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Eröffnung der A71

A71-Eröffnung - Kein Grund zum Jubeln

15.12.2005

Am 17.12.2005 wird die Autobahn A71 auch in Bayern offiziell für den Verkehr freigegeben. Bund Naturschutz und Bürgeraktion B19/A81 se-hen darin keinen Grund zum Jubeln - angesichts der Verluste und Be-einträchtigungen wertvoller Biotope und Erholungsflächen ebenso wie angesichts der landschaftsoptischen Eingriffe, der nach wie vor unkal-kulierbaren Risiken für das Grundwasser, der Nachteile für die Land-wirtschaft und der zu erwartenden Lärm- und Abgasbelastungen für die Bevölkerung in den Ortschaften entlang der Trasse.
Die prognostizierten Entlastungen für die B19 stehen dazu in keinem Verhältnis. Dies umso mehr, als verkehrliche Verbesserungen wesent-lich kostengünstiger und umweltschonender mit einem bestandsorien-tierten Ausbau der B19 hätten erreicht werden können und nach allen Erfahrungen die Inbetriebnahme der A71 weitere Ausbaumaßnahmen beim untergeordneten Straßennetz nach sich ziehen wird.

Alternativen im Vordergrund
Auslöser für den Neubau der A71 waren die durch die Grenzöffnung verur-sachten Verkehrsprobleme in der ehemaligen Grenzregion zwischen Nord-bayern und Südthüringen.
Doch statt eines Ausbaus der B19 "wie ihn der Regionale Planungsverband 1990 gefordert und das Straßenbauamt Schweinfurt bis Juli 1992 geplant hatten - wurde der Region vom damaligen Verkehrsminister Krause der Neu-bau einer Autobahn (zuerst A81, später A71) förmlich von oben verordnet.

Zu massiven Eingriffen und Konflikten musste es dabei schon deshalb kom-men, weil eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende Trasse alle großen, ökolo-gisch wie landschaftsoptisch wertvollen Talräume nahezu rechtswinklig que-ren musste und sich die zahlreichen Ortschaften relativ gleichmäßig über das Gebiet verteilten.
Für BN und Bürgeraktion gab es deshalb schon bei im Jahr 1993 eingeleitete Raumordnungsverfahren mit den drei Trassenvarianten keine Diskussion um die bessere oder schlechtere Variante, keine von lokalen Interessen geprägte Kirchturmpolitik und auch keinen egoistischen "Verschiebebahnhof".

Von Anfang an spielte die Forderung nach umweltverträglicheren Alternativen - weit über einen möglichen B19-Ausbau hinaus - eine zentrale Rolle.

Dass dabei BN und Bürgeraktion keineswegs weltfremden Utopien nachhin-gen, bewies nach Überzeugung des BN-Verkehrsexperten Richard Mergner, der renommierte Verkehrsplaner Prof. Henning von Winning (Kassel).
Sein detailliertes Alternativkonzept machte überdeutlich, dass mit einem be-standsorientierten Ausbau der B19 eine wirksame Verbesserung der Verkehr-situation möglich gewesen wäre - bei der Hälfte der Kosten und ebenso deut-lich geringeren Umweltbelastungen.
Darin, dass dieses umsetzungsreife Konzept trotzdem bei den politischen Entscheidungsträgern weitgehend tot geschwiegen und ignoriert wurde, sieht der BN einen zentralen Beweis dafür, dass es beim Bau der A71 nicht vorran-gig um die Lösung von Verkehrsproblemen, sondern um die Durchsetzung eines politischen Prestigeprojektes gegangen ist.

Gerade die zur Rechtfertigung der neuen Autobahn und der damit verbunde-nen massiven Eignriffe immer wieder bemühten Ortschaften im Streutal zwi-schen Bad Neustadt und Mellrichstadt sind für den BN der beste Beweis da-für, dass selbst die unmittelbar Betroffenen schon bald den Glauben an die oft vollmundig prognostizierte Entlastungswirkung der A71 verloren haben:
Die Ortsumfahrung von Oberstreu ist längst in Betrieb, während Mittelstreu bis heute mit allen Mitteln um die Durchsetzung einer solchen Ortsumfahrung in einem FFH-Gebiet kämpft und dabei immer wieder auf das nach Eröffnung der A71 befürchtete zusätzliche Verkehrsaufkommen verweist.

Massive Belastungen für Natur und AnwohnerInnen
Die für die vier Planfeststellungsabschnitte (Länge 43 - 20 km) vorgelegten Planunterlagen übertrafen die schlimmsten Befürchtungen (zeigten, dass .... berechtigt): Aufgrund des v. a. im nördlichen Bereich stark bewegten Gelän-des mit tiefen Taleinschnitten sollte nicht nur im unmittelbaren Trassenbe-reich kein Stein auf dem anderen bleiben:
 gewaltige Erdbewegungen
 Abschnitte mit Dammschüttungen und tiefen Einschnitten wechseln ein-ander ab
 Einschnittstiefe bis 26 m/Breite bis 150 m (z. B. Storchsberg bei Rödel-maier)
 Dammschüttungen bis 23 m Höhe
 8 riesige Talbrücken mit bis zu 650 m Länge und 45 m Höhe (Lautertal-brücke bei Münnerstadt).

Die Konsequenz:
Eine Landschaft verliert ihr Gesicht, Anwohner und Besucher verlieren zent-rale Teile einer über Jahrzehnte vertrauten Kulturlandschaft, verlieren Identität und ein Stück Heimat.
Dieser Verlust wird sich nach Inbetriebnahme weiter fortsetzen: durch eine großflächige Verlärmung ortsbezogener Naherholungsgebiete, durch einen Dauerlärmpegel für viele Häuser und Siedlungsgebiete am Ortsrand. Die be-sondere Wohn-, Freizeit- und Erholungsqualität dieser Region bleibt damit für viele BewohnerInnen vor Ort förmlich auf der Strecke.

Eine der letzten unverlärmten und unzerschnittenen Regionen Nordbayerns über 100 km2 Fläche ist damit zu einer lärmgeplagten Allerweltsregion abge-sunken.

 Natur- und Artenschutz
Gerade auch der Natur- und Artenschutz hat einen hohen Preis für diese neue Autobahn zahlen müssen.
- Zerschneidung, Verlärmung und Entwertung großflächiger Laubwaldge-biete (z.B. Eichholz, Lange Lohe)
- Zerschneidung, Teilisolierung (zwischen B19 und A71) und Entwertung eines der bedeutendsten Feldhamsterlebensräume Nordbayerns bei Gel-dersheim,
- Zerschneidung, Verlärmung und Entwertung vielfältig strukturierter und artenreicher Halbtrockenrasen, -Hecken-Komplexe an den Südhängen von Thalwasser,- Lauer- und Saaletal (25 Rote-Liste-Arten im Saaletal).
Diese Lebensraumkomplexe waren tlw. bereits als Naturschutzgebiete vorgesehen (Lauertalsüdhang), ihre Meldung als FFH-Gebiete ist auf poli-tische Weisung von oben verhindert worden.

Die quantitative Verlustbilanz:
- Waldverluste: fast 40 ha
- Waldbeeinträchtigung: fast 70 ha
- Versiegelung Offenlandflächen: rund 90 ha
- Biotopverluste: über 20 ha
- Biotopbeeinträchtigung: rund 20 ha

Die zumeist punktuellen, oft kilometerweit von der Trasse entfern realisierten "Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen" können nach Einschätzung des BN bestenfalls ansatzweise eine gewisse Kompensation bewirken, die von der A71 verursachten Eingriffe insgesamt aber nicht ausgleichen.
Manche dieser Maßnahmen sind selbst vielfach fragwürdig, führen sie doch tlw. zu weiteren Eingriffen (z.B. durch Bodenabtrag) oder werden quasi als Restflächenverwertung im unmittelbaren Nahbereich der Trasse auf lärmbe-schallten und abgasbelasteten Flächen realisiert.

Grund- und Trinkwasserschutz
Im klüftigen und selbst von langjährigen Kennern des Gebietes kaum ein-schätzbaren Muschelkalk bleiben die Risiken der A71 trotz mancher Schutz-maßnahmen für das Grundwasser und die Trinkwasserversorgung auch wei-terhin unkalkulierbar.
Tangiert sind gleich mehrere bestehende bzw. geplante Trinkwasserschutz-gebiete bzw. deren Einzugsgebiete. Auf über acht Kilometer durchquert die Autobahn das großflächige und für die Trinkwasserversorgung von Münner-stadt wie von Bad Kissingen unersetzliche Wasserschutzgebiet südlich von Münnerstadt.

Trotz dieser Problemfälle und "dichte sollte die Genehmigung der A71 förm-lich übers Knie gebrochen und um jeden Preis vorangetrieben werden.
Anders ist es für den 1. Vorsitzenden des BN, Prof Hubert Weiger, nicht zu erklären, dass angesichts der vielen qualifizierten Einwendungen betroffener Anwohner, Landwirte, Naturschützer und Heimatfreunde in allen vier Plan-feststellungsabschnitten die Planunterlagen tlw. umfangreich nachgebessert und jeweils eigene Planergänzungsverfahren durchgesetzt werden mussten. Ein in Bayern und ganz Deutschland bis dahin nie da gewesener Vorgang.

Mahnfeuer und Bäume der Hoffnung
Dass der Widerstand gegen die A71 nicht von außen in die Region hineinge-tragen wurde, sondern aus ihr selbst gewachsen ist, wird v. a. an der bereits 1990 gegründeten Bürgeraktion und der breiten Unterstützung unzähliger Aktionen und Initiativen vor Ort deutlich. Nicht von ungefähr haben über 18.000 Betroffene offiziell Einwendungen gegen dieses Projekt erhoben.

Die lange Liste der Aktionen dokumentiert in den Augen des BN besonders eindrucksvoll den ebenso kreativen, wie über viele Jahre ungebrochenen Wi-derstand gegen die A71, aber auch den langjährigen ehrenamtlichen Kampf um die Erhaltung unersetzlicher Heimatnatur:

 Information der Bevölkerung durch
- Pressearbeit (Leserbriefe, Auftritte in Rundfunk und Fernsehen "Veto", "Unkraut")
- Informationsveranstaltungen in den einzelnen Ortschaften, Vorberei-tung von Bürgerversammlungen
- Infostände
- Pressefahrten (u. a. Schweinfurt - Erfurt 1993)
- Ortsbegehungen
- Verkehrszählungen (1991, 1993, 1999)
- Flugblätter ("Bewahren statt Zerstören", 25000 für Bayern und Thürin-gen)
 Postkarten- und Briefaktionen (1990, 1994, 2000)
 Petition an den Bundestag (über 24000 Unterschriften)
 Übergabe einer "Bürgerpetition" an Bundespräsident Dr. Herzog (1997)
 Parlamentarierabende in Bonn
 Kulturelle Veranstaltungen ("HOLTERDIEPOLTER" mit KünstlerInnen aus der Region, Gerhard Schöne, Bettina Wegner, Gerhard Polt, Biermösl-Blosn, F. Hundertwasser)
 Mahnmale(Golan-Höhen) und Mahnkreuze
 Mahnfeueraktion "Eine Region in Flammen" entlang der gesamten Strecke (1993)
 Baumpflanzaktion "Bäume der Hoffnung" (1995)
 Aktionstage in Meiningen, Bad Neustadt, Münnerstadt
 unterschiedlichste Protestformen (Baumbesetzung, Totentanz, Mahnwa-chen, Theaterstücke)
 Ausstellungen ("Alptraum Auto" in Bad Kissingen)
 Demonstrationen in Thüringen und Bayern (Traktordemo zur Regierung in Würzburg mit mehr als 40 Traktoren)
 sieben "Kreuzwege für die Schöpfung" von Geldersheim bis Rödelmaier
 Verkehrstagung zusammen mit der Evangelischen Akademie Tutzing in Bad Neustadt zum Thema "Verkehrsinfarkt"
 Auftrag für ein Alternativkonzept (Prof. von Winning, Kassel)
 Erstellung wissenschaftlich fundierter hydrogeologischer und medizini-scher Gutachten

Erfolge im Kleinen
Auch wenn Petitionen, Einwendungen und Klagen vor dem Bundesverwal-tungsgericht nicht zur Verhinderung der A71 geführt haben, war nach Auffas-sung von Helmut Schultheiß, Regionalreferent für Unterfranken, der langjähri-ge Einsatz keineswegs umsonst oder gar erfolglos. Diesem Engagement vie-ler heimatliebender Bürgerinnen und Bürger, des BN und der Bürgeraktion B19/A81 ist es wesentlich zu verdanken, dass "im Kleinen" Verbesserungen durchgesetzt werden konnten, die vielfach in die Fläche wirken.

Die positive Bilanz des langjährigen Einsatzes von BN und Bürgeraktion:
- Über 18 000 Bürgereinwendungen
- Unterstützung vieler Aktionen vor Ort durch Anwohner und Betroffene
- Großes Bürgerengagement bei Erörterungsterminen
- Klageverfahren durch Betroffene, Gemeinden und Naturschutzverbände
- Überarbeitung der Planunterlagen in allen 4 Planfeststellungsabschnitten (auf 56 km Länge)
- Weitere Ausgleichsmaßnahmen
- Teilerfolge bei Klageverfahren: Baustopp/Überarbeitung der Bauunterlagen
- Verbesserungen für die Landwirtschaft sowie beim Grundwasser-, Trink-wasser- und Lärmschutz

Ausstellung "A71 gebaut - Heimat verbaut"
Zur Autobahneröffnung am 17.12.05 haben BN und Bürgeraktion gemeinsam eine Ausstellung erarbeitet. Mit Bildsequenzen "vorher - nachher" werden dort die drastischen Landschaftsveränderungen verdeutlicht, aber auch die zahl-reichen Aktionen Betroffener im Einsatz für ihre Heimat dokumentiert und die Alternativvorschläge zur A71 in Erinnerung gerufen.
Diese Ausstellung soll v. a. Mahnung und Motivation sein, soll gerade den künftig von Großprojekten Betroffenen vor Augen führen, dass Eingriffe und Landschaftsveränderungen in der Realität weit massiver und gravierender ausfallen, als es papierene Planunterlagen erahnen lassen. Sie soll Betroffene und verantwortliche Politiker auch dazu motivieren, gerade bei der Lösung von Verkehrsproblemen eingefahrene Gleise zu verlassen und verstärkt ge-meinsam nach menschen- und naturverträglichen Alternativen zu suchen.

Resümée
Für BN, Bürgeraktion und viele Betroffene ist die Eröffnung der A71 kein Grund zum Jubeln. Zu hoch ist der Preis, den die Region mit ihren Natur-schätzen und besonderen Erholungsqualitäten, aber auch vielen trassennahe Bewohner durch den Verlust an Lebens-, Freizeit- und Erholungsqualität zahlen müssen. Einmal mehr hat es die Politik versäumt, die längst überfälli-ge Wende in der Vekehrspolitik konsequent umzusetzen und ein umweltver-träglicheres Gesamtverkehrskonzept zu realisieren. Das Zerstörungswerk der A71 sollte als abschreckendes Beispiel wirken - mit dem Bau weiterer Auto-bahn muss wenigstens jetzt endgültig Schluss sein!

Es gibt längst bessere Lösungskonzepte - menschenfreundlicher, umwelt-verträglicher und dazu oft sogar kostengünstiger.
Ihnen muss im Interesse auch künftiger Generationen die Zukunft gehören.