Landschaftsverbrauch ohne Ende
Noch immer werden in Deutschland jeden Tag über 100 Hektar Wald, Acker und Wiese überbaut.
Alleine in Bayern gehen täglich über 15 ha freie Landschaft (20 Fußballfelder) für neue Bau- und Gewerbegebiete sowie Straßenbauprojekte verloren.
Tempo und Ausmaß dieses hemmungslosen Flächenfraßes sind der Bevölkerung, aber auch vielen PolitikerInnen vielfach ebenso wenig bekannt wie seine Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen und die negativen Folgen für künftige Generationen.
Bayern ist beim Flächenverbrauch nach wie vor Spitzenreiter in Deutschland:
die Landschaft wird zersiedelt und verschandelt, der Boden täglich mehr zubetoniert. Nicht zuletzt als Folge davon sind Jahrhunderthochwässer mittlerweile ein fast jährliches Ereignis.
Gleichzeitig verliert Bayern sein Gesicht und mit der Zerstörung der landwirtschaftlichen Flächen ein Potential für nachhaltig umweltverträgliche Entwicklung.
Zahlreiche Kommunen opfern vollmundigen Investorenversprechungen, aber auch der vagen Hoffnung auf neue Arbeitsplätze oder zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen ihre Wohn-, Freizeit- und Erholungsqualität und setzen damit ihr zukunftsträchtiges "Grünes Kapital" leichtfertig aufs Spiel.
Mit der kommunalen Konkurrenz bei der Flächenausweisung sind Fehlinvestitionen und weitere kommunale Verschuldung vorprogrammiert.
Der Bund Naturschutz fordert angesichts dieser landesweiten Fehlentwicklung ebenso wie auch angesichts des Negativbeispieles Gewerbegebiet "Furth-West" (Lkr. Cham) eine deutliche Umkehr bei der Wohngebietsausweisung und der Gewerbeflächenpolitik.
Ziel muss es sein, spätestens ab 2015 keine neuen Flächen zu bebauen, zumindest aber für alle neu versiegelten Flächen in gleichem Umfang an anderer Stelle versiegelte Flächen zu renaturieren.
Dies erfordert Vorrang für Flächenrecycling, Nachverdichtung und Umnutzung, Maßnahmen gegen die kommunale Konkurrenz bei Gewerbegebietsausweisungen und ein Ende des Straßenneubaus.
Der Landkreis Cham wird ebenso wie die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen aufgefordert, aus der Fehlentwicklung beim Gewerbegebiet "Furth-West" die Lehre zu ziehen und auch angesichts des übergroßen Bestandes an bereits ausgewiesenen Gewerbegebieten den weiteren Flächenverbrauch zu stoppen.
Flächenverbrauch in Bayern " kein Ende in Sicht!"
Nach der letzten Statistik über das Jahr 2005 werden in Bayern über 15 Hektar meist landwirtschaftlich genutzter Boden pro Tag in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt - für immer verbraucht.
Das sind 104 Quadratmeter pro Minute - Tag und Nacht !
Die zwischen 1993 und 2005 verbrauchte freie Landschaft beträgt deutlich mehr als die zehnfache Fläche des größten bayerischen Sees, des Chiemsees.
Einen großen Anteil daran hat die Ausweisung neuer Gewerbegebiete.
Mit der 2003 beschlossenen Änderung des bayerischen Landesentwicklungsprogramms und einer Schwächung der Regionalplanung wurde trotz eines Überangebotes voll erschlossener Gewerbeflächen (über 10 000 ha) die Ansiedlung von neuen Einkaufszentren und "factory outlets" auf "der grünen Wiese" zu Lasten der Innenstädte und Dorfkerne nochmals erleichtertet.
Seit dem ersten europäischen Naturschutzjahr im Jahr 1970 wurden in den alten Bundesländern rund 11 Milliarden m2 Land, meist landwirtschaftlich nutzbarer Boden verbraucht.
Von den 35 Millionen Hektar in Deutschland werden 4, 2 Millionen oder 11,8 Prozent als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt.
Die neuen Bundesländer ziehen im Flächenverbrauch nach.
In Bayern wurde in nur 18 Jahren (1979 bis 1997), d.h. in nicht einmal einer Generation, die Siedlungsfläche um 51 Prozent ausgeweitet.
Trotz aller aktueller politischer Aussagen der Staatsregierung zum Schutz der Landschaft und trotz aller Appelle zur nachhaltigen Siedlungsentwicklung , insbesondere von Ministerpräsident Edmund Stoiber und Umweltminister Werner Schnappauf, ist eine Trendwende nicht in Sicht.
Politische Vorgaben:
Schon im November 2001 forderte der bayerische Umweltminister Dr. Schnappauf eine landesweite Trendumkehr beim Flächenverbrauch.
Die Nutzung vorhandener Siedlungsflächen und die Wiedernutzung von Brachflächen müsse Vorrang vor Neuausweisungen haben.
Ähnliche Forderungen hat auch Innenminister Dr. Beckstein 2002 und 2003 in mehrseitigen Schreiben an die bayerischen Bürgermeister erhoben " in den meisten Fällen bislang leider ohne den erhofften Erfolg!
Landschaftsverbrauch am Beispiel Gewerbegebiet "Furth-West":
Das im Rahmen einer Flächennutzungsplanänderung ausgewiesene Gewerbegebiet "Furth-West" stellt ein Paradebeispiel für die Fehlentwicklungen bei der Gewerbeflächenausweisung dar.
Obwohl dort mit 8.818 qm eine vergleichsweise relativ kleine nutzbare Gewerbefläche zur Verfügung gestellt wird, führt diese Gewerbegebietsausweisung zu massiven Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und zu erheblichen Risiken für ökologisch wertvolle Bereiche.
Dies v.a. deshalb, weil dieses Gebiet fernab jeder vorhandenen Bebauung mitten in der freien Landschaft liegt, aber unmittelbar an das lange vorher ausgewiesene Naturschutzgebiet Ponnholzbachtal angrenzt.
Gegen alle Proteste wurde hier im ländlichen Raum weitab bestehender Infrastruktur quasi auf der grünen Wiese ein neuer Zersiedelungskern begründet.
Dies ist umso negativer zu bewerten, als die Möglichkeit nicht genutzt worden ist, den in einem Schilfgebiet errichteten, heute aber nicht mehr benötigten LKW " Parkplatz quasi als Kompensationsmaßnahme rückzubauen und zu entsiegeln " davon hätte zudem auch das angrenzende Naturschutzgebiet profitiert.
Das Gewerbegebiet führt somit zu einer Maximierung des LKW- und KFZ - -Verkehrs aufgrund des bis heute fehlenden und auch für die Zukunft nicht zu erwartenden" Bahnanschlusses.
Damit konterkarieren Stadt und Landkreis alle Anstrengungen, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und den internationalen Verpflichtungen (Kyoto-Protokoll) nachzukommen.
Das Gewerbegebiet erfordert schließlich auch einer Maximierung von Infrastrukturaufwendungen wie Kabel, Kanäle oder Wasserleitungen wegen der Lage weitab vorhandener Einrichtungen.
Damit haben sich die Stadt Furth i. Wald und der Landkreis Cham in die Reihe der Kommunen und Landkreise gestellt, die seit einigen Jahren für die Zerstörung der bayerischen Landschaft und für die Vergeudung von Ressourcen sorgen. Der Fall ist ein Beispiel für das Versagen der Landespolitik und der kommunalen Planung.
Die Kreisgruppe Cham des Bundes Naturschutz hat die Planungen von Anfang an kritisiert, auf die drohende Landschaftszersiedelung und die Risiken für das angrenzende Naturschutzgebiet in aller Deutlichkeit hingewiesen.
Trotzdem wurden die Belange des Natur-, Landschafts- und Flächenschutzes bei der Abwägung und Genehmigung bei weitem nicht ausreichend berücksichtig und blieben die Chancen zur Flächenentsiegelung ungenutzt.
Überangebot an Gewerbeflächen im Landkreis Cham:
Der Landkreis Schweinfurt wirbt " wie viele andere Landkreise auch "im Internet (unter www.sisby.de) um neue Investoren.
Aktuell befinden sich in dieser Datenbank 37 freie Gewerbeflächen, d.h. voll erschlossen, sofort bebaubar (Stand 25.04.06).
Sie verteilen sich auf 20 Gemeinden mit 1 " 5 Standorten/Gemeinde und insgesamt 107 Hektar.
Dabei werden aber von der Stadt Furth i. W. neben dem neu ausgewiesenen Gewerbegebiet bereits 2 Gewerbegebiete mit freie Gewerbeflächen von insgesamt 12 Hektar angeboten.
Bund Naturschutz im Einsatz für Bayerns Kulturlandschaft:
Seit seiner Gründung im Jahr 1913 hat sich der BN nicht nur für seltene Arten oder gefährdete Lebensräume, sondern ebenso für die Erhaltung der freien Landschaft eingesetzt.
Bayerns Schönheit zu bewahren ist bis heute eines der zentralen Ziele der Naturschutzarbeit des BN auf allen Ebenen.
Bereits 2003 hat der Bund Naturschutz fatale Fehlentwicklungen in einem 100-seitigen "Schwarzbuch Gewerbegebiete Bayern" erstmals exemplarisch dokumentiert und damit eine breite Diskussion über den Flächenverbrauch in Gang gesetzt.
Auch wenn zwischenzeitlich die anhaltende Konjunkturflaute beim Flächenverbrauch zu einer leicht rückläufigen Tendenz geführt hat, lässt die längst überfällige Trendwende auf kommunaler Ebene immer noch auf sich warten.
Dies zeigt eindrucksvoll die vom Bund Naturschutz 2005 vorgelegte und vom Bundesamt für Naturschutz geförderte Studie "Gewerbeflächenausweisung und Flächenverbrauch " Beitrag zu einer naturverträglichen Siedlungsentwicklung".
Darin werden mit bislang unveröffentlichten Luftbildern 40 exemplarische Negativbeispiele aus allen Regierungsbezirken Bayerns sowie aus Thüringen und Baden-Württemberg vorgestellt.
Die Studie belegt, dass der immense Konkurrenzkampf der Gemeinden um Investoren zu den Hauptursachen des Flächenfraßes zählt. Grundstücke werden nicht kostendeckend verkauft oder billigst abgegeben (z.T. für nur 20 Euro/m2), neue Zufahrtsstraßen oder Autobahnausfahrten werden auf Kosten des Steuerzahlers gebaut, Gewerbeflächen in sensiblen Gebieten ausgewiesen und der Sinn des Planungsrechtes ausgehebelt, wenn Bebauungspläne und Flächennutzungspläne im Parallelverfahren aufgestellt werden.
Praktisch in allen Fällen wurden die im Vorfeld der Gewerbegebietsausweisungen zunächst genannten Zahlen zu neuen Arbeitsplätzen wesentlich zu hoch angesetzt. Beispiel: Zahnradfabrik Passau in Thyrnau (Lkr. Passau) dort wurden zunächst 400 Arbeitsplätze angekündigt, später 220 neue Arbeitsplätze versprochen, tatsächlich aber nur 120 Arbeitsplätze geschaffen. Genau so viele Arbeitsplätzen sind aber vom Stammwerk Passau an den neuen Standort verlagert worden.
Die Studie zeigt aber auch anhand von 11 Positivbeispielen, dass Gemeindeentwicklung, Gewerbeflächenbereitstellung und die Befriedigung des Wohnraumbedarfes in den Gemeinden auch auf flächenschonende Weise möglich sind, durch Innenentwicklung, Baulückenschließung, Flächenrecycling und intelligente Nutzungsmodelle.
Der BN arbeitet seit 2003 aber auch im bayerischen Bündnis zum Flächensparen mit, hat für einzelne Landkreise flächendeckende Dokumentationen erstellt (z.B. Lkr. Aschaffenburg) und führt an Brennpunkten des Flächenverbrauches Aktionen durch, um Bevölkerung wie Politiker für dieses drängende Problem zu sensibilisieren.
Es geht auch anders: Nachhaltiges Flächenmanagement:
Nach Auffassung des BN gibt es mehr als ausreichend Möglichkeiten, den nach wie vor anhaltenden Flächenverbrauch wirksam einzudämmen, die bis heute allerdings auch nicht ansatzweise genutzt werden.
Als Steuerungsinstrumentes hat der BN schon vor mehreren Jahren " u.a. bei der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms - folgende Maßnahmen vorgeschlagen:
Nachweispflicht bei Ausweisung von freien Flächen zur Bebauung, dass es dazu keine umweltverträglichen Alternativen gibt.
Derzeit wird die Planungshoheit der Gemeinden als ein Grundrecht zum Landverbrauch missverstanden, angemessen wäre eine Grundverpflichtung zur vorrangigen Erhaltung der freien Landschaft.
Vorrang für die Stadt-/ Dorferneuerung, falls trotzdem zusätzliche Siedlungsflächen benötigt werden.
Eine Strategie der Nachverdichtung und der kompakten Siedlungsformen durch Aufstockung vorhandener Gebäude, Neuaufteilung vorhandener Gebäude, Schließung von Baulücken usw. muss verfolgt werden.
Verpflichtung der Städte zur Vorlage von Gewerbeflächenkatastern (unter Einschluss der Flächenrecycling- und Nachverdichtungspotentiale) vor der Aufstellung neuer Flächennutzungs- und Bebauungspläne.
Beim Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung ist eine jährlich fortzuschreibende landesweite Statistik darüber zu führen, über die jährlich berichtet wird. Benachbarte Städte und Gemeinden sind zu gemeinsamem Gewerbeflächenmanagement zu verpflichten.
Neue Bau- und Gewerbegebiete sind nur zu genehmigen, wenn ihre Erschließung mit Bahn und Bus sichergestellt ist.
Änderung der Genehmigungspraxis, d.h. Genehmigung von Flächennutzungsplänen durch die Bezirksregierungen, von Bebauungsplänen durch die Landratsämter unter fachlicher Aufsicht der Regierung.
Keine Subventionen für die Ausweisung neuer Gewerbegebiete und für flächen verschwendendes Bauen.
Entwicklung neuer Nutzungskonzepte für alte Gewerbestandorte und leer stehende Bausubstanz in Städten und Dörfern.
Klare Vorgaben von Landesentwicklungsprogramm und Regionalplänen: Dafür ist eine Planungskategorie "Vorranggebiet Landschaft" einzuführen, wie dies im Raumordnungsgesetz auch vorgesehen ist, von Bayern aber bislang nicht umgesetzt wird. Landschaftliche Vorranggebiete sollen überall dort ausgewiesen werden, wo die Siedlungsflächenentwicklung eingeschränkt werden muss.
Die Konkretisierung der regionalplanerisch festgesetzten Freiräume durch flächendeckend erstellte Landschaftspläne als Grundlage der Flächennutzungsplanungen. Dazu ist der Freistaat seit Inkrafttreten des Bundesnaturschutzgesetzes verpflichtet.
Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass als Ersatz für die den Flächenverbrauch begünstigende Grundsteuer eine Kombination aus Bodenwertsteuer und Versiegelungsabgabe zur Verteuerung der Freiflächeninanspruchnahme vom Bundesgesetzgeber geschaffen wird. Der zusätzliche Erlös ist für die Förderung innerstädtischen Bauens einzusetzen.