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Chiemsee Ostufer: Naturschützer zu schnell für die Autobahn

Die Autobahn am Ostufer des Chiemsees war bereits fest geplant als der BUND Naturschutz (BN) in den 1970er-Jahren den Bau durch Flächenkäufe verhindern konnte. Heute ist das Ufer ein wertvoller Lebensraum für zahlreiche Vogelarten.

Die Trasse für die Autobahn am Chiemsee-Ostufer war bereits abgesteckt – mitten durch das Grabenstätter Moos und den Mündungsbereich der Tiroler Achen. Aber die neugegründete BN-Kreisgruppe Traunstein kam den Planern zuvor: Sie erwarb Sperrgrundstücke und durchkreuzte den Plan.

"Soeben erhalte ich die Nachricht", schrieb Helmut Steininger, der langjährige Landesgeschäftsführer des BN, am 30. November 1972 an den designierten Vorsitzenden der Kreisgruppe Traunstein, "dass eine private Versicherungsgesellschaft 40.000,– DM für den Ankauf eines Sperrgrundstücks im Grabenstätter Moos (Autobahntrasse) noch vor Weihnachten bezahlen würde. Ich bitte Sie dringlichst, Verhandlungen mit einigen Bauern aufzunehmen, da wir uns solch eine einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen sollten."


Flächenkauf verhindert Bau einer Autobahn

Die Kreisgruppe war noch nicht gegründet, der gebürtige Bocholter Fritz Lindenberg (1914 – 1995) noch nicht zum Vorsitzenden gewählt, da hatte er schon einen dicken Scheck in Aussicht und eine gewaltige Aufgabe an der Backe. Dazu noch die Vorgabe Steiningers, im Kaufpreis nicht über 2 Mark pro Quadratmeter zu gehen.

Der Anfang Dezember 1972 zum Kreisvorsitzenden gewählte Lindenberg leistete gute Arbeit: Trotz Vorweihnachtszeit und Jahreswechsel gelang es ihm binnen weniger Wochen, mehr als 20 Hektar Moorwiesen und Feuchtflächen, die genau auf der Trasse der geplanten Autobahn lagen, für unter 2 Mark anzukaufen. Am 18. Januar 1973 luden BUND Naturschutz und Signal Versicherung zu einer gemeinsamen Pressekonferenz, bei der sie die Sperrgrundstücke der Öffentlichkeit präsentierten.

Schild für die Vogelfreistätte Achenmündung

Werbung für den guten Zweck

Aber wie kam eine in Dortmund ansässige Versicherung dazu, mitten in Bayern Sperrgrundstücke zu finanzieren – und sich damit offen gegen die Pläne der "Obrigkeit" zu stellen? Des Rätsels Lösung ist, dass die Signal Versicherung damals ein innovatives Werbekonzept verfolgte: Sie wollte mit konkretem Einsatz für die Natur punkten statt mit dem üblichen Marketing-geschwafel. Da kam die neue Strategie des BN, Naturzerstörung mit Sperrgrundstücken zu verhindern, gerade recht.

Als einmalige zweckgebundene Spende entsprach dieses Vorgehen sogar der Sponsoring-Richtlinie des BN, die erst sehr viel später entstand. Denn aus dieser Spende entstand keine Abhängigkeit des Verbandes von dem Geldgeber – und damit auch keine Möglichkeit für ihn, Wünsche zu äußern, die man kaum ablehnen kann. Auch die gemeinsame Präsentation der Sperrgrundstücke auf einer großen Tafel war unorthodox, aber regelkonform.

Der erhoffte Werbeeffekt trat ein: Viele Zeitungen berichteten im redaktionellen Teil über den Ankauf und seine Finanzierung. Wie viel Ärger die Versicherung hinter den Kulissen für ihre unkonventionelle Werbekampagne bekam, ist uns nicht bekannt. Sicher ist indes, dass sich diese Art der Finanzierung von Sperrgrundstücken nicht durchgesetzt hat.

In der Öffentlichkeit und vor allem bei den Straßenbauern war die Aufregung groß. Der damalige Leiter des Straßenbauamts Traunstein verniedlichte die nun zur "B299 neu" deklarierte Autobahn zu einer Umgehungsstraße für die Ortskerne von Chieming und Grabenstätt. Und hatte damit viele Bürger auf seiner Seite, die unter dem zunehmenden Durchgangsverkehr litten.

Doch laut dem damaligen Gesamtverkehrswegeplan Bayern sollte die vorgebliche Ortsumgehung über Garching/Alz und Waldkraiburg bis nach Landshut und Regensburg durchgebaut werden, und zwar in einer autobahnähnlichen Breite von etwa 60 Metern: Ziemlich viel Straße für die Entlastung zweier mittelgroßer Gemeinden mit jeweils unter 5000 Einwohnern.

Doch daraus wurde nichts – dank dem kurz entschlossenen, durch eine Großspende ermöglichten Ankauf von Sperrgrundstücken, die heute zum Kernbereich des rund 1250 Hektar großen Naturschutzgebiets "Grabenstätter Moos" nahe des Mündungsbereichs der Tiroler Achen zählen. Auch die Verkehrsentlastung der Ortskerne wurde inzwischen auf weniger naturschädliche Weise erreicht: durch eine ortsnahe Umgehungsstraße, die vom BN akzeptiert wurde.


Wanderung am Ostufer

Wer das autobahnfreie Wiesenbrüterrevier in der Südostecke des Chiemsees erkunden möchte, muss vom Grabenstätter Marktplatz aus erst einmal unter dieser Umgehungsstraße hindurch, was nur über die Dorotheenstraße möglich ist. Nach der Unterführung haben wir eine topfebene Wiesenlandschaft vor uns, die vor 200 Jahren noch unter dem Wasserspiegel des Chiemsees lag. Sie verlandete erst nach der Seeabsenkung von 1810.

Die Hochspannungsleitung, die sich quer über die Flächen zieht, folgt ungefähr dem geplanten Autobahnverlauf und lässt ahnen, wie sehr der die Flächen mit einer 60 Meter breiten Schneise zerschnitten hätte. Wir gehen geradeaus bis zum Rothgraben, jenseits dessen sich die Kernzone des 1986 ausgewiesenen Naturschutzgebiets erstreckt.

Die Tiroler Achen ist der größte Zufluss des Chiemsees. Sie bringt jährlich bis zu 300.000 Kubikmeter "Fracht" – Geröll, Sand, aber auch jede Menge Schwebstoffe – mit, mehr als 100 Lkw-Ladungen täglich. Ihr Mündungsdelta verschiebt sich deshalb jährlich um mehrere Meter in den See hinaus. Ewig darf man sich mit der Besichtigung daher nicht Zeit lassen: Wie Geologen errechnet haben, wird der Chiemsee, wie viele Voralpenseen vor ihm, innerhalb der nächsten 7000 bis 8000 Jahre verlanden.

Dem Rothgraben folgen wir auf einem Weg nach rechts, der uns immer wieder neue Einblicke in Wiesenbrüterflächen ermöglicht. Weil hier ein einziger freilaufender Hund (oder Mensch) eine ganze Brutgeneration auslöschen kann, gilt Leinenpflicht und in der Brutzeit ein striktes Wegegebot. Denn die scheuen Vögel flüchten bereits aus großer Distanz – und bis sie zurückkehren, ist ihr Gelege erkaltet.

Unser Weg führt uns geradewegs zum Wirtshaus an der Hirschauer Bucht und dem ein paar Meter dahinter gelegenen Naturbeobachtungsturm, auf der sich nicht nur an schönen Tagen die Fotografen drängen. Der weite Blick über das "bayerische Meer" macht den Andrang verständlich – und da die Vögel die Menschen auf dem Turm, sofern sie sich einigermaßen ruhig verhalten, nicht erkennen, sind hier eindrucksvolle Vogelbeobachtungen möglich.

Auf dem Weg Nr. 35 geht es entlang eines langen und schnurgeraden Entwässerungsgrabens zurück nach Grabenstätt. Dort lohnt sich noch ein Blick in die Johanneskirche mit ihren gotischen Fresken.

  • Ausgangspunkt: Grabenstätt Marktplatz
  • Länge / Gehzeit: ca. 8 km / 2 Stunden
  • Wegcharakter: Befestigte und unbefestigte Wege, eben, Kinderwagen-geeignet
  • Einkehr: Grabenstätt, Hirschauer Bucht