwasserorientierte Waldbewirtschaftung erfolgt und nicht überlegt werden, welche Insektizide in den Wasserschutzgebietszonen eingesetzt werden dürfen.

Zum Schutz vor Hochwasser müsste ein Sofortprogramm aufgelegt werden, um möglichst lange Niederschlagswasser im Wald zu halten und nicht auf schnellstem Weg den Vorflutern zuzuführen. Die Wasserrückhaltemöglichkeiten im Wald sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Im Bürgerwald sollte dies vorrangig geschehen.

Die Staatsforstverwaltung stellt Finanzmittel für beschädigte Wege zur Verfügung, nicht jedoch für Maßnahmen für einen aktiven Hochwasserschutz, z.B. für den Rückbau von Wegen, den Einbau von Durchlässen, um Wasser im Wald zu halten, den Bau von Hochwasserrückhalteanlagen und die Wiedervernässung von Feuchtstandorten.

Ferner werden immer mehr Großmaschinen zur Holzernte eingesetzt, für die ein völlig neues Feinerschließungssystem angelegt wird (Rückegassen in der Falllinie). Das Bürgerwaldforum sieht diese Entwicklung mit äußerster Skepsis. Auch die Bereitschaft mit Insektiziden verkaufsfertiges Nadelholz zu begiften, ist noch wie vor groß.


5. Bergwaldschutz - eine zentrale Aufgabe des Bürgerwaldes



  1. Der naturnahe Waldbau muss im Gebirgswald Priorität haben. Dabei muss sich auf allen Flächen des Freistaats Bayern die Waldbestockung hinsichtlich Mischung und Struktur an den von Natur aus vorhandenen Waldaufbau weitestgehend annähern.


  2. Holznutzungen dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn die örtlichen und überörtlichen Dienststellen schriftlich festgehalten haben, dass das Aufwachsen junger Schutzwälder mit allen standortheimischen Baumarten ohne besondere Schutzmaßnahmen gesichert ist.


  3. Den Wohlfahrtsfunktionen des Gebirgswaldes entsprechend muss die Schutzwaldsanierung zur Daueraufgabe erklärt werden. Die nötigen Mittel müssen daher in einem Sonderprogramm gesichert sein, welches für mindestens 20 Jahre aufgelegt wird. Die Schutzfähigkeit des Gebirgswaldes sowie des Erfolges der Sanierungsmaßnahmen sind laufend zu kontrollieren und die Ergebnisse der Kontrollen - auch über die örtliche Situation - jährlich zu veröffentlichen.


  4. Die Bayerische Forstverwaltung bietet privaten oder kommunalen Waldbesitzern an, deren Waldfläche zu kaufen, wenn Schutzwaldsanierungsmaßnahmen und langfristige Ertragslage eine erwerbswirtschaftliche Nutzung nicht erlauben.


  5. Dasselbe gilt für den Erwerb von Flächen zur Ablösung von Waldweiderechten.


  6. Das Schalenwild im Bergwald darf in Zukunft keine jagdliche Sonderrolle mehr spielen. Es gehört zur natürlichen Fauna und ist aus diesem Grund genauso erhaltens- und schützenswert wie jede andere natürliche vorkommende Tierart. Eine jagdlich motivierte Hege des Schalenwildes muss unbedingt unterbleiben, weil die Vergangenheit hinreichend bewiesen hat, dass damit unverantwortliche Schädigungen des Waldes einhergehen (z.B. Verlust der Schutzfunktion durch Entmischung und Vergreisung der Wälder). Dort, wo es immer noch überhöhte Schalenwildbestände gibt, müssen diese umgehend auf ein waldverträgliches Maß reguliert werden.


  7. Die Großräumigkeit des Bergwaldes und die Tatsache, dass der Bergwald überwiegende im Eigentum des Freistaats Bayern steht, sind günstige Voraussetzungen für die Wiedereinbürgerung ausgerotteter Tierarten oder der Tolerierung natürlicher Zuwanderung. Hier sind vor allem zu nennen Luchs, Wolf, Bär, Fischotter, Wildkatze, Bart- und Gänsegeier.


  8. Der Neubau von Forststraßen muss endgültig unterbleiben. Vielerorts ist bereits eine hässliche Übererschließung zu verzeichnen. Neue Bringungstechniken (Seil-, Hubschrauberbringung) machen manche Straßenzüge bereits jetzt entbehrlich. Die immer wieder angeführten Gründe der Wirtschaftlichkeit für den Forststraßenbau sind nicht überzeugend, da die Holznutzung auf ausgedehnten Bergwaldarealen ohnehin hoch defizitär ist und es nicht darauf ankommt, auf jedem Hektar des Bergwaldes Holz zu nutzen.


  9. Der Bürgerwald im Hochgebirge muss vorrangig ein Ort der Ruhe und inneren Einkehr bleiben oder wieder werden. Deshalb dürfen auf keinen Fall weiter Anlagen für eine intensive Freizeitnutzung angelegt werden, wie Liftanlagen, Skipisten, Schneekanonenteiche etc. Gebiete der "Einsamkeit" sind in unserer zivilisierten Welt ein ausgesprochen seltenes Gut. Um Einsamkeit zu finden begeben sich Bürger in entlegenste Teile der Welt, weil die letzten Refugien im eigenen Land durch Erschließungseinrichtungen "verrummelt" werden.


  10. Die sich selbst überlassenen Flächen im Bergwald sollen in bemessenen Umfang erweitert werden, soweit dadurch nicht die Schutzfunktionen gefährdet werden. Dies bietet sich insbesondere dort an, wo noch tannenreiche alte Bergmischwälder vorhanden sind. Auch hochgelegene Schutzwaldbereiche, die ohnehin ökonomisch nicht sinnvoll nutzbar sind und nach Anpassung der Schalenwildbestände sich selbst überlassen werden können, sind dafür geeignet (Selbsterhaltungsfähigkeit des Bergwaldes).


  11. Im Fall von prioritären europaweit bedeutsamen Lebensräumen (FFH-Biotoptypen) sind im Alpenraum differenzierte Zielabstimmungen Schutzwald/FFH-Lebensraum nötig (z.B. Schneeheide-Kiefernwälder auf Dolomiten und Mergeln).






für die Verbände des Bürgerwaldforums

gez.
Prof. Dr. Hubert Weiger
Bund Naturschutz

gez.
Franz Speer
Deutscher Alpenverein

gez.
Bernd Raab
Landesbund für Vogelschutz