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Verzicht auf Gifteinsatz: 183 vorbildliche bayerische Kommunen behandelten Eichenprozessionsspinner ohne Gift

Umsetzung Volksbegehren „Rettet die Bienen“

13.11.2020

Ausgelöst durch zahlreiche Presseberichte über Spritzaktionen von Kommunen gegen den Eichenprozessionsspinner im Frühjahr 2020 recherchierte der BUND Naturschutz nach. Das Ergebnis war zunächst erschreckend, weil etliche Gemeinden angaben, „vorbeugend“ Pestizide gegen die Raupen einzusetzen. Eine aufgrund des Engagements des BUND Naturschutz ausgelöste Landtagsanfrage von MdL Tessa Ganserer und MdL Hans Urban (Bündnis 90-Die Grünen) erbrachte nun wertvolle Erkenntnisse aus dem Bayerischen Umweltministerium.

„Die gute Nachricht zuerst: 183 Kommunen haben die Raupen und Gespinste der Eichenprozessionsspinner ausschließlich mechanisch bekämpft und kein Gift eingesetzt. Von der kleinen Gemeinde Dittenheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen über die Kleinstadt Roth bis zur Großstadt Fürth. Das ist sehr erfreulich und hilft, gegen das Insektensterben anzugehen und trotzdem Bürgerinnen und Bürger vor den allergieauslösenden Raupenhaaren zu schützen“, so Tessa Ganserer.

Leider gibt es auch schlechte Nachrichten: Mindestens 219 Kommunen haben insgesamt über 20.000 Eichen mit Bioziden gespritzt. Negative Spitzenreiter sind Schweinfurt (1.291 Bäume!), Donauwörth (688), Rosenheim (580), Erlangen (578), Neuburg/Donau (500), Schrobenhausen (450), Nördlingen (448), Stockstadt/Main (437), Senden (420). Über 20 Prozent der Kommunen gaben an, dass sie die vorgeschriebene Abwägung, welche Methode angewandt werden kann, missachtet und gleich auf das Giftspritzen gesetzt haben. Das muss Konsequenzen haben.

Frederic Ruth, Bürgermeister der Gemeinde Uttenreuth (5.169 EinwohnerInnen; Landkreis Erlangen-Höchstadt) dazu: „Wir sind zweigleisig gefahren, haben aber im Jahr 2019 auch noch gegen die Raupen gespritzt. Den Stein ins Rollen gebracht hat Gemeinderätin Ine Heinrich. Die Abwägung der Vor- und Nachteile hat uns bewogen, nicht mehr zu spritzen. Ob wir die Probleme - gerade im Kindergartenbereich - wirklich dauerhaft lösen können mit Abflammen und Absammeln wird sich zeigen. Der uneingeschränkte Wille ist jedenfalls da.“

Dr. Thomas Jung, Oberbürgermeister der Stadt Fürth (127.748 EinwohnerInnen 2019) dazu: „Fürth ist eine der pestizidfreien Kommunen in Bayern. Wir haben immer wieder mit den Eichenprozessionsspinnern zu tun. Seit Jahren bekämpfen wir sie dort mechanisch, wo es nötig ist. 2020 war das immerhin an 300 Bäumen. Das kostet zwar etwas, aber wenn wir Biozide einsetzen würden, müssten wir zusätzlich mechanisch die Nester entfernen, das würde letztlich teurer kommen.“

„Das Volksbegehren ‚Rettet die Bienen‘ hat in etlichen Gemeinden glücklicherweise zum Nachdenken geführt. Viele Kommunen wollen sich nicht länger am Artensterben mitschuldig machen und haben auch in einer schwierigen Situation Gifte vermieden. Ihnen gilt unser Dank und sie sind Hoffnungsträger, denn sie haben gezeigt, dass es auch anders geht“, so Martin Geilhufe, Landesbeauftragter des BUND Naturschutz in Bayern e.V.

Der BUND Naturschutz appelliert an alle Kommunen, im nächsten Jahr keine Gifte mehr einzusetzen, sondern die Nester ausschließlich mechanisch zu beseitigen. In der Landwirtschaft werden weiterhin gigantische Mengen Pestizide eingesetzt und neuerdings wird auch im Forst gegen Schwammspinner gespritzt. Über 20.000 gespritzte Bäume in Städten heißt aber auch, dass nun auch insektenfressende Vögel und Fledermäuse in Städten immer weniger Nahrung finden. Denn die alten Eichen gelten als besonders wertvolle Insektenlebensräume, aber nur, wenn sie nicht gespritzt werden. Mehr als 2.000 Arten wie der der Braune und der Blaue Eichen-Zipfelfalter oder der Hirschkäfer sind auf Eichen nachgewiesen.

Die Landtagsanfrage und die Antwort des Bayerischen Umweltministeriums

Die Anfrage, die (zwei) Antworten des Umweltministeriums und eine detaillierte Auswertung mit Angabe aller Gemeinden findet man unter

https://www.bund-naturschutz.de/natur-und-landschaft/eichenprozessionsspinner-bekaempfen-ohne-gift.

Erfreulich: 264 bay. Kommunen haben im Frühjahr 2020 Raupen und Nester an mindestens 5.603 Bäumen mechanisch entfernt, 81 Kommunen davon spritzten auch Biozide.

183 Gemeinden bekämpften Raupen und Nester an 3.796 Bäumen ausschließlich mechanisch und damit deutlich insektenfreundlicher.

Weil sie trotz vieler befallener Bäume mechanisch behandelten sind unsere positiven Spitzenreiter:

  • Bayreuth (378 Bäume mechanisch behandelt)
  • Fürth (ca. 300)
  • Teublitz, Lkr. Schwandorf (ca. 300)
  • Neumarkt/Opf. (über 250)
  • Weiden/Opf. (203)
     

Über 219 bay. Kommunen haben eines der beiden zugelassenen Biozide „Neem Protect“ (aus Extrakt des Neembaumes) und „Foray ES“ (aus Bacillus thuringeniensis kurstaki) gegen den Eichenprozessionsspinner gespritzt.

Alle davon haben angegeben, vorher eine Untersuchung des Befalls durchgeführt zu haben (100%). Aber nur 174 Kommunen führten vorher eine Abwägung der Behandlungsmethoden durch (ca. 79%), bei der geklärt wird, ob Absperren ausreicht, ob mechanische Behandlung möglich ist und - zuletzt – ob gespritzt werden darf. Dies ist nach den Anwendungsbestimmungen für die Biozide vorgeschrieben.

Möglicherweise als Reaktion auf die Landtagsanfrage vom 9.6.2020 wurde vom für das Biozidrecht in Bayern zuständigen Gewerbeaufsichtsamt der Regierung von Oberfranken am 19.06.2020 ein neues Merkblatt herausgegeben:

https://www.regierung.oberfranken.bayern.de/imperia/md/content/regofr/gewerbeaufsichtsamt/merkblatt_eps.pdf

Die bayerischen Regierungsbezirke sind seit etlichen Jahren unterschiedlich von Eichenprozessionsspinnerbefall betroffen. In Nordbayern besteht hier ein Schwerpunkt der Ausbreitung. Nach Regierungsbezirken aufgeschlüsselt wurde folgende Anzahl von Bäumen gespritzt:

Unterfranken              4.240 Bäume

Mittelfranken             2.482 Bäume

Oberfranken                1.715 Bäume

Oberpfalz                     1.560 Bäume

Oberbayern                 2.863 Bäume

Schwaben                    7.379 Bäume

Niederbayern                 189 Bäume

Summe:                      20.428 Bäume

Die Liste der Kommunen ist unvollständig, da einige Kommunen, die über die Medien Spritzeinsatz bekanntgaben, nicht aufgeführt sind (z.  B. Oberasbach, Lkr. Fürth) oder deren mechanische Bekämpfung seit Jahren und auch 2020 anderweitig dokumentiert ist (z. B. Nürnberg).

„Pestizidfreie Kommune“

Etliche Kommunen beteiligen sich an der BUND-Kampagne „Pestizidfreie Kommune“, darunter auch die Stadt Fürth und die Gemeinde Uttenreuth (Karte unter https://www.bund.net/umweltgifte/pestizide/pestizidfreie-kommune/).

Der BUND Naturschutz ruft alle bayerischen Kommunen dazu auf, sich grundsätzlich pestizidfrei zu entwickeln, d.h. keine Herbizide mehr auf Gehwegen, auf Friedhöfen oder in Parks einzusetzen, keine Insektizide mehr zu verspritzen und auch Pilzgifte und Rattengifte zu vermeiden.

Eichenprozessionsspinner

Der Eichenprozessionsspinner ist eine in Deutschland einheimische Schmetterlingsart. Die Raupen bilden ab dem dritten Entwicklungsstadium Brennhaare aus, die ein Nesselgift enthalten. Dieses kann beim Kontakt mit Menschen Hautausschläge verursachen. In seltenen Fällen können auch Reizungen der Augen oder der Bronchien auftreten. Von daher kann vom Eichenprozessionsspinner temporär eine gesundheitliche Gefahr, insbesondere im Umfeld von Kindergärten und Spielplätzen, ausgehen, die eine Bekämpfung rechtfertigen.

Das gesundheitliche Problem wird jedoch überschätzt. Verglichen mit Gefahren des täglichen Lebens ist der Eichenprozessionsspinner ein eher geringes Übel: Über 3.000 Menschen sterben jährlich im Straßenverkehr in Deutschland (Stand 2019), noch mehr sterben bei Unfällen im Haushalt. Etwa 390.000 Verletzte gibt es jährlich im deutschen Straßenverkehr (Stand 2019).

Statistiken zu allergischen Schocks und ernsten Gesundheitsgefahren durch Eichenprozessionsspinnerhaare gibt es nicht, bei Veröffentlichungen werden nur Einzelfälle angegeben.

Wirkung der Biozide Neem Protect und Foray ES

NeemProtect mit dem Wirkstoff Margosa-Extrakt des indischen Neem-Baums ist ein Fraßgift und führt zum Fraßstopp. Alle Raupen, die die mit dem Gift benetzten Blätter fressen, sterben. Es hat laut Umweltbundesamt eine hohe aquatische Toxizität und wirkt auch auf alle anderen Insekten. Ein Einsatz mit Spritzkanonen ist nur erlaubt, wenn mindestens 90 m Abstand zu Gewässern eingehalten wird. Es besteht auch das Risiko indirekter Wirkungen v.a. für Vogel- und Fledermausarten.

Das alternativ eingesetzte Mittel ‚Foray ES‘ mit dem Wirkstoff Bacillus thuringiensis kurstaki (Btk) ist auch ein Fraßgift. Es führt zur Darmperforation bei Raupen. Das Problem: Es wirkt spezifisch auf alle Raupen nicht nur des Eichenprozessionsspinners. V.a. für Vogel- und Fledermausarten mit spezifischem Beutespektrum kann das negative Auswirkungen haben.

Beide Gifte aus natürlichen Quellen sind deutlich besser als das noch vor ca. 10 Jahren häufig gespritzte Diflubenzuron. Ihre Wirkstoffe sind auch im Ökolandbau zugelassen.

Bayernweit gibt es bislang keinerlei Untersuchungen zur Wirkung der beiden Biozide auf die Insektengemeinschaften der alten Eichen.

Betroffene Insekten können z. B. sein: Großer Fuchs, Trauermantel, bis zu 200 Nachtfalterarten, Zweiflügler, Blattkäfer und Blattwespen.

Auf alten Eichen kommen z. B. immer wieder die gefährdeten Fledermausarten Bechstein-, und Fransenfledermaus, Graues Langohr, Große Bartfledermaus, Großes Mausohr, Kleiner Abendsegler und Mopsfledermaus vor. Insektenfressende Vögel sind z. B. Buntspecht, Grünspecht, Mittelspecht, sowie weitere allgemein häufige und weit verbreitete höhlenbrütende Kleinvogelarten wie Blaumeise-, Kohlmeise oder Kleiber.

Für Rückfragen:

Tom Konopka

Regionalreferent für Mittel- und Oberfranken

Telefon 0911 81878-24, Mobil 0160 8531944

Mail tom.konopka@bund-naturschutz.de