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Kommunale Entlastungsstraße Mittelstreu

Etikettenschwindel auf dem Rücken der Natur

25.07.2003

In nicht einmal zwei Jahren soll die mit über 300 Mio. EURO Steuergeldern finanzierte A 71 zwischen Schweinfurt und der Landesgrenze Bayern/Thüringen fertig gestellt sein.
Bei der Rechtfertigung und Genehmigung dieser Autobahn , aber auch bei der Abwägung zulasten massivster Eingriffe in Landschaftsbild und Naturhaushalt diente vor allem die für die Streutalgemeinden prognostizierte Verkehrsentlastung als zentrales Argument.
Immerhin soll lt. Prognose von Professor Kurzak im Bereich Mittelstreu der Verkehr auf der B 19 um fast 70 % auf unter 6000 Fahrzeuge reduziert und der überregionale Durchgangsverkehr (v.a. LKW!) auf die Autobahn verlagert werden.

Trotzdem plant die Gemeinde Oberstreu für die Ortschaft Mittelstreu den Bau einer eigenen "kommunalen Entlastungsstraße".
Diese schwenkt südwestlich der Ortschaft von der B 19 zur Bahnlinie ab, wird an dieser entlang geführt und schwenkt nördlich. von Mittelstreu wieder auf die B 19 ein.
Zur Anbindung der Ortschaft sollen im Bereich des Sportgeländes ein groß dimensionierter Kreisel, eine neue Streubrücke und mitten durch die Streuaue eine über 1m hoch aufgedämmte Spange gebaut werden.

Fehlende Rechtfertigung

Aus Sicht des Bundes Naturschutz ist dieses Vorhaben v. a. aus folgenden Gründen nicht zu rechtfertigen:

 Mit der von Prof Kurzak für die A 71 prognostizierten Entlastungswirkung der A 71 liegt das künftige Verkehrsaufkommen (5 700 Kfz/24 h) deutlich unter dem Schwellenwert von 10 000 Fahrzeugen, ab dem eine Ortsumfahrung üblicherweise erst als prüfungsrelevante Lösungsvariante eingestuft wird
 Nördlich und südlich von Mittelstreu erhält die B 19 Zubringer zur
A 71.
Diese sind von der Ortschaft jeweils nur 6 - 7 km entfernt und ebenso nur wenige Kilometer lang. Damit kann neben dem überregionalen auch der regionale (Schwerlast-) Verkehr die A 71 ohne unzumutbare Umwege als großräumige Ortsumfahrung für die Streutalgemeinden nutzen.
 Die Brücken (z.B. Bahratal) und Feldwegüberführungen der A 71 nördlich von Mittelstreu sind weitgehend fertig gestellt, so dass keine Großtransporte mehr zu erwarten sind, die zu Problemen in der Ortsdurchfahrt führen könnten.

 Bei der vorgesehenen Trassenführung sollen für die Ortsumfahrung wiederum ökologisch und hydrologisch sensible Bereiche geopfert werden, sind nicht ausgleichbare Eingriffe in das Orts- und Landschaftsbild sowie in die Streu und ihren Retentionsraum zu erwarten und gehen unersetzliche Naherholungsflächen am nördlichen Ortsrand verloren.

Bis heute hat der Bund Naturschutz trotz mehrmaliger Nachfrage bei der Gemeinde Oberstreu und beim beauftragten Planungsbüro keine Verkehrsprognosen erhalten, die erwarten lassen:
 dass die Verkehrsentlastung der A 71 deutlich geringer ausfallen wird oder
 dass die bereits bei zahlreichen anderen Gemeinde bewährten Maßnahmen zur innerörtlichen Verkehrsberuhigung hier keinen Erfolg erwarten lassen

Unzureichende Wirksamkeit und Entlastungsmöglichkeiten

Für den BN steht außer Frage , dass v. a. die unmittelbaren Anwohner der
B 19 auch in Mittelstreu ein berechtigtes Interesse an einer Reduzierung der Lärm- und Abgasbelastung haben .

Offensichtlich ist jedoch weder ihnen noch den verantwortlichen Gemeindevertretern hinreichend bekannt,
 dass bereits in vielen Fällen die vom Bau von Ortsumfahrungen erhofften Entlastungswirkungen deutlich geringer ausgefallen sind und
 dass es weit einfachere, kostengünstigere und naturschonendere Möglichkeiten zur Reduzierung der innerörtlichen Verkehrsbelastung gibt.

Mit Nachdruck verweist der Bund Naturschutz deshalb auf Untersuchungen der Universität Hannover zur Entlastungswirkung von Ortsumfahrungen.
Dort wird in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen,
 dass selbst bei einer Halbierung des Verkehrs im Ort keineswegs auch eine Halbierung der Lärmbelastung eintritt,
 dass im Durchschnitt bestenfalls eine Reduzierung des besonders relevanten Nachtpegels um 4 db(A) zu erwarten ist und
 dass diese realistischer weise zu erwartende Reduzierung gerade an der Grenze der akustischen Wahrnehmbarkeit liegt
Schon deshalb wäre nach Meinung des BN die Gemeinde Oberstreu gut beraten, die für Mittelstreu mit immensem Kostenaufwand und erheblichen Eingriffen in Naturhaushalt und Landschaftsbild geplante Ortsumfahrung aufzugeben, statt dessen ein qualifiziertes Konzept zur innerörtlichen Verkehrsberuhigung in Auftrag zu geben und auf eine Sperrung der Ortsdurchfahrt für den Schwerlastverkehr zu drängen. Dann würden sich auch die Belastungen der historischen Steinbrücke Richtung Oberstreu wesentlich verringern und die massiven Eingriffe durch eine Verbindungsspange quer durch die Streuaue erübrigen.

Ein solches Konzept zur Innerörtlichen Verkehrsberuhigung könnte enthalten:
 Den Bau von Verkehrsinseln bzw. kleinen Kreiseln am südlichen und nördlichen Ortsrand als Geschwindigkeitsbremse (u. a. bewährt in Bad Neustadt und Rannungen)
 Die Installation (weiterer) Fußgängerampeln und die Einführung von Tempo 30 innerorts zur Erhöhung der Sicherheit
 Regelmäßige Kontrolle des Tempolimit durch Radarmessungen (guter Erfolg in Unsleben!) und LKW-Umleitung auf die A 71.
Gerade Kinder und Senioren würden von diesen Maßnahmen weit mehr profitieren als von einer Ortsumfahrung, weil damit auch die Risiken des innerörtlichen Verkehrs deutlich verringert ,gleichzeitig aber auch eine Neuverlärmung ortsnaher Erholungsflächen verhindert werden könnte(n).

Bedeutung des betroffenen Gebietes

Angesichts der fragwürdigen Entlastungswirkung der geplanten Ortsumfahrung und der o. g. Möglichkeiten zur Verkehrsverlagerung und innerörtlichen Verkehrsberuhigung sind die geplanten Eingriffe in die ökologisch, landschaftsoptisch und hydrologisch sensiblen Bereiche des Talauenkomplexes der Streu umso weniger zu rechtfertigen.
Dies gilt insbesondere auch für den geplanten "ökologischen Streuausbau" mit Streuverlegung, die laut Wasserwirtschaftsamt Schweinfurt nichts mit der "kommunalen Entlastungsstrasse" zu tun hat, nach Überzeugung des BN ohne dieses Straßenbauprojekt aber keinen Sinn macht und für die ansonsten auch nicht derart überhastet ein Genehmigungsverfahren begonnen worden wäre.

Wie wertvoll das Gebiet ökologisch ist, zeigen exemplarisch die Ergebnisse der aktuellen ornithologischen Bestandserhebung von Dipl. Biologe Dr. Stephan Kneitz:
Bei verschiedenen Begehungen wurden 2002 und 2003 im 13 ha großen Planungsgebiet insgesamt 57 Vogelarten festgestellt.
Alleine 9 Vogelarten (Wasseramsel, Nachtigall, Graureiher, Gartenrotschwanz, Dorngrasmücke, Kleinspecht, Grünspecht, Baumfalke und Rotmilan) sind in der Roten Liste als "gefährdet" eingestuft.
Der Rotmilan unterliegt sogar der Europäischen Vogelschutzrichtlinie!
Von Dr. Kneitz wird deshalb die Vogelwelt des Untersuchungsgebietes als "sehr reichhaltig" eingestuft.
Weitere 7, tlw. seltene Arten sind von ortskundigen Ornithologen nachgewiesen worden - darunter 3 Spechtarten (Schwarzspecht, Grau - und Weißrückenspecht) , die ebenso wie der Eisvogel und der Rotmilan unter die Europäische Vogelschutzrichtlinie fallen.
Alleine schon aufgrund des landesweiten Rückganges derart naturnaher Flußauen besitzt die Streu mit ihrem Gehölzsaum und ihrem Auebereich besondere Bedeutung als unersetzlicher Lebensraum.
Hier wurden auch die meisten Vogelarten (20) gezählt!
Als besonders bemerkenswerte Arten sind hier der Kleinspecht (charakteristische Art gut entwickelter Auen)und der Gelbspötter (in Unterfranken seltener Brutvogel) einzustufen.
Auf die besondere ökologische Bedeutung dieses Gebietes als reich strukturierter Lebensraum deutet aber auch das Vorkommen des Birkenzeisig, der erst wieder im Raum Schweinfurt als Brutvogel nachgewiesen ist.

Das Fazit des ornithologischen Gutachtens:
Durch die geplante Ortsumgehung werden insbesondere die struktur- und vogelreichen Kleingärten, die Gehölzbestände entlang des Bahndammes sowie die Streu in ihrem der Bahnlinie nächstgelegenen Abschnitt beeinträchtigt bzw. zerstört.
Es ist zu befürchten, dass dadurch die möglichen Brutvorkommen von Klein- und Grünspecht sowie weiterer potentiell vorkommender Spechtarten massiv gefährdet werden und evtl. sogar erlöschen. Diese Einschätzung ist uneingeschränkt auch auf die Vorkommen von Gelbspötter und Birkenzeisig als lokale Besonderheiten der unterfränkischen Vogelwelt anzuwenden. Mit Sicherheit wird sich durch den Straßenneubau eine Verschlechterung der Nahrungsräume für Rotmilan und Baumfalke ergeben, beides Arten mit einer hohen Rote-Liste- oder sogar FFH-Einstufung (Rotmilan). Das Untersuchungsgebiet besitzt ferner aufgrund seiner Struktur- und Naturvielfalt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung als Durchzugsareal für verschiedene durchziehende, z. T. gefährdete Singvögel, wie die Beobachtungen von Nachtigall, Gartenrotschwanz, Dorngrasmücke und Teichrohrsänger aus dem Jahre 2002 zeigen. Viele dieser Arten folgen während des Zuges oft den (insektenreichen) Auenstrukturen entlang der Flüsse. Durch die geplante Ortsumgehung würde eine nicht unerhebliche Lücke an der Streu entstehen. Massive und sicherlich kaum ausgleichbare Beeinträchtigungen wird es für die nahrungssuchenden Fließgewässerspezialisten Wasseramsel und Gebirgsstelze geben, sollten die Quellgräben durch die geplante Straßentrassierung überbaut werden.
Angesichts dieser Untersuchungsergebnisse ist in aller Deutlichkeit drauf hinzuweisen, dass die Planung bei 5 Vogelarten gegen das Störungs- und Beeinträchtigungsverbot der Europäischen Vogelschutzrichtlinie verstößt - auch weil bis heute die dort geforderte Verträglichkeits- und Alternativenprüfung nicht vorgelegt wurde.

Der hier betroffene Bereich ist aber keineswegs nur als Lebensraum für viele, auch seltene Vogelarten bedeutsam.
Dort findet sich ein Mosaik aus Quellbereichen, aufgelassenen Fischteichen, Auwaldstrukturen, Ufergehölzen und dem Fluss selbst.
Trotz der zu erwartenden Konflikte und Bestandsverluste liegt dazu bis heute keine um fassende Kartierung der dort beobachteten Fledermäuse, Amphibien, Schmetterlinge, Libellen und Pflanzen vor.
Einzelbeobachtungen ortskundiger Naturfreunde lassen auch hier Vorkommen seltener Arten erwarten, die ebenso wie einzelne Biotoptypen evtl. sogar unter die europäische FFH - Richtlinie und ihr strenges Schutzregime fallen (z.B. Fledermäuse, Flussmuschel).

Vor allem die großen Bäume entlang der Streu und im Bereich der Bahnlinie prägen entscheidend das Ortsbild von Mittelstreu. Sie bilden zusammen mit der historischen Steinbrücke ein geschlossenes und in dieser Wertigkeit einzigartiges landschaftsoptisches Ensemble, für das auch bei noch so großem Aufwand kein Ersatz geschaffen werden könnte.
Der durch dieses bestens erreichbare Naherholungsgebiet führende idyllische Rundweg vorbei an Quellen, Auwald und Wiesenflächen, begleitet vom Plätschern des Wassers, Vogel - und Naturstimmen hat einen überragenden Erholungswert und ist nach Einschätzung ortsansässiger Gebietskenner durch nichts zu ersetzen.
Darüber hinaus ginge wertvoller Retentionsraum verloren, müssten technisch aufwendige und teure Ausgleichsmaßnahmen realisiert werden, hätten besonders exponierte Anwesen zusätzliche Hochwasserrisiken zu befürchten und würden weitere Flächen in der Aue versiegelt.

Fragwürdiges Genehmigungsverfahren

Mehr als fragwürdig erscheint dem BN auch das hier gewählte Genehmigungsverfahren.
Auf das lt. §17 Bundesfernstraßengesetz beim Bau und bei der Verlegung von Bundesstrassen vorgeschriebene Planfeststellungsverfahren soll verzichtet und die Ortsumfahrung mitsamt ihren gravierenden Eingriffen lediglich auf Gemeindeebene im Rahmen der Bauleitplanung genehmigt werden.
Um dies planungsrechtlich einfacher rechtfertigen zu können, wird die Ortsumfahrung als " kommunale Entlastungsstraße" eingestuft.
Tatsächlich soll sie aber den bundesstrassentypischen Fern - und Durchgangsverkehr aufnehmen - also eindeutig die Verkehrsfunktion der heutigen Bundesstrasse B 19 übernehmen.
In den Augen des BN handelt es sich hier um einen planungsrechtlichen Schachzug mit dem offensichtlich verhindert werden soll, dass über die Projektgenehmigung von der Regierung von Unterfranken als Planfeststellungsbehörde entschieden und dabei möglicherweise das Vorhaben verzögert oder gar zu Fall gebracht wird.
Dass es sich bei der "kommunalen Entlastungsstrasse" in der Realität um eine Verlegung der B 19 handelt , zeigt sich für den BN u. a. daran,
 dass im Erläuterungsbericht zum wasserrechtlichen Verfahren vom 04.07.03 wörtlich ausgeführt wird: "..dabei erfolgt östlich von Mittelstreu auch eine Verlegung der Bundesstrasse B 19" ..
 dass dort ebenso auf die Generalplanung durch das Straßenbauamt Schweinfurt (dieses hat dem BN gegenüber immer die Federführung durch die Gemeinde betont!) verwiesen wird und
 dass in der Hydrotechnischen Untersuchung zum wasserrechtlichen Verfahren wörtlich nachzulesen ist : " Die bestehende Bundesstrasse B 19 Schweinfurt - Meiningen wird aus dem Ortskern in Richtung Bahnlinie Schweinfurt - Meiningen verlegt".

In diesem Zusammenhang ist auch die vorgezogene und in ein eigenes Genehmigungsverfahren gepackte Streuverlegung - etikettiert und gerechtfertigt als "ökologischer Streuausbau" mehr als kritisch zu hinterfragen.
Dies umso mehr, als diese Streuverlegung zentrale Voraussetzung für den Bau der Ortsumfahrung in der geplanten Form ist.
Auch nach Einschätzung ortskundiger Fachleute gibt es für eine Streuverlegung weg vom natürlichen Prallhang hin zur lärmträchtigen Trasse der neuen Ortsumfahrung und für die damit verbundenen Eingriffe bzw. Lebensraumverluste keinen vernünftigen Grund. Hier drängt sich dem BN der Verdacht auf, dass das Wasserwirtschaftsamt Schweinfurt durch die Abtrennung des Verfahrens wesentlich dazu beitragen soll, der Gemeinde einen Großteil der Kosten für die Streuverlegung zu ersparen - sie werden dafür aber dem Steuerzahler unberechtigterweise aufgebürdet !

Forderungen

Angesichts der fehlenden Projektrechtfertigung und der nicht ausgleichbaren massiven Eingriffe in ökologisch wie landschaftsoptisch wertvollste Bereiche appelliert der BN an Gemeinde wie Wasserwirtschaftsamt, ihre Planungen für eine Ortsumfahrung mit Streuverlegung einzustellen und statt dessen ein innerörtliches Verkehrsberuhigungskonzept in Auftrag zu geben.
Für den Fall, dass die Gemeinde Oberstreu und das Wasserwirtschaftsamt an ihren Planungen festhalten, ersucht der BN die Regierung von Unterfranken, von Amts wegen ein reguläres Planfeststellungsverfahren mit Verkehrsgutachten, Umweltverträglichkeits- und Alternativenprüfung sowie vorgeschalteter FFH - Verträglichkeitsprüfung einzuleiten.
Genehmigung und Bau der Ortsumfahrung (incl. Streuverlegung) sind von der realen Verkehrsentwicklung nach Fertigstellung der A 71 abhängig zu machen.
Sollte sich dann eine Ortsumfahrung trotz LKW-Sperrung und innerörtlicher Verkehrsberuhigung als unverzichtbar erweisen, muss zumindest auf die Ortsverbindungsspange quer durch die Streuaue verzichtet werden und sind die Eingriffe in die Streu auf ein Mindestmass zu reduzieren.
Nachdem das Vorhaben weder mit der verfassungsmäßigen Verpflichtung der Gemeinden zum vorrangigen Natur- und Umweltschutz noch mit höchsten politischen Vorgaben zum Flächenschutz und zur Erhaltung von natürlichen Retentionsräumen vereinbar ist, wir sich der BN dann auch mit einer eigenen Petition an den Bayerischen Landtag wenden.