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Kein Bedarf für neuen Brennernordzulauf

Korridorstudie des BCP weist einige „Denkfehler“ auf und leitet falsche Schlüsse ab.

15.02.2022

gemeinsame Pressemitteilung BUND Naturschutz und Brennerdialog Rosenheimer Land

Die „Korridorstudie“ der Lobbyorganisation „Brenner Corridor Platform“ (BCP) zeigt richtigerweise, dass zwischen Innsbruck und Verona täglich ca. 2.200 Fahrgäste fahren – deutlich weniger als beispielsweise die 12.000 Menschen zwischen Berlin und München. Deshalb wird der Neubau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke auch mit dem Bedarf für den Güterverkehr begründet. Die Korridorstudie macht aber bei ihren Annahmen drei wesentliche Denkfehler, so dass die prognostizierten 377 Züge pro Tag unrealistisch sind. Bei einer Prognose ohne Denkfehler käme man auf 292 Züge pro Tag, was der Leistungsfähigkeit der bestehenden Bahnstrecke entspricht. „Durch eine Erneuerung der veralteten Signaltechnik kann die Kapazität dieser Gleise zudem auf 392 Züge erhöht werden und das in 2040 zu erwartende Verkehrsaufkommen locker bewältigen“, so Thomas Riedrich, Sprecher Brennerdialog. Die möglichen Baukosten von ca. 10 Milliarden Euro wären in der Modernisierung der bestehenden Engpässe der Bahninfrastruktur [2] wesentlich besser aufgehoben.

Die "Brenner Corridor Platform (BCP)" als Lobbyorganisation für den Bau des Brenner-Basistunnels, hat das künftige Verkehrsaufkommen im Eisenbahn-Korridor München - Rosenheim - Innsbruck - Brenner - Verona für den Personen- und Güterbahnverkehr von zwei Consultingunternehmen und zwei Universitätsinstituten aus Italien analysieren lassen [1]. Wie auch schon bei der vom BMVI beauftragten „Trimode-Korridorstudie“ in 2018, hat der Brennerdialog „Rosenheimer Land e.V“. eine Plausibilitätsprüfung durch den renommierten Verkehrsexperten Dr. Martin Vieregg beauftragt, um die Richtigkeit der Zahlen und Schlussfolgerungen unabhängig zu prüfen.

„Die Ergebnisse der Prüfung sind eindeutig. Ein Neubau der Bahnstrecke ist nicht notwendig. Das vom BCP prognostizierte Verkehrsaufkommen für den Güterverkehr muss an drei Punkten korrigiert werden. Auch bei der gewünschten Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene um 50%, führt dies lediglich zu einer normalen Auslastung der heute nicht ausgelasteten bestehenden Bahnstrecke“, erklärt Dr. Martin Vieregg.

Der Vorsitzende des BUND Naturschutz in Bayern, Richard Mergner, unterstreicht: „Die Verlagerung von der Straße auf die Schiene ist ein enorm wichtiger Baustein für die Verkehrswende. Man darf aber niemals die Sinnhaftigkeit und Verhältnismäßigkeit wie hier aus dem Blick verlieren. Der so genannte Klimarucksack bei diesem Projekt ist enorm, das heißt, allein die Baumaßnahmen bedeuten eine riesige CO2-Belastung. Ganz zu schweigen von den massiven Eingriffen in die Natur und den Kosten. Ich habe den Eindruck beim Brennernordzulauf geht es hauptsächlich darum, Fördergelder nach Bayern zu holen – auf Kosten von Mensch, Natur und Umwelt.“

Die Korridorstudie der BCP zeigt richtig, dass das derzeitige Personenverkehrsaufkommen von Innsbruck nach Verona bei täglich 2.200 Fahrgästen liegt (800 Tsd p.a.), die mit fünf Zugpaaren pro Tag gut bedient werden. Im Vergleich zur Verbindung von Berlin nach München mit täglich ca. 12.000 Fahrgästen ist diese Zahl sehr gering. Die in der Korridorstudie theoretisch mögliche Verdreifachung der Fahrgastzahlen aufgrund kürzerer Fahrzeiten wird von den Autoren der Studie selbst bezweifelt, weil bei einer Bahnplanung ohne Halt in Städten wie Rosenheim, Kufstein, Bozen oder Trient ein potenzielles Fahrgastaufkommen fehlt. Der EU Rechnungshof fordert als Richtwert für eine EU-Kofinanzierung von Hochgeschwindigkeitsstrecken neun Millionen Fahrgäste pro Jahr [2]. Erfahrungen in Spanien und Frankreich zeigen, dass das grenzüberschreitende Fahrgastaufkommen auf neu gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecken sehr niedrig ist [2]. Nur die Verbindung von bevölkerungsreichen Ballungszentren ist wirtschaftlich, beispielsweise von Lyon oder Marseille nach Paris.

Deshalb wird der Neubau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke auch mit dem Bedarf für den Güterverkehr begründet und die Ermittlung des zukünftigen Bedarfs hat daher eine große Bedeutung. Das angenommene Wachstum ist mit 1,5% pro Jahr moderat, aber liegt dennoch über der realen Situation, denn seit 2010 steigt der gesamte alpenquerende Güterverkehr kaum mehr an.

Kern-Annahme der Korridorstudie ist eine Aufteilung des Güterverkehrs zwischen Brenner-Autobahn und Schiene von 50:50 durch politische Vorgaben. Wie das bewerkstelligt werden soll, sagt die Korridorstudie nicht. Der erste Denkfehler der Korridorstudie ist die unrealistische Annahme, dass der künftige Containerverkehr (überwiegend Seeverkehr) vom Hafen Triest nach Deutschland über Verona-Brenner geleitet wird, obwohl die bald vollständig ausgebaute Tauernbahn 150 km kürzer ist. Der nur 10 km von Triest liegende Hafen Koper ist für den Containerverkehr viel wichtiger, wird aber in der Korridorstudie gar nicht berücksichtigt – vielleicht weil der Güterbahnverkehr über Ljubljana und nicht über den Brenner läuft.

Der zweite Denkfehler der Korridorstudie ist, dass der im „vordringlichen Bedarf“ des deutschen Bundeswegeplans vorgesehen Ostkorridor von den Nordseehäfen über Leipzig, Regensburg über Hof und Mühldorf bis Freilassing und Salzburg sowie der Ausbau der Brenner-Zulaufstrecke Mühldorf – Rosenheim im „potenziellen Bedarf“ fehlen. Stattdessen wird der gesamte Brennerzulauf durch den Bahnknoten München geplant, der aber bereits überlastetet ist und keine weiteren Züge aufnehmen kann.

Der dritte Denkfehler der Korridorstudie ist, dass ca. 33% des LKW-Verkehrs auf der Brenner-Autobahn Umwegverkehr ist [4], also Verkehr, der den deutlich kürzeren Weg über die Schweiz im Sinne des "Bestweges" laufen würde, wenn die Brenner-Strecke nicht billiger und limitiert wäre. Deshalb kann man nicht den gesamten LKW-Verkehr einfach auf die Brenner-Eisenbahn umbuchen, sondern nur den Verkehr, für den der Schienenweg über den Brenner nicht länger ist als über den Gotthard bzw. Lötschberg, die beide bei weitem noch nicht ausgelastet sind.

Durch diese drei Denkfehler ist der von der Korridorstudie der BCP für 2040 angenommene Zuwachs von 80 Güterzügen und einer Gesamtzahl von 377 Zügen auf dem Brennernordzulauf unrealistisch. Bei optimistischen Annahmen können 46 bis 58 zusätzlichen Güterzüge unterstellt werden. Damit ergibt sich mit den vor Corona verkehrenden 80 Güterzügen zwischen Rosenheim und Kufstein eine Summe von 138 Güterzügen. Wenn man von einem Ausbau des Personenbahnverkehrs durch mehr Fernverkehr und eine Verdichtung des Nahverkehrs auf einen Halbstundentakt ausgeht, ergeben sich höchstens 292 Züge pro Werktag in beide Richtungen.

Damit ist die Leistungsfähigkeit der bestehenden Bahnstrecke von ca. 284 Güter- und Personenzügen ausreichend [5]. Durch eine Erneuerung der veralteten Signaltechnik kann die Kapazität auf 392 Züge erhöht werden. Somit könnte die bestehende zweigleisige Strecke das in 2040 zu erwartende Verkehrsaufkommen selbst ohne moderne Signaltechnik bewältigen. Letztlich bestätigt das Ergebnis die ursprünglich offiziell von Österreich und Deutschland vertretene Einschätzung, dass ein viergleisiger Ausbau der Bahnstrecke Grafing - Rosenheim - Kiefersfelden nicht erforderlich ist. Die möglichen Baukosten von ca. 10 Milliarden Euro wären in der Modernisierung der bestehenden Engpässe der Bahninfrastruktur [2] und eine bundesweite Elektrifizierung der Bahnstrecken wesentlich besser aufgehoben.

Weitere Daten und Fakten unter https://brennerdialog.de/blog/2019/03/21/fakten/ www.buergerforum-inntal.de

Quellen: (Detaillierung in Arbeit)

[1] Brenner Korridorstudien für Personen- und Güterverkehr, Brenner Corridor Plattform (BCP), Franzensfeste Italien, 6/2021, https://www.bcplatform.eu/korridorKorridorstudien

[2] KCW GmbH (2019): Railmap 2030 – Bahnpolitische Weichenstellungen für die Verkehrswende. Studie im Auftrag von Agora Verkehrswende. Berlin 2019 https://www.agora-verkehrswende.de/veroeffentlichungen/railmap-2030/

[3] Sonderbericht 19 des EU Rechnungshofs „Europäisches Hochgeschwindigkeitsschienennetz: keine Realität, sondern ein unwirksamer Flickenteppich“, Luxemburg 2018, ISBN 978-92-847-0107-0 https://www.eca.europa.eu/de/Pages/DocItem.aspx?did={DBFE8B49-586B-49EB-AE0B-CE0CCDD87422}

[4] Untersuchung der Routenwahl im Alpenquerenden Straßengüterverkehr in Westösterreich und der Schweiz, Amtes der Tiroler Landesregierung Abt. Mobilitätsplanung, Reith bei Seefeld, 12/2021 https://www.tirol.gv.at/fileadmin/themen/verkehr/verkehrsdatenerfassung/Studie_ ROUTENWAHL_IM_ALPENQUERENDEN_STRASSENGUETERVERKEHR_2019.pdf

[5] Ermittlung der Kapazität der Bestandsstrecke im Bayerischen Inntal in drei Varianten abhängig von Signaltechnik und Ausbau Bahnknoten Rosenheim, Brennerdialog Rosenheimer Land e.V., 83071 Stephanskirchen 4/2019 https://brennerdialog.de/blog/2019/03/21/fakten/

Auswahlbilder

1 Ein breites Bündnis aus Bürgern, Landwirten und regionaler Wirtschaft protestiert gegen den Neubau einer überflüssigen Bahntrasse Quelle: Brennerdialog

2 Die bestehende Bahnstrecke hat genug „Reserven“ für die Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene – braucht aber besseren Schallschutz und eine moderne Signaltechnik Quelle: Brennerdialog

3 Die Studie „Railmap 2030 – Bahnpolitische Weichenstellungen für die Verkehrswende“ zeigt wichtige Engpässe im Bahnnetz auf – die Brennerstrecke gehört nicht dazu Quelle: KCW GmbH