Gentechnikfreie Produktion akut bedroht
Bei der Anhörung des EU-Parlaments am 11.09.2003, bei der europäische Wissenschaftler und Praktiker der Saatgutproduktion über den aktuellen Wissensstand zum Nebeneinander (Koexistenz) einer Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik berichteten, ergaben sich folgende Erkenntnisse:
1. Die ernorme Vielfalt der europäischen Landwirtschaft (Agrarstrukturen, Anbauverhältnisse, Umweltbedingungen) führt zu nicht vorhersehbaren Folgen der Kontamination und erfordert permanente Kontrollen hinsichtlich gentechnischer Verunreinigungen.
2. Nach dem Anbau von Gen-Raps kann bis zu 10 Jahre später der Durchwuchs zu einer erheblichen Kontamination der Nachfolgekulturen führen. Der einmalige Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) beschränkt somit massiv einen vom Eigentümer geplanten GVO-freien Nachfolgeanbau. Dies führt zu gravierenden Einschränkungen der Ausweitung des Ökolandbaus und wirtschaftlichen Einbußen der Eigentümer. Die Auswirkungen auf die Pachtverhältnisse sind völlig ungeklärt.
3. Auch die konventionelle Landwirtschaft ist wegen der Auskreuzung und der dadurch z. B. entstehenden herbizidresistenten Pflanzen wirtschaftlich negativ betroffen.
4. Der Einsatz von Bt-Pflanzen erhöht massiv die Resistenzbildung bei Schadinsekten.
5. Die Garantie für eine GVO-Freiheit von Saatgut erfordert bei Vorhandensein von GVO-Anbau in derselben Region einen massiven zusätzlichen Kontrollaufwand. Sie kann im Unterschied zur jetzigen Situation nur garantiert werden, wenn GVO-freie Regionen ausgewiesen werden.
Aufgrund dieser Ergebnisse fordern der Bund Naturschutz (BN) und die Landesvereinigung für Ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ):
1. Solange die entscheidenden Fragen zur Koexistenz, zur Haftung und zur Kostenübernahme nach dem Verursacherprinzip nicht geklärt sind, muss das europäische Moratorium bestehen bleiben. Die jetzige Situation mit der Verlagerung der Regelungen auf die Mitgliedsstaaten führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Koexistenz die GVO-Landwirtschaft durchgesetzt wird, und der schon vorhandene ökologische Landbau dadurch existenziell bedroht ist.
2. Die EU muss vor allem die GVO-Freiheit des Saatgutes für den gentechnikfreien Landbau sichern. Die jetzt diskutierten Schwellenwerte sind absolut inakzeptabel. Es muss ein Reinheitsgebot für Saatgut gelten (Nachweisgrenze).
3. Die Bayerische Staatsregierung wird aufgefordert, eine gentechnikfreie Landwirtschaft sowohl für die konventionelle wie auch für den ökologischen Landbau in Bayern zu sichern. BN und LVÖ fordern deshalb die Staatsregierung auf, die o. g. Forderungen zu unterstützen bzw. zu erklären, wie sie ohne solche Maßnahmen eine faire Koexistenz in Bayern sichern will. Bayern ist aufgrund seiner landwirtschaftlichen Strukturen, der vorherrschenden Pachtflächen bei Vollerwerbsbetrieben, der ausgeprägten überbetrieblichen Zusammenarbeit (Maschinenringe) besonders betroffen. Handlungsmöglichkeiten des Landes eröffnet nicht zuletzt auch die überfällige Novelle des Bayerischen Naturschutzgesetzes.