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Elf Gründe für das Insektensterben – und was wir dagegen tun können
Früher krabbelte, surrte, flatterte und brummte es im Sommer gefühlt überall. Heute zeigen Studien einen enormen Schwund an Insekten. Erfahren Sie mehr über die Gründe des Insektensterbens und wie wir gegensteuern können!
Hätten wir die Zeit sie zu zählen, kämen auf jeden Menschen dieser Erde rund 1,4 Milliarden Insekten. Die Menge und Vielfalt an sechsbeinigen Tieren ist nahezu unvorstellbar. Schätzungsweise 5,5 Millionen verschiedene Arten sind es. Manche finden wir wunderschön, vor anderen gruseln wir uns vielleicht sogar etwas. Insekten brummen, hüpfen, krabbeln und beißen. Sie sind ungemein vielfältig in ihren Überlebensstrategien und fast in jedem Ökosystem dieser Erde zu Hause.
Insekten sichern unserer Ernährungsgrundlagen
Landwirtschaft und Ernährung sind untrennbar mit dem Leben und Wirken von Insekten verbunden: Sie verbessern die Bodenqualität, bauen abgestorbene Pflanzen und Tiere ab und bestäuben die Nutzpflanzen. Drei Viertel unserer Nutzpflanzen werden von Insekten bestäubt!
Doch das Heer der Sechsbeiner schrumpft: Zahlreiche wissenschaftliche Studien aus ganz Europa zeigen massive Rückgänge bei Arten und Anzahl der Insekten in den vergangenen 20 bis 200 Jahren. Auswertungen der Roten Listen in Deutschland bestätigen diesen Schwund.
Die Landwirtschaft entscheidet
Marion Ruppaner, ehemalige Landwirtschafts-Referentin, BUND Naturschutz
Die Untersuchungen in Deutschland haben gezeigt, dass die Verluste an Insekten nicht regional begrenzt sind. Betroffen sind Spezies verschiedenste Arten mit ganz unterschiedlichen Lebensräumen. Am stärksten sind die Verluste hierzulande in den offenen Regionen der Landschaft, also beispielsweise auf Äckern und Wiesen. Einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Technischen Universität München zufolge hat sich zwischen 2008 und 2017 die Insektenbiomasse auf Grünlandflächen um zwei Drittel verringert. Über den gleichen Zeitraum untersuchte Wälder zeigten Verluste von 40 Prozent der Biomasse.
Warum unsere Insekten sterben – 11 Gründe
Tiere, Pflanzen und ihre Lebensräume sind einer kontinuierlichen Belastung durch Gifte und Schadstoffe aus der Industrie, aus Haushalten, dem Straßenverkehr und der Landwirtschaft ausgesetzt. Gasförmige, flüssige oder leicht lösliche Schadstoffe werden durch Wind und Wasser verbreitet und entfalten so auch weit entfernt vom Ausbringungsort ihre tödliche Wirkung. Viele Schadstoffe werden von Organismen aufgenommen und summieren sich so über die Nahrungskette hinweg zu tödlichen Mengen – oft über lange Zeiträume hinweg.
Einen wahren Kahlschlag unter Insekten verursachen die seit Anfang der 1990er-Jahre in der Landwirtschaft verwendeten Neonicotinoide. Das sind Insektizide, die das Nervensystem von Insekten schädigen. Sie beeinträchtigen den Orientierungssinn und reduzieren das Lernvermögen, schwächen das Immunsystem, erhöhen die Replikation des Genoms des tödlichen Flügeldeformations-Virus (DWV) bei Honigbienen um mehr als das Tausendfache, senken die Fortpflanzungsfähigkeit und verkürzen die Lebenszeit.
Einige der Neonicotinoide sind bis zu 7.000-fach wirksamer als DDT und nur schwer abbaubar. In mehrjährigen Pflanzen wurde eine Wirksamkeit über vier Jahre nachgewiesen. Die Anwendung der Neonicotinoid-Wirkstoffe Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam wurde 2013 EU-weit in Teilbereichen, wie etwa als Beizmittel für Mais und Raps, eingeschränkt. Ab 2019 gilt für diese drei Wirkstoffe in der EU ein Verbot für die Freilandausbringung. Nach wie vor dürfen sie jedoch in Gewächshäusern angewendet werden. Weiterhin zugelassen bleiben die Neonicotinoide Thiacloprid (Markennamen u. a. Biscaya, Calypso) und Acetamiprid .
Unsere Landschaft ist heute mit Stickstoff aus dem Straßenverkehr, aus Gas-, Kohle- und Ölverbrennungsanlagen (Stickoxide) und aus der Landwirtschaft (Stickstoffmineraldünger, Gülle aus Tierställen und aus Biogasanlagen) belastet. So landen beispielsweise in Niedersachsen pro Jahr rund 60 Millionen Tonnen Gülle, Mist und Gärreste aus Biogasanlagen in der Landschaft.
Die Folgen: Bei den Wiesenpflanzen ändert sich das Artenspektrum in Richtung weniger durchsetzungsfähigerer, stickstoffverträglicherer Arten wie Löwenzahn und Brennnessel. Viele Ackerwildkräuter verschwinden. Viele Insekten finden deshalb für sie wichtige Wildkräuter nicht mehr vor.
Durch den Bau von Siedlungen, Verkehrswegen und Gewerbegebieten verschwinden immer mehr ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Flächen unter Beton. In der freien Landschaft gibt es kaum noch Platz für die natürliche Entwicklung der Natur. Hecken, Böschungen sowie Waldrand- und Ufervegetation haben seit 1950 erheblich abgenommen. Gleichzeitig kompensieren gesetzlich vorgeschriebene Ausgleichsmaßnahmen wie die Neuanlage von Biotopen, Biotoppflege oder populationserhaltende Maßnahmen die zahlreichen Eingriffe in Lebensräume nur unzureichend. Das Insektensterben ist letztlich auch eine Folge der gigantischen Biotopverluste vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es fehlen uns heute zu viele der insektenreiche Lebensräume an naturnahen Flüssen und in Auen, alt- und totholzreiche Wälder, Streuobstwiesen, Moore oder Feuchtwiesen.
Die Folgen: Immer mehr Rückzugs- und Entwicklungsräume sowie Nahrungsquellen für Insekten verschwinden aus unserer Landschaft.
Wie es um einzelne Tier- oder Pflanzenarten bestellt ist, zeigen am umfangreichsten die Roten Listen. Das Bundesamt für Naturschutz bringt sie seit 40 Jahren heraus. Sie werden kontinuierlich erweitert und bilden beispielsweise die Entwicklung der Bestände von rund 15.000 Insektenarten über einen Zeitraum von 50 bis 150 Jahren ab. Damit stellen sie die Lage von knapp der Hälfte der über 33.000 hierzulande lebenden Insektenarten dar. Um alle Arten so genau zu beobachten, fehlt es dem Naturschutz leider an Ressourcen und Fachleuten. Die Roten Listen zeigen, dass in Deutschland fast jede zweite erfasste Art abnimmt. In den vergangenen Jahrzehnten fallen besonders die Verluste bei den Ameisen auf. Mehr als 90 Prozent der insgesamt 107 Arten, mit denen die Familie hierzulande vertreten ist, sind rückläufig.
Viele Käfer wurden mittlerweile unter Schutz gestellt, weil sie bedroht sind. So ist zum Beispiel das Fehlen von Dungkäfern am Zustand von Kuhfladen auf Weiden abzulesen. Vielerorts zersetzen sie sich nicht mehr. „Betonfladen“ wird dieses Phänomen mittlerweile genannt. Als eine der Ursachen für den Käferrückgang gelten Rückstände von Insektenvernichtungsmitteln im Kraftfutter, die mit dem Kot der Nutztiere auf den Wiesen landen. Dort entfalten sie dann ihre tödliche Wirkung bei den nützlichen Dungkäfern. Das erklärt auch, warum auf Weiden aus Biolandwirtschaft mehr Insekten zu finden sind, die Biomasse abbauen, als auf jenen aus konventionellem Landbau.
Immer mehr Siedlungen, Straßen, Gleise, Staustufen und riesige Äcker zerschneiden ursprünglich zusammenhängende Lebensräume.
Die Folgen: Tiere und Pflanzen können sich genetisch nicht mehr austauschen. Die genetische Verarmung kann leicht zum Aussterben einzelner Arten in einem Teillebensraum führen. Auch die Widerstandsfähigkeit der Arten gegenüber Krankheiten und mikroklimatischen Veränderungen leidet darunter. Ist die „Populationsinsel“ kleiner als der Aktionsradius einer Insektenart, werden die Einflüsse von Schadstoffen aus dem Umfeld auf diese Art umso größer.
Landauf, landab wird die landwirtschaftliche Nutzung seit Jahrzehnte drastisch intensiviert. Das schadet oder zerstört häufig die Vorkommen sensibler Tier- und Pflanzenarten. So leiden Insekten beispielsweise enorm unter der immer häufigeren und früheren Mahd von Grünland. Ihre Fortpflanzung wird erheblich gestört und durch das Verschwinden vieler Ackerwildkräuter verlieren sie ihre Nahrungsgrundlage. Besonders fatal war aber die sogenannte pfluglose Grünlanderneuerung mit Pflanzenvernichtern wie Glyphosat. Dabei wurde die alte Grasnarbe abgetötet und anschließend Hochleistungsgräser neu eingesät. Dank dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ ist diese Praxis in Bayern nun verboten.
Auch in Deutschland ist die Klimaerwärmung im vollen Gange. Negative Einflüsse auf die Insekten durch neue Tier- und Pflanzenarten sowie durch Pilze, Viren und Bakterien auf heimische Insekten sind möglich, jedoch schwer nachweisbar. Mildere Temperaturen, fehlende Schneedecke, ausbleibender Frost und höhere Niederschlagsmengen im Winter, trockenwarmes Wetter im Frühjahr sowie Spätfröste nach vorheriger spätwinterlicher Warmphase prägen zunehmend den typischen Wetterverlauf in Deutschland. Damit hat der Klimawandel einen erheblichen Einfluss auf die stark witterungsabhängige Entwicklung vieler Insektengruppen.
Die Folgen: Durch den Klimawandel bedingte Abweichungen beim Temperaturverlauf und bei der Verteilung der Niederschläge übers Jahr führen zu:
Arealverschiebungen: Zuzug neuer wärmeliebender Arten (Konkurrenz), Lebensraumverlust durch Austrocknung bei feuchteliebenden Arten, Ausweichen der Arten in höher gelegene oder nördliche Regionen führt zu Verinselung der Populationen.
Desynchronisation: Nahrungsmangel durch zu frühen Schlupf, wenn Wirtspflanzen noch nicht vorhanden sind, oder Nahrungsmangel durch zu geringes Nektarangebot. Tod durch Kälteeinbruch, Ausbildung zusätzlicher Generationen bei Faltern, welche keine oder nur noch wenig Nahrung vorfinden.
Veränderungen in den Nahrungsketten: Ausbreitung oder Zuzug neuer/anderer Arten kann in bestimmten Arealen zu Nahrungskonkurrenz und veränderten Räuber-Beute-Verhältnissen mit negativen Folgen für ursprüngliche Arten führen.
Zunahme von Erkrankungen: Die Bedingungen für Parasiten, Schädlinge, Bakterien und Pilzkrankheiten werden durch milde Winter und höhere Niederschläge im Sommer gefördert.
Die allgegenwärtige künstliche Beleuchtung stellt nachtaktive Insekten vor immer größere Probleme und verändert ganze Ökosysteme: Zahlreiche Falterarten werden vom Licht der Straßenlaternen oder Leuchtreklamen angezogen. Grund dafür ist das kurzwellige Licht mit einem hohen Blau- und Ultraviolettanteil, auf das die Sensoren der Falter zur räumlichen Orientierung empfindlich reagieren. Künstliche Lichtquellen stören erheblich den Lebensrhythmus und das Fortpflanzungsverhalten nachtaktiver Insekten. Häufig verbrennen sie an der heißen Oberfläche der Lampen. Durch Verwendung von LEDs oder Natriumdampf-Hochdrucklampen kann das Risiko für Insekten reduziert werden (kein UV-Anteil, Warmlicht).
Langzeituntersuchungen in Deutschland zeigen, dass bei den Schmetterlingen vor allem die Spezialisten verloren gehen. Hierzu zählen beispielsweise Tagfalter, deren Larven auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen sind, wie etwa der Goldene Scheckenfalter. In mehreren Regionen Deutschlands wurden dauerhafte Verluste von über 70 Prozent der Arten festgestellt.
Was hilft gegen das Insektensterben?
Der BUND Naturschutz fordert eine natur- und umweltverträgliche Landwirtschaft. Das heißt unter anderem: ein Verbot aller bienenschädlichen Pestizide und einen sofortigen Ausstieg aus der Glyphosatanwendung. Herbizide müssen ab 2025 verboten werden. Außerdem geht es um mehr Schutz für Wiesen und Weiden sowie eine naturschutzfreundliche und damit auch insektenfreundlichere EU-Agrarpolitik.
Neben der Intensivierung der Grünlandnutzung hat vor allem die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland einen wesentlichen, dezimierenden Einfluss auf die Insektenfauna. So ging in Bayern die Dauergrünlandfläche seit den 1970er-Jahren um mehr als ein Drittel, von 1,5 auf etwa nur noch eine Million Hektar zurück. Erst 2013 hat die EU den weiteren Umbruch durch Regelungen eingeschränkt. Dank des erfolgreichen Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ ist der Grünlandschutz in Bayern jetzt im Naturschutzgesetz verankert.
Ein weiteres Puzzlestück auf der Suche nach einer Antwort für den dramatischen Rückgang der Insektenfauna sind die Millionen von Insekten, die täglich durch den Straßen-, Bahn- und Flugverkehr getötet werden.
In Regionen, in denen es im Offenland kaum noch natürliche Aufenthaltsbereiche (Habitate) für Falter, Wildbienen oder Schwebfliegen gibt, sind naturnahe und blütenreiche Gärten und Parkanlagen in Ortschaften wichtige Rückzugsgebiete für Insekten. Dazu müssen die Besitzer bereit sein, auch „wilde Ecken“ und natürliche Entwicklungen in ihrem grünen Reich zu tolerieren. Leider häufen sich in unseren Siedlungen zunehmend sogenannte Designergärten mit getrimmtem Golfplatzrasen, Mauern aus Grobschotter und Mosaiken aus Kies anstelle blühender Hecken und Stauden. Ein Trend mit weitreichenden negativen Folgen für die Insektenfauna im Siedlungsraum.
An die bayerischen Gemeinden appelliert der BN, mehr bunte Blühflächen in den Orten anzubieten und öffentliche Flächen wie Weg- und Straßenränder durch einfache Änderungen bei der Mahd insektenfreundlicher zu gestalten. Auch die Bürger können in ihren eigenen Gärten viel für Grashüpfer & Co. tun. Konkrete Tipps und Anregungen für eine insektenfreundliche Pflege von Gärten und öffentlichen Grünflächen hat der BN auf seiner Webseite und in einem Leitfaden für Bürger und Kommunen gesammelt.