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AKW Pleinting: Die Duldsamkeit der Niederbayern überschätzt

Eine Bauruine mit zwei hohen Kaminen direkt an der Donau: Das geplante AKW Pleinting war eines von vier Atomkraftwerken in Bayern, dessen Bau durch den entschlossenen Widerstand der einheimischen Bevölkerung verhindert werden konnte. Mit der Erwartung, dass die konservativen, staatstreuen Niederbayern das schon schlucken werden, hatte sich die Regierungspartei verkalkuliert.

In Pleinting direkt an der Donau zwischen Künzing und Vilshofen irritieren zwei hoch in den Himmel ragende Kamine. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass ein Kanal aus der Donau in das Gelände geleitet wird und ein kurzes Stück weiter unten wieder heraus. Doch zu den auffälligen Schloten fehlt die passende Anlage: Eine Bauruine, bei der man lieber nicht wissen möchte, wieviel Steuergeld sie verschlungen hat und wieviel die Konservierung weiter verschlingt.

Früher, bis Ende der siebziger Jahre, stand auf diesem Gelände ein Ölkraftwerk, in dem Schweröl zur Grundlast-Stromerzeugung verbrannt wurde. Die Abwärme ging ungenutzt teils in die Luft, teils – das erklärt den Kanal – in die Donau. Später wurde der Betrieb auf leichtes Heizöl umgestellt.

Dieses Ölkraftwerk sollte in den siebziger Jahren durch ein "modernes" Atomkraftwerk abgelöst werden. Im ländlichen, katholischen und parteitreuen Niederbayern, so glaubten der langjährige Landshuter CSU-Bundestagsabgeordnete und spätere Innenminister Friedrich Zimmermann und seine Parteifreunde, würde das ohne großes Aufsehen durchgehen. Schließlich galt die Gegend als schwarzes Kernland: Pleinting liegt nur ein paar Kilometer entfernt vom Wolferstetter Keller, wo die CSU viele Jahre ihren politischen Aschermittwoch zelebrierte.

Zu den größeren Städten hielt man einen gewissen "Sicherheitsabstand". Zwar hatte die CSU erst kurz davor, 1974, die Landtagswahl mit heute unglaublich erscheinenden 62,1 Prozent gewonnen. Doch in den Städten hatten längst die sogenannten "Studentenunruhen" begonnen, sprich, eine kritische Auseinandersetzung der jüngeren Generation mit den verkrusteten obrigkeitsstaatlichen Strukturen der Nachkriegspolitik.

Im März 1975 wurde für Pleinting das Raumordnungsverfahren für zwei Atomkraftwerksblöcke zu je 1300 MW elektrischer Leistung eingeleitet. Der BUND Naturschutz protestierte schärfstens gegen die Standortwahl, die ganz offen auf die Duldsamkeit des ländlichen Niederbayerns spekulierte. Das ging damals durch alle Zeitungen: "Das Leben in Niederbayern darf keinesfalls minderwertiger sein", schrieb die Mittelbayerische am 5. März 1975; auch der Münchner Merkur griff den Punkt auf: "Niederbayern nicht weniger wert."


Auf verlorenem Posten

Unbeeindruckt von diesen Protesten wurde das Raumordnungsverfahren 1979 positiv abgeschlossen, und es schien, als stehe dem Bau des Atomkraftwerks damit nichts mehr im Weg.

Verlockend schien auch die Idee, überschüssigen Atomstrom zu Zeiten, wo er nicht gebraucht wurde, nutzbringend zu verwenden, um weiter unten bei Jochenstein Wasser aus der Donau in den damals schon geplanten Speichersee bei Riedl zu pumpen und dieses Wasser dann bei hohem Strombedarf zur Stromerzeugung zu nutzen. So würde das Atomkraftwerk in der Lage versetzt, etwas zu leisten, wozu der träge Atomstrom normalerweise überhaupt nicht in der Lage ist, nämlich kurzfristig auf Bedarfsschwankungen zu reagieren. Und nebenbei würde dabei Atomstrom in "erneuerbare" Wasserkraft verwandelt.

Doch just zu dieser Zeit übernahm ein in Burghausen geborener Jurist namens Dr. Anton Huber das Notariat in Vilshofen. Am 5. Februar 1980 gründete der gemeinsam mit Gleichgesinnten das "Bürgerforum Umwelt Vilshofen", mit dem ausdrücklichen Ziel, das geplante Atomkraftwerk Pleinting zu verhindern, die mit tödlichen Risiken verbundene Atomenergie abzulösen und eine Energiepolitik durchzusetzen, die Kapital und technisches Know-How ausschließlich für Energieeinsparung und Durchsetzung der Erneuerbaren Energien einsetzt.

Gemeinsam gegen die Atomenergie

Schnell konstituierte sich das 1970 gegründete "Bürgerforum Umwelt Vilshofen" und bot bald eine eindrucksvolle Liste von "Respektspersonen" auf, die man nicht in die linke oder grüne Ecke stellen konnte. Auch die neugegründete BN-Ortsgruppe Vilshofen half tatkräftig mit, den geplanten Bau des Atomkraftwerkes bei Pleinting zu verhindern.

Dieses Vorhaben klang noch aussichtsloser als der Kampf David gegen Goliath. Den Gründern war klar, dass es entscheidend auf das Renommee ihrer Gruppe ankommen würde und sie sich auf keinen Fall in eine grüne oder linke Ecke drängen lassen durften. Deshalb sprachen sie gezielt "Respektspersonen" an und gewannen ihre Unterstützung.

Entsprechend eindrucksvoll liest sich die Mitgliederliste von Forumsleitung und Arbeitsausschuss. Da finden sich drei Erste Bürgermeister von Landkreisgemeinden, von denen einer zugleich auch noch Mitglied des Landtags war. katholische und evangelische Geistliche, mehrere Juristen, örtliche Unternehmer, Angestellte, ein Bankdirektor, ein Förster, ein Jugendpfleger, Landwirtschaftsmeister und Lehrer von Grund- und weiterführenden Schulen. So wurde das Forum auch von Anfang an ernst genommen.
 
Außerdem war ein Jahr zuvor in Harrisburg das Atomkraftwerk "Three Mile Island" explodiert. Spätestens damit hatte das Märchen von der sauberen und sicheren Atomkraft Risse bekommen. Auch in Niederbayern hörte man Nachrichten.

Innerhalb kürzester Zeit wuchs das Bürgerforum auf rund 2500 Mitglieder und damit zur größten Bürgerinitiative Ostbayerns. "Wir sind einfach von Haus zu Haus gegangen und haben mit den Leuten gesprochen", erinnert sich Dr. Anton Huber. "Zudem haben wir unendlich viele Veranstaltungen gemacht und sind mit unseren Vorträgen buchstäblich von Wirtshaus zu Wirtshaus gezogen."


Aufkommende Nervosität

Immer mehr fügsame Niederbayern schlossen sich dem Bürgerforum an. Allmählich wurde die Staatspartei nervös. Der damalige Vilshofener CSU-Bürgermeister Dr. Rainer Kiewitz drohte dem Notar, wenn er nicht umgehend die Bürgerinitiative verließe oder zumindest die beiden Kühltürme aus dem Emblem des Forums entfernte, werde die Stadt nicht mehr bei ihm beurkunden lassen. Huber entgegnete, wenn er Beschwerden über seine Arbeit als Notar habe, werde er sich die bereitwillig anhören. Doch außerhalb des Dienstes habe ein Notar das gleiche Recht, sich politisch zu betätigen, wie jeder andere Bürger auch.

Doch Kiewitz machte seine Drohung wahr: Solange er im Amt war, erhielt Huber keine größeren Beurkundungen mehr von der Stadt. Er musste für sein Engagement also buchstäblich einen hohen Preis bezahlen.  Doch er spielt das herunter: "Als Notar muss man sich keine Sorge machen zu verhungern."

Im Gegenzug bezeichnete er Kiewitz als den "Bürgermeister der Bayernwerke" – und fing sich prompt eine Verleumdungsklage ein, die aber von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Gegen das Ausschussmitglied Amtsgerichtsdirektor i.R. Kurt Böttcher strengte Kiewitz eine Unterlassungsklage an, weil er dem Bürgermeister vorgeworfen hatte, er setze den Notar Repressalien aus. Doch auch mit dieser Klage scheiterte er vor dem Oberlandesgericht. Weiter überzog Kiewitz Huber mit zahlreichen Aufsichtsbeschwerden – doch auch die führten zu nichts. Selbst in seiner eigenen Partei verlor er wegen seiner Verbissenheit allmählich den Rückhalt.

Das Bürgerforum Umwelt Vilshofen saß inzwischen als "Freie Wählerinitiative" mit vier Vertretern im Stadtrat. Um ein Haar hätte es ihr Kandidat bei der Bürgermeisterwahl, Alois Heigl, der später nach Neuseeland auswanderte, sogar in die Stichwahl geschafft. Um aus der Polarisierung herauszukommen, stellte die CSU bei der Wahl 1990 einen anderen Bürgermeisterkandidaten auf, nämlich Kiewitz´ bisherigen Stellvertreter Hans Gschwendtner. Mit ihm entwickelte das Bürgerforum trotz unterschiedlicher Positionen rasch eine vernünftige und sachliche Zusammenarbeit.


Erst kippt die Stimmung, dann das AKW

Allmählich kippte die Stimmung. Dass ihre treuen Niederbayern den Atomkraftgegnern "auf den Leim gegangen" waren und sich reihenweise dem Bürgerforum angeschlossen hatten, muss die CSU-Granden zutiefst enttäuscht und verunsichert haben. Doch anders als später in Wackersdorf waren sie klug genug, es nicht auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen.

Stattdesssen ließ man das geplante Atomkraftwerk ohne viel Aufhebens in der Versenkung verschwinden: Man hatte ja Isar II in Ohu bei Landshut. Offenbar wurden gar nicht alle Standorte benötigt, die damals vorangetrieben wurden: Man hatte wohl von vornherein über den Bedarf hinaus geplant, um später die Standorte fallenlassen zu können, bei denen der meiste Ärger drohte.

Jedenfalls erklärte die schwarz-gelbe Bundesregierung 1985 auf eine Anfrage, Pleinting sei "im Rahmen einer Standortvorsorge als möglicher Standort für ein Kernkraftwerk vorgesehen, ohne dass es nach Informationen der Bundesregierung bisher konkrete Pläne für ein solches Kernkraftwerk gibt." Drei Jahre später ließ die Bayerische Staatsregierung ihre Pläne für Pleinting offiziell fallen, und mit Pleinting auch die Pläne für drei weitere Standorte, nämlich für Marienberg bei Rosenheim, Pfaffenhofen an der Zusam und Viereth bei Bamberg.

Für den Kampf gegen das Atomkraftwerk Pleinting hatte das Bürgerforum Umwelt Vilshofen ohne Zweifel die bestimmende Rolle. Deshalb ist auch dessen Verhinderung in erster Linie ihr Erfolg. "Aber der BN hat immer mitgemacht", stellt Dr. Huber fest. "Auch Hubert Weiger und Hubert Weinzierl haben uns immer unterstützt." Unterstützung vom BN hatte Huber auch im eigenen Haus: Seine 2012 verstorbene Frau Dr. Ulrike Huber-Wintzer war die Vorsitzende der damals neu gegründeten BN-Ortsgruppe Vilshofen.

Seit der Gründung des Bürgerforums Umwelt Vilshofen sind fast 50 Jahre vergangen, aber Dr. Huber ist mit dem erreichten Stand nicht zufrieden. Denn dessen satzungsmäßiges Ziel, die überlebensnotwendige Energiewende, ist noch immer nicht erreicht. Deshalb engagiert sich Huber zusammen mit seinen Mitstreitern in der Forumsleitung Brigitte Pollok-Will, Gerhard Albrecht und Günter Weber beharrlich weiterhin für die Energiewende, die für ihn so buchstäblich zum Lebensthema geworden ist.