Hafenlohrtal: 30 Jahre Kampf gegen Speichersee
Hier aalt sich die Blindschleiche in der Sonne, Eisvogel und Wasseramsel brüten im Tal, es gibt Sumpfschwertlilien, Rohrkolben und Einbeere. Beim GEO-Tag der Artenvielfalt 2006 wurden sage und schreibe 1.600 Tier- und Pflanzenarten im Hafenlohrtal im Landkreis Main-Spessart entdeckt. Dieses Paradies sollte nach dem Willen der Bayerischen Staatsregierung einem riesigen Speichersee weichen.
Es war 1976, als Mitglieder des Bund Naturschutz erstmals von den Plänen eines Trinkwasserspeichers im Hafenlohrtal hörten. Die Begründungen für das Projekt: Der Wasserverbrauch der Bevölkerung würde stetig steigen, die Quellen im Spessart seien hygienisch bedenklich.
Die BN-Aktivisten waren empört. Sofort formierte sich Widerstand. Dr. Fritz Lechner von der Kreisgruppe Main-Spessart des Bund Naturschutz gründete eine erste „Ökogruppe Hafenlohrtal“, die den Kampf gegen den Staudamm aufnahm. Ein Speichersee hätte nur ein Herumkurieren an Symptomen bedeutet; vor allem wäre der See ein Ausdruck des politischen Kurses hin zu zentralem Fernwasser gewesen.
Zwei Jahre später wurde die „Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal“ (AGH) ins Leben gerufen. Den BN-Mitgliedern war klar, dass sie das ökologische Wahnsinnsprojekt nur durch eine starke Bürgerbewegung würden abbiegen können. Stark war die AGH tatsächlich von Anfang an. 200 Menschen kamen zur Gründungsversammlung, die Sebastian Schönauer, ehemaliger stellvertretender BN-Vorsitzender in Bayern, am 23. Juni 1978 einberief. Knapp 150 Bürgerinnen und Bürger traten am Gründungsabend der AGH bei.
Einen gab es, erinnert sich Schönauer, der die Gründung verhindern wollte: „Der heutige Staatsminister Eberhard Sinner.“ Der plädierte für einen parlamentarischen Kampf gegen den Trinkwasserspeicher. Schönauer: „Aber uns war klar, dass wir das Projekt nur mit der Kraft der Bürgerbewegung wegbekommen können.“
Bevölkerung steht hinter Aktionsgemeinschaft
Endgültig abgeblasen ist das Stauseeprojekt noch nicht, allerdings wird der Bau eines Speichers immer unwahrscheinlicher. Denn weit über die AGH hinaus setzen sich Menschen dafür ein, dass das Hafenlohrtal in seiner Ursprünglichkeit bewahrt bleibt. Zu verdanken ist dies den BN-Aktivisten im Spessart, die es schafften, die Sympathie der Bevölkerung für ihren Kampf zu gewinnen.
So trat Sebastian Schönauer bereits wenige Tage nach der AGH-Gründung in der BR-Sendung „Jetzt red’ i“ auf. Seine leidenschaftlich vorgetragene Botschaft lautete: Das Hafenlohrtal muss als einmalige Natur- und Kulturlandschaft erhalten, die Trinkwasserversorgung vor Ort gesichert werden. Über 2.000 Besucher zählte wenige Monate nach dieser Sendung das 1. Hafenlohrtalfest.
Auch Politiker lassen Speicherseepläne abblitzen
Seit 1978 ließen auch viele politische Gremien den Freistaat mit seinen Speicherplänen abblitzen. So lehnte der Aschaffenburger Kreistag den Speicherbau 1980 ab, die Regionalkonferenz der Region 1 schloss sich dem Votum an. Was zur Folge hatte, dass die Regierung von Unterfranken die Stauseeplanung für den Kreis Aschaffenburg aufgab.
Ein großer Teilerfolg, der Mut zum Weiterkämpfen machte, war außerdem, dass die Fläche von der Landkreisgrenze bis zum Ahlmichdamm aus der Planung genommen wurde. 1987 lehnte auch der Kreistag Main-Spessart das Projekt ab. 1992 sprachen sich acht Biologie-Professoren der Würzburger Uni gegen den Stausee aus. Schließlich schlugen sich auch die Chefs der Würzburger Stadtwerke auf die Seite der Naturschützer.
Aus für den Hafenlohrtalspeicher
September 2008: Der BN freut sich zusammen mit der Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal (AGH) darüber, dass der in einem der wertvollsten Täler Bayerns geplante 15 km lange Trinkwasserspeicher von der Bayerischen Staatsregierung endlich aufgegeben worden ist.
In dieser überfälligen Entscheidung sehen wir einen großartigen Erfolg des gemeinsamen 30 jährigen Widerstandes der Aktionsgemeinschaft Hafenlohrtal (AGH), der 4 betroffenen Gemeinden und des Bundes Naturschutz, so Hubert Weiger, der ehemalige Landesvorsitzende des BN.
Nach Auffassung von Sebastian Schönauer, dem Mitbegründer und langjährigen Vorsitzenden der AGH sind mit dieser Entscheidung endlich die Konsequenzen daraus gezogen worden, dass nicht zuletzt auf Grund der zwischenzeitlich zu ungunsten der Speicherplanung veränderten Rahmenbedingungen dieses Natur und Heimat zerstörenden Projekt gar nicht mehr hätte genehmigt werden können/dürfen:
- Die Stauseeplanung wurde im Aschaffenburger Bereich gestrichen –vom Ahlmichdamm bis Lichtenau wurden 70 Hektar zum Naturschutzgebiet „Oberes Hafenlohrtal“.
- Der wertvolle Erlenbruchwald bei Erlenfurt wurde Naturschutzgebiet "Auenwald bei Erlenfurt“.
- Das Hafenlohrtal wurde in die Flora – Fauna Habitat – und in die Vogelschutz – Richtlinie der EU aufgenommen und ist somit FFH –geschützt.
- Der Kreistag des Landkreises Main – Spessart sprach sich – wie die Regionalversammlung – mehrheitlich gegen den Bau eines Trinkwasserspeichers im Hafenlohrtal aus.
Zum Aus für den Hafenlohrtalspeicher hat sicherlich auch beigetragen, dass die Zahlen und Prognosen, mit denen Regierung und Wasserwirtschaft über viele Jahre versucht hatten, die Zerstörung eines der schönsten und ökologisch wertvollsten Täler Unterfrankens zu rechtfertigen, längst widerlegt worden sind.
Falsch waren und sind:
- die Bedarfsprognosen der Wasserwirtschaft - der Trinkwasserverbrauch sollte bis zum Jahr 2000 auf 200 bis 250 Liter pro Kopf steigen! Der echte Bedarf aber ging auf 123 l / Tag / Einwohner zurück.
- die pessimistischen Voraussagen der Regierung von Unterfranken. Die Trinkwasserqualität hat sich nicht verschlechtert, Grundwasser wurde saniert, auch die Menge des verfügbaren Trinkwassers reicht aus.
- die "wasserwirtschaftlichen Gründe". Statt der geforderten "Auflassung kleiner und kleinster Erschließungen oder aber besonders gefährdeter Gewinnungen" im Hinblick auf die "Gefährdung der Versorgungssicherheit" bzw. wegen "mangelnder Wirtschaftlichkeit" bedeutet Kleinräumigkeit erhöhte Versorgungssicherheit ( 1986 wurde dazu die Interessengemeinschaft Kommunale Trinkwasserversorgung Bayern - IKT - gegründet).
BN und AGH bedanken sich bei allen Gemeinden und Mitgliedern, die sich 30 Jahre lang nicht haben einschüchtern und entmutigen lassen, sondern engagiert für die Rettung eines der wertvollsten Teile bayerischer Heimatnatur gekämpft haben, aber auch bei den Landkreisen Aschaffenburg und Main-Spessart, bei der Landtagsopposition von SPD und GRÜNEn und schließlich auch bei Staatsminister Eberhard Sinner und Umweltminister Bernhard für ihre Unterstützung.
Der BN erwartet, dass diese Entscheidung jetzt auch konsequent umgesetzt wird, dass v.a. die Ziele des Landesentwicklungsprogramms entsprechend angepasst werden und das Hafenlohrtal in ganzer Fläche als FFH - Gebiet nachgemeldet und als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird.Nach Überzeugung von Hubert Weiger und Sebastian Schönauer ist diese Entscheidung auch ein erstes positives Ergebnis der machtvollen Demonstration am vergangenen Samstag, bei der in München fast 10 000 Bürgerinnen und Bürger gegen Heimat und Natur zerstörende Großprojekte der bayerischen Staatsregierung protestiert hatten.Auch in Bayern können also staatliche Planungen gestoppt werden - zumal vor Landtagswahlen - und lohnt sich der Einsatz von Heimat - und Naturfreunden für die Erhaltung ihrer Lebensqualität vor Ort - auch wenn dafür manchmal ein sehr langer Atem erforderlich ist.
Hafenlohrtal: Kleinod voller Leben
Hätten die BN-Aktivisten in Main-Spessart und Aschaffenburg die Staatsregierung in harten Auseinandersetzungen nicht davon abgebracht, die ökologisch fatalen Pläne eines Speicherbaus im Hafenlohrtal zu realisieren, wäre ein einmaliges Refugium für Tiere und Pflanzen zugrunde gegangen. Den letzten Bewies hierfür lieferte der GEO-Tag der Artenvielfalt, der im Juni 2006 im Hafenlohrtal stattfand. Was hier gefunden wurde, so Dr. Klaus Mandery, BN-Vorsitzender der Kreisgruppe Haßberge, übertraf alle Erwartungen.
Für abendliche Konzerte im Hafenlohrtal sorgen Teichfrösche; als weitere Amphibien sind Berg- und Fadenmolche, Erdkröten, Feuersalamander, Gras-, Wasser- und Seefrösche zu finden. Auch stießen die Artenspezialisten auf drei Reptilien: Blindschleichen, Ringelnattern und Waldeidechse haben im Hafenlohrtal ein Zuhause gefunden. Groß war die Anzahl der entdeckten Vogelarten, darunter Graureiher und Trauerfliegenschnäpper.
Als Abenteuer gestaltete sich der Artenschutztag dadurch, dass die insgesamt 50 Arten-Spezialisten aus ganz Deutschland im Hafenlohrtal auf Tiere und Pflanzen trafen, von denen sie niemals gedacht hätten, dass sie dort existieren. Klaus Mandery: „Jeder der Teilnehmer mobilisierte, was er konnte, und legte sich für die Artenvielfalt ins Zeug. Nur so ist es zu erklären, dass bei dieser Veranstaltung über 1.600 Arten gefunden wurden – und ‚Highlights’, biologische Besonderheiten obendrein!“ Zum Beispiel der Pilz Sphaerellothecium propinquellum, der auf Flechten lebt. Noch nie zuvor wurde er in Franken entdeckt. Ebenfalls eine Neuentdeckung: Der Bodenstreu-Kleinrüssler Ceutorhynchus scrobicollis, der an der Knoblauchrauke lebt.
Leider tot war der Stierkäfer, den Klaus Mandery im Naturschutzgebiet Weihersgrund entdeckte, aber dennoch war der Artenspezialist froh, auf das Insekt gestoßen zu sein. 30 Jahre ist es her, dass zuletzt im Spessart ein Stierkäfer (Typhoeus typhoeus) aufgespürt wurde. Zum achten Mal in Bayern seit den Aufzeichnungen aus dem Jahr 1850 entdeckten die Artendetektive vom GEO-Tag schließlich die Raubfliege im Hafenlohrtal. Klaus Mandery stieß im Weihersgrund auf das Insekt, Dr. Klaus von der Dunk, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Entomologen, konnte das Tier identifizieren. 1990 war die Raubfliege zuletzt in Bayern gesehen worden.