Interview mit Hubert Weiger zum Bau des RMD-Kanals
Im Interview: Prof. Dr. Hubert Weiger, zur Zeit des Kanalbaus BN-Beauftragter für Nordbayern, spricht über den Bau des Kanals als Zeitenwende für den Naturschutz.
Bis zu Beginn der 70er Jahre schlich sich der Kanalbau erst so allmählich in die Köpfe der Leute, auch jener, die mit dem Naturschutz befasst waren. Der BN hat das Thema auch erst später entdeckt. Stimmt dieser Eindruck?
Weiger: Der Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals hat eine lange Geschichte. Da ist zunächst einmal der Bau des Ludwig-Kanals, der sich angesichts der Konkurrenz der Eisenbahn als überflüssig herausgestellt hat. Deshalb ist ein Ausbau des Kanals auch lange nicht verfolgt worden. Das hat sich im 20. Jahrhundert allmählich geändert. Denn es ging bei der Idee des RMD-Kanals ja nie um eine Schiffbarmachung allein. Verbunden war der Bau immer auch die Idee der Stromerzeugung. Im Wirklichkeit handelte es sich also beim Bau des Kanals um ein „Wasserkraftprojekt“, das muss man im Auge behalten: Es ging um die Verbesserung der Industrialisierungschancen in Bayern. Deshalb wurde Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die RMD-AG als Gemeinschaftsunternehmen vom Deutschen Reich und vom Freistaat Bayern gegründet. Zu Beginn war das Projekt in der Tat auch wenig umstritten. Erst 1972, mit der Eröffnung des Hafens Nürnberg, sind erste kritische Stimmen laut geworden. Das war damals für den Bund Naturschutz ein Problem, denn er hatte damals im nordbayerischen Raum so gut wie keine Basisgruppen, außerhalb Münchens gab es nur ein paar tausend Mitglieder, ja man kann sagen: Der BN Bayern war ein Verein, der sich auf München konzentrierte. Neue Leute sind im Norden Bayerns erst während der 70er zum BN gestoßen. Deshalb war der Verein zunächst bei der Frage um den Widerstand gegen den Kanal vor Ort wenig präsent. Dazu kommt: Die Organisation war damals ein Fachverband und kaum politisch ausgerichtet. Das hat sich erst mit dem Vorsitzenden Hubert Weinzierl geändert: Er wusste beispielsweise, wie man ordentlich Medienarbeit macht.
Befasst man sich ein wenig mit der Arbeit des BN gegen den Kanal, wächst rasch der Eindruck, es sei eine Doppel-Strategie gewählt worden. Wie kam das?
Auch das hat eine längere Vorgeschichte: Der Bau des Hafens Nürnberg mit den sich daran anschließenden Industrieflächen war ein riesiger Eingriff in den Nürnberger Reichswald, wogegen es 1971 erstmals Proteste vor Ort gab. Ich hatte damals mein Forstwirtschaftsstudium beendet und war als Zivildienstleistender zur "Aktion Saubere Landschaft" gekommen, die vom BN betreut wurde. Die ersten Widerstandsaktionen und die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Franken haben seinerzeit auch dem BN das Messer auf die Brust gesetzt, sich im Kampf um den Reichswald mehr zu engagieren. Nicht zuletzt deshalb wurde ich rasch zum Beauftragten des BN für Nordbayern ernannt. Ich bin also nach dem Zivildienst 1973 hauptamtlich beim BN geblieben und nicht mehr in den Forstdienst zurückgegangen. Natürlich sind dann auch andere Projekte in den Fokus gerückt. Zum Beispiel der Weiterbau des RMD. Ich habe damals Kontakt aufgenommen mit den Widerständlern im Altmühltal. Von da an begann für mich der Umgang des BN mit dem Kanalbau in der Tat zwei Seiten zu haben. Hubert Weinzierl hat erreicht, dass schon vor dem Inkrafttreten des Bayerischen Naturschutzgesetzes 1973 ein projektbegleitender Landschaftsplan erstellt werden sollte, um auf den Kanalbau zu reagieren. Das war der seither viel diskutierte Landschaftsplan des Büro Grebe. Das Problem war, dass dieser Landschaftsplan zugleich nach außen hin die Bereitschaft des BN darstellte, das Projekt als solches grundsätzlich zu unterstützen. Dokumentiert hat diese Bereitschaft vor allem das Vorwort Weinzierls zu diesem Landschaftsplan, mit dem ich mich nie habe abfinden können.
Der Grebe-Plan war den kämpferischen Leuten im Altmühltal um Anton Mayer ohnehin viel zu wenig.
Ja. Und so entstand die zweite Seite des Widerstands, die Basisarbeit mit dem grundsätzlichen Widerstand gegen das Projekt an sich. Denn die BN-Basisgruppen vor Ort waren damals dafür zahlenmäßig und organisatorisch viel zu schwach. Es hieß: Das muss der Landesverband machen. Und das wiederum hieß in letzter Konsequenz: ich als Beauftragter des BN für Nordbayern. Zugleich musste ich die offizielle Linie des BN vertreten, das heißt, wir haben uns auch für den Landschaftsplan eingesetzt, der eher die regierungsnahe Haltung des damaligen Bund Naturschutz unterstrich. Dieses zweigleisige Vorgehen führte natürlich rasch zu internen Konflikten. Und es ist schamlos versucht worden, den BN unglaubwürdig zu machen. Dann jedoch kam es im BN zu einem völligen Kurswechsel: Die Zeiten hatten sich geändert, der fundamentale Widerstand und der Kampf gegen das Kanalprojekt traten in den Vordergrund. Auch Hubert Weinzierl stand hinter diesem Kurswechsel, der sich unter anderem in der von der Delegiertenversammlung des BN 1979 einstimmigen Ablehnung des RMD-Kanals niederschlug.
Wie sah der Widerstand denn von da an aus?
Sehr erfolgreich zunächst. Wir bekämpften den Kanal beispielsweise durch eine bundesweite Unterschriftenaktion mit knapp einer Million Unterzeichnern. Das betrieben wir alles von unserem kleinen Büro in Nürnberg als Kampfzentrale aus. Dazu haben wir intensive Öffentlichkeitsarbeit, etwa mit jährlichen Pressefahrten gemacht. Der Höhepunkt war zweifellos die "Scheibenwischer"-Sendung im Januar 1982, die sich dem Kanalprojekt widmete und für viel Furore sorgte; damals standen die Textschreiber der Satiresendung in ständigem Kontakt mit mir. In diesem Jahr 1982 hatten wir dann tatsächlich die qualifizierte Einstellung des Kanalbaus erreicht: Das war ein riesiger Erfolg und ein Begräbnis erster Klasse für das Projekt. Bald darauf folgte aber in Bonn der Regierungswechsel und damit ein kräftiger Schlag: Die FDP, die gegen gut 90 Prozent im Landtag stets die Minderheit gegen den Kanalbau dargestellt hatte, stimmte im Bund vor der Bildung CDU/CSU/FDP-Koalition plötzlich der zentralen Forderung der CSU zum Weiterbau des Kanals zu. Damit war die Schlacht politisch verloren. Die FDP hatte auf Druck von Franz Josef Strauß ihre Position auf dem neuen Koalitionsaltar geopfert.
Nach dieser Niederlage ging es nur noch um eine kosmetische Verbesserung der Situation.
Danach ging es wenigstens noch um die ökologischen Ausgleichsflächen und die optische Reduktion der Auswirkung des Kanalbaus: Jeder Quadratmeter für die Natur, jeder Baum, jeder Strauch mussten erkämpft werden. Aber natürlich hatte die Situation den Widerstand deutlich geschwächt. Er war ja vom Ansatz her viel radikaler. Das haben die Leute vor Ort teilweise auch richtig zu spüren bekommen: Handwerksmeister beispielsweise mussten aus dem Vorstand der örtlichen Bürgerinitiative oder des örtlichen BN aussteigen, weil sie sonst keine Aufträge mehr bekommen hätten. Ich habe damals gesagt, dass unter den kritischen Kanalanrainern sich eigentlich nur völlig unabhängige Menschen engagieren könnten: Denn ich konnte ja immer wieder weg fahren. Sie mussten dort bleiben.
Man bekommt rasch den Eindruck, dass die RMD-AG immer am längeren Hebel saß.
Ja, das hat die Widerständler ja auch so frustriert. Es macht im Kampf um ein derartiges Projekt nämlich schon einen Unterschied, ob man ehrenamtlich und mit wenig gesellschaftlicher Unterstützung handelt oder ob man wie die Planer von der RMD-AG gut bezahlt wird und darüber hinaus aktiv Geld ausgeben kann, um beispielsweise Gemeinden duch den Bau neuer Brücken zu motivieren, einem Projekt wie dem Kanal zuzustimmen. Ob man seine Freizeit opfert oder einen ganzen Apparat von Landschaftsplanungsbüros hinter sich weiß. Deshalb fordern wir schon lange, dass nicht nur die Planungen, sondern auch das Aufzeigen von Alternativen öffentlich gefördert wird.
Man kann ja auch aus Niederlagen lernen. Was hat sich seit dem Widerstand gegen den RMD-Kanal geändert?
Die Veränderungen beginnen schon damit, dass im Verband selbst heute ein ganz andere demokratische Situation herrscht. Flächendeckende Basisgruppen geben inzwischen der Organisation ein ganz anderes Profil. Es gibt ein engmaschiges Netz für den Widerstand gegen die Zerstörung von Natur und Landschaft. Außerdem ist die Mitgliederschaft genau wie die gesamte Bevölkerung viel kritischer geworden. Insgesamt gesehen war der Bau des RMD-Kanals eine Zeitenwende für den Naturschutz. Das Vorgehen, die Folgen von Eingriffen in die Natur mit irgendwelchen Ausgleichsmaßnahmen bloß minimieren zu wollen, wäre heute nicht mehr zu legitimieren. Dafür hat der Naturschutz inzwischen ein ganz anderes Selbstverständnis. Und es gibt heute überall massive Widerstandsbewegungen vor Ort.
Und man muss die Folgen des Kanalbaus präsent halten – auch für die Diskussion um den Donauausbau Vilshofen-Straubing.
Eine ökologische Bilanz des RMD-Kanals wurde bis heute nicht veröffentlicht. Das wäre zwingend nötig. Es gibt in dessen Folge einen dramatischen Verlust an Natur, an Flora und Fauna. Wir haben beispielsweise das Verschwinden von 600 Hektar Feuchtwiesen festgestellt. All die landschaftsplanerische Umgestaltung, so wie sie sich heute darstellt, hat nur zu einem "Blumenschmuck auf dem Leichensarg der Natur" geführt, wie ich das einmal ausgedrückt habe. Derartige Folgen muss man permanent deutlich machen. Wir verlieren beim Thema Donauausbau, wenn es uns nicht gelingt, das Thema pausenlos in der Diskussion zu halten. Dazu kommt: Der RMD-Kanal ist weit davon entfernt, ein wichtiger Verkehrsweg geworden zu sein; eher schon ist er eine Freizeitwasserstraße. Und für die moderne Containerschifffahrt ist er ohnehin ein Nadelöhr. Auch in dieser Hinsicht war dieser überflüssige Bau ein Lehrstück: Wir müssen immer auch ökonomisch argumentieren. Und wir müssen den Leuten durch Aktionen und Ausflüge zeigen, was überhaupt ein fließendes Gewässer ist. In Bayern und in ganz Deutschland haben wir ja kaum mehr natürliche Flüsse sondern nur mehr kanalisierte, stehende, nicht dynamische Gewässer. Wenn man ihnen nicht die Alternativen zeigt, arrangieren sich die Menschen allzu schnell mit der zerstörten Natur.
Das Interview führte Christian Muggenthaler.