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Jubiläum: 30. Reichswaldfest - 30 Jahre Schutz der "Grünen Lunge Nürnbergs"

Am Samstag, 29. Juni, und Sonntag, 30. Juni 2002 findet zum 30. Mal das Reichswaldfest des Bundes Naturschutz mit dem Forstamt Nürnberg und befreundeten Verbänden am Schmausenbuck, östlich des Nürnberger Tiergartens, statt

24.06.2002

1972 veröffentliche der Bund Naturschutz sein Reichswaldprogramm, das von zahlreichen Bürgerinitiativen unterstützt wurde. Seither wurde der Reichswald Stück für Stück durch die Forstbehörden erfolgreich ökologisch umgebaut und monotone Kiefernforste in standortgerechte und ökologisch stabile Mischwälder umgestaltet. Der "Steckerleswald" ist inzwischen zu stattlichen Baumbeständen herangereift, unter deren Schutz der laubbaumreiche Mischwald für morgen heranwächst.

Mit dem ersten Reichswaldfest vor 30 Jahren - 1973 - begann auch das Ringen um den Erhalt der Waldes: "Rettet den Reichswald" war die Kampfansage aller waldschützenden Bürgerinnen und Bürger an die Zerstörer des Reichswaldes. Davor war der Reichswald eines der am stärksten gefährdeten Waldgebiete Deutschlands. Anfang der 70er Jahre wurden jedes Jahr ca. 400 Hektar - eine Größe von über 570 Fußballfeldern - für Straßen, Gewerbegebiete und Wohnbebauung gerodet. Planlos wurden Waldgebiete mit hoher Naherholungsfunktion zerstört, der Wald galt als billige Flächenreserve.

In der Folgezeit gelang es, die entscheidende Bedeutung des Reichswaldes zur Erhaltung der Lebensgrundlagen im Verdichtungsraum bewusst zu machen. Nach einer aktuellen Untersuchung des BN reduzierten sich die Waldverluste im Lorenzer und Sebalder Reichswald in den 80er Jahren auf durchschnittlich 34 ha pro Jahr und in den 90er Jahren auf 7,6 ha pro Jahr. Damit befinden wir uns auf einem guten Weg!

Das Reichswaldfest stellt jährlich einen Höhepunkt für die Waldschützerinnen und Waldschützer der Region dar. Es wird Bilanz gezogen und gefeiert. Und dies mitten im Wald, auf einer der schönsten Lichtungen zwischen mächtigen Eichen am Fuß des Schmausenbuckturmes. Ein großes Kinderprogramm, Informationsangebote und kulinarische Köstlichkeiten aus ökologischem Anbau der Region machen das Reichswaldfest zum Familienereignis. Führungen in den Wald ermöglichen einen Einblick in die Vielfalt vor den Toren der Großstadt. Mit einem herrlichen Rundblick über den Reichswald und die Stadt werden alle Turmbezwinger belohnt. Den Festvortrag hält beim 30. Reichswaldfest MdL Renate Schmidt.

Auf der Grundlage des Bayerischen Waldgesetzes von 1976 wurden im Jahr 1979 fast 47.000 Hektar des mittelfränkischen Waldgebietes, darunter der Lorenzer und Sebalder Reichswald, die Mönau und der Meilwald bei Erlangen sowie der Stadtwald von Fürth und Zirndorf als erste Bannwälder Bayerns unter den strengsten Schutz des Bayerischen Waldgesetzes gestellt. Etwa 40% des Waldes in der Industrieregion stehen unter diesem Schutz. Durch eine Regionalplanänderung sind 1999 weitere kleine Waldstücke (z.B. Wälder zwischen Kammerstein, Büchenbach und Rednitzhembach oder der Rotenberg) hinzukommen, so dass abzüglich der Rodungen der letzten Jahre nun ca. 47.100 ha als Bannwald geschützt sind.


Erfolge

Der 30-jährige Einsatz des Bundes Naturschutz und vieler Bürgerinnen und Bürger für den Schutz des Reichswaldes hat sich gelohnt. Mit dem Reichswaldprogramm und auf den jährlichen Reichswaldfesten ist es gelungen, die "Grüne Lunge" Nürnbergs als lebensnotwendigen ökologischen Ausgleichsraum des Verdichtungsgebietes im Bewusstsein der Bevölkerung fest zu verankern. Besonders die aktuellen Aktionen der Bürgerinnen und Bürger zum Schutz des Reichswaldes vor einer weiteren Straße östlich Erlangen, am Brückkanal bei Schwarzenbruck und zum Fürther Stadtwald zeigen, dass dieses Bewusstsein nach wie vor deutlich ausgeprägt ist. Vor allem der Politik wurde klar, dass zwar Bäume nicht zur Wahl gehen, wohl aber immer mehr baum- oder waldbewusste Bürgerinnen und Bürger.

Größte Einzelerfolge waren die Verhinderung eines geplanten Rangierbahnhofes südlich Nürnberg (330 ha oder 550 Fußballfelder groß) mitten im Wald, das geplante Autobahnkreuz am Tiergarten, ein Panzerübungsplatz zwischen Feucht und Langwasser (700 ha), die Entschwefelung und Entstickung des kommunalen Heizkraftwerkes Nürnberg Sandreuth als erstem bundesdeutschen Kraftwerk zum Schutz des Waldes und der Gesundheit vor Schadstoffen. Die geplante Deponie Saugarten bei Kalchreuth, das geplante Großkraftwerk Franken III bei Erlangen (750 MW), geplante Wohnbebauung und Messeparkplätze bei Langwasser oder der geplante Sandabbau in der Waldabteilung "Speck" südlich von Leinburg (95 ha) blieben dem Wald erspart. 1999 konnte dort der extrem flechtenreiche und höchst schützenswerte Weißmooskiefernwald auf einem Dünenstandort als zweitgrößtes mittelfränkisches Naturschutzgebiet zusätzlich gesichert werden. Zwischenzeitlich wurde der Sebalder und der Lorenzer Reichswald als europäisches Vogelschutzgebiet und der Fürther Stadtwald als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH) nach Brüssel gemeldet. Damit stehen weitere Schutzinstrumente gegen Zerstörungen zur Verfügung.

Nach der Wahl von Dr. Ulrich Maly zum Oberbürgermeister (2002) ist die geplante Ostspange zum Flughafen Nürnberg offenbar passe. Ein Riesenerfolg der Bürgerinitiative und des BN. Auch die Bebauung des Waldkrankenhausgeländes inmitten des Fürther Stadtwaldes konnte durch die Protestaktionen einer BI, der Stadtheimatpflegerin und des BN und die Wahl von Dr. Thomas Jung zum Fürther OB verhindert werden.

Beispielhafte Fortschritte gibt es auch im Staatswald beim Umbau des "Steckerleswaldes" zum laubholzreichen naturgemäßen Mischwald. Da der Reichswald 1980 noch zu 86 % von Nadelhölzern dominiert war, sind jetzt vor allem in den Forstämtern Nürnberg und Erlangen auf hunderten von Hektar wieder Eichen, Buchen und Birken, Linden und Weiden vorhanden. Bei den bis zu 20 Jahre alten Bäumen beträgt der Laubholzanteil inzwischen ca. 65 %. Die Nürnberger Region hat sich damit zum Zentrum der naturgemäßen Waldwirtschaft in ganz Bayern entwickelt. Der Reichswald ist auf dem besten Weg, wieder zu dem eindrucksvollen Mischwald zu werden, der er ursprünglich auch war. Die natürliche Verjüngung des Waldes ist vor allem auch möglich, weil das Rehwild auf ein waldverträgliches Maß reduziert wurde. Vorkommen von Auerhuhn, Haselhuhn, Hohltaube, Sperlingskauz und seltenen Spechtarten, wie dem Schwarzspecht, mit z.T. höheren Siedlungsdichten als im Nationalpark Bayerischer Wald, sind der Lohn für den bei einer naturgemäßen Waldwirtschaft möglichen Einklang zwischen Holzproduktion und Artenreichtum.Auch das Risiko der Massenvermehrung von Schadinsekten, die in der Geschichte des "Steckerleswaldes" zur Vernichtung großer Bestände führten, konnte durch den Waldumbau und die Abkehr von der Monokultur verringert werden, Stürme können dem Wald nicht mehr so zusetzen wie noch "Wiebke" im Jahre 1990. Der Einsatz von Pestiziden im Wald ist nicht mehr notwendig. Die Fortschritte zahlen sich zunehmend auch in Heller und Pfennig aus.

Mit dem größten bayerischen Naturschutzprojekt, der von Bund Naturschutz, Landesbund für Vogelschutz (LBV) und Deutschem Verband für Landschaftspflege (DVL) in gemeinsamer Trägerschaft durchgeführten SandAchse Franken, bestehen seit 2002 hervorragende Möglichkeiten, auch die seltenen Flechtenkieferwälder zu schützen.


Negativposten

Die in den zurückliegenden 30 Jahren mühsam erkämpften Erfolge drohen jedoch durch den Freistaat selbst wieder verdrängt zu werden. Der BN sieht mit großer Sorge, dass für staatliche Straßenbauprojekte Bannwald gerodet wurde oder werden soll.

Die Waldrodungen für den Straßenbau an der Autobahn A9 oder die 37 Hektar Kahlschlag im Lorenzer Reichswald Zuge der im Bau befindlichen ICE-Neubaustrecke Nürnberg-München (seit 1995; davon ca. 23 ha Bannwald!) haben bereits neue Wunden geschlagen. Dabei wurden die für die ICE-Trasse abgeholzten Flächen trotz Zusagen im Planfeststellungsverfahren rechtswidrig bislang nicht durch Aufforstungen ersetzt. Die Ortsumfahrung Allersberg (7 ha) wurde 1999 trotz waldschonender Alternativen durch den Wald begonnen und 2001 weitergeführt.

Für die geplante Ortsumfahrung Buckenhof und Uttenreuth (St 2240) sollen auf einer Trasse von bis zu sechs km Länge bis über 11 ha Sebalder Reichswald (Bannwald) fallen und das Erlanger Trinkwasserschutzgebiet bedroht werden, obwohl mit der geplanten Stadt-Umlandbahn eine umweltfreundliche und waldschonende Alternative besteht.

Auf Betreiben von Innenminister Günter Beckstein wird weiterhin ein Direktanschluss des Nürnberger Flughafens an die A 3 mitten durch den Wald bei Buchenbühl geplant.

Der Neubau der Rastanlage Feucht-Ost am beliebten Brückkanal konnte zwar zunächst gestoppt werden, die aktuellen Pläne sehen aber weiterhin Waldrodungen für Parkplätze vor. Der BN fordert stattdessen ein Parkdeck mit zwei Ebenen zum Schutz des Waldes. Auch die Anlage Feucht-West soll nach dem Willen der Autobahndirektion Nordbayern auf Kosten des Waldes erweitert werden.

Im Zuge einer einseitigen Diskussion um den Wirtschaftsstandort wird der Wald von manchen Kommunalpolitikern und -politikerinnen darüber hinaus wieder stärker als billige Flächenreserve für Gewerbegebiete, Siedlungen und Sandabbau gesehen.

Die sog. Muna Feucht, der ehemalige Flugplatz der US-Armee bei Feucht (81 ha, 4,4 ha Wald) wurde 1998 als Gewebepark Nürnberg-Feucht-Wendelstein ausgewiesen, wertvolle Biotope werden seither vernichtet. Der BN hatte gefordert, das Gelände nach dem Abzug der Militärs dem Reichswald zurückzugeben.
Nach Protesten konnte 2002 zumindest der weitere Durchbruch eines Siedlungsbandes von Nürnberg nach Feucht gestoppt werden: Der Markt Feucht wollte das ehemalige Tanklager südlich der Muna (13 ha) als Gewerbegebiet "Lehmgruben" ausweisen, dies wurde aber vom Regionalen Planungsverband nicht genehmigt.
Die Maiacher Sulz (22 ha) und die Maiacher Soos (41 ha) wurden für den Hafen Nürnberg ab 1995 abgeholzt.
Das ehemalige Folienwerk Erlangen (1 ha) mitten im Meilwald wurde 1999 entgegen bisheriger Festlegungen nicht dem Wald zurückgegeben, sondern zum Gewerbegebiet auf Dauer.
In Büchenbach (Lkr. Roth) wurde Anfang 2001 trotz heftiger Proteste des BN für ein Sportgelände von mehreren Hektar Umfang Wald gerodet.
Die Regierung von Mittelfranken ließ inzwischen fünf (!) Mobilfunktürme im Umkreis von sechs Kilometern im Reichswald zu. Der BN hat die gemeinschaftliche Nutzung durch die Mobilfunkbetreiber gefordert.
Für das Gewerbegebiet III in Roth wurden 28 ha (!) ab 1999 gerodet und zwischenzeitlich z.T. bebaut.
Das neue Parkhaus der Messe Nürnberg verschlang drei ha Wald, die 2001 gerodet wurden.

Ein Ende der Eingriffe in den Reichswald ist nicht in Sicht. So sind u.a. folgende Eingriffsprojekte geplant oder in der Diskussion:

Im Wald südlich der Wiener Straße in Nürnberg soll ein 30 Hektar großes neues Hafenindustriegebiet Süd gebaut werden. Die für eine zweite Start- und Landebahn des Flughafens vorgesehene Fläche im Wald ist noch immer nicht geschützt. Die umstrittene Feuerwache an der Messe in Nürnberg soll trotz vorhandener Alternativen auf Kosten des Reichswaldes und des Schulgartens nördlich der Bertolt-Brecht-Gesamtschule realisiert werden (ca. 1 ha). In der Gemarkung "Kreuzstein" (Lkr. Nürnberger Land), östlich Röthenbach bei St. Wolfgang, bei Wendelstein, am "Bühl" in Schwarzenbruck und im Bereich "Mittelland Holz" bei Schwarzenbruck soll der Wald für Sandabbau weichen. Der Neubau der Rastanlage Feucht-Ost am beliebten Brückkanal konnte zwar zunächst gestoppt werden, die aktuellen Pläne sehen aber weiterhin Waldrodungen für Parkplätze vor. Der BN fordert stattdessen ein Parkdeck mit zwei Ebenen zum Schutz des Waldes. Mit der Änderung des Regionalplans wurden insgesamt ca. 37 Hektar aus der Bannwaldverordnung zur Bebauung südl. Rednitzhembach, südl. Lauf und im Fürther Stadtwald bei Egersdorf herausgenommen. Südlich der Sportanlage in Heroldsberg wird ein weiterer Sportplatz im Bannwaldbereich diskutiert (ca. 1 ha).

Der Bund Naturschutz hat zu all diesen Projekten konkrete, waldschonende Alternativen vorgeschlagen und wird auch weiterhin für den umfassenden Schutz des Nürnberger Reichswaldes kämpfen.

Eines der größten Probleme für den Nürnberger Reichswald ist jedoch auch die zunehmende Belastung mit Stickoxidemissionen des Auto- und Lasterverkehrs. Zwischen 35 und 50 Kilogramm Stickoxide gehen pro Jahr und Hektar auf den Wald nieder. Deutlich wird dies durch das Verschwinden der Heidelbeervegetation, die von stickstoffliebenden Gräsern überwuchert wird. Dies bedroht die Erfolge bei der natürlichen Verjüngung des Waldes mit Laubholz. Eine Änderung der Verkehrspolitik mit dem Verzicht auf den weiteren Ausbau der Autobahnen und Bundesstraßen in der Region und die Verlagerung der Güter auf die Bahn ist eine zentrale Forderung des 30. Reichswaldfestes.

Vor allem bei den verantwortlichen Kommunalpolitikern und der Regionalplanung muss der Schutz des Waldes und damit die Erhaltung einer der entscheidenden Lebensgrundlagen im Ballungsraum wieder vor vermeintliche Wachstumszwänge gestellt werden.

Auch die Ausweisung von Naturschutzgebieten bei Beibehaltung einer naturgemäßen Waldnutzung ist für Teile des südlichen Reichswaldes wie für die Flechten-Kiefernwälder bei Allersberg sowie die Ziegellach in Nürnberg erforderlich.

Eine Verkehrspolitik für den Umweltverbund von "Zu Fuß gehen, radeln, Bus und Bahn" statt weiterem hemmungslosen Straßenbau muss endlich von den verantwortlichen Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern akzeptiert werden. Der geplante kreuzungsfreie Ausbau des Frankenschnellweges, die geplante Rednitztalautobahn, die geplante Ortsumfahrung Buckenhof-Uttenreuth oder der Bau der Ostspange sind ein Alptraum für Mensch und Natur. Für letztere ist zunächst ein Raumordnungsverfahren nötig.

Der Nürnberger Reichswald benötigt somit in Zukunft eine verstärkte und neue Solidarität durch eine kritische Bürgerschaft. Eine große Koalition für den Reichswaldschutz aus Bürgerinnen und Bürgern, Naturschutz, Forstverwaltung und der Politik ist auch nach 30 Jahren Engagement für den Reichswald erforderlich.


gez.

Prof. Dr. Hubert Weiger
1. Vorsitzender

Tom Konopka
BN-Regionalreferent