"Natura 2000" - Chance für Landwirtschaft und Europas Naturschätze
Wie schon vor vier Jahren im ersten Dialogverfahren wird die Notwendigkeit der Nachmeldung insbesondere vom Bauernverband und vielen Kommunalpolitikern nach wie vor in Frage gestellt. LBV und BN appellieren an Bayerns Landwirte, die Chance der Gebietsmeldungen zu nutzen. Natura 2000 wird für EU-Fördergelder künftige die zentrale Gebietskulisse sein. Eine erneute rechtswidrige Streichung von Gebieten wie im Dialogverfahren 2000 würde für Bayern EU-Mittel von ca. 1,2 Milliarden € pro Jahr gefährden! Nur der drohende Rechtsbruch gefährdet die bayerischen Bauern und die bayerische Wirtschaft, nicht der Vollzug dieser Richtlinie. LBV und BN unterstützen deshalb den bayerischen Umweltminister Schnappauf, der im Interesse gerade auch der von EU-Mitteln abhängigen bayerischen Landwirte endlich klar für eine rechtskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie eintritt.
Europa wird konkret: nur Wochen nach der Europawahl läuft von 25. Juni bis 6. August das "Dialogverfahren" zur Gebietsauswahl der Natura 2000-Gebiete in Bayern. Natura 2000 ist ein europaweites Netz von "FFH-" und Vogelschutzgebieten für den grenzüberschreitenden Biotopverbund, es soll den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt aufhalten.
Im Dialogverfahren 2000 hatten Streichwünsche des Bauernverbandes, von Kommunen und der Staatsregierung (v.a. wegen Straßenbauprojekten) selbst dazu geführt, dass in einem sogenannten "bayerischen Weg" hunderttausende Hektar FFH- und Vogelschutzgebiete nicht nach Brüssel gemeldet wurden. LBV und BN hatten eindringlich seit 1999 unter dem Motto "Der bayerische Weg ist ein Irrweg" vor diesem bayerischen Alleingang und seinen Rechtsfolgen gewarnt. Die Verurteilung Deutschlands wegen der Nichtumsetzung der FFH-Richtlinie am 11.9.2001, die harsche fachliche Kritik der EU-Kommission an Bayern Ende 2002 und ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus 2002, das explizit den "bayerischen Weg" als der EU-Richtlinie voll widersprechend beurteilt führen nun dazu, dass Bayern die Fehler von 2000 heilen muss und diesmal keine Abstriche mehr am Meldeumfang machen darf. Statt wie bislang nur 8% (= 558.000 ha) sollen nun 11,4% der Landesfläche (806.000 ha) dafür gemeldet werden.
Der Bayerische Bauernverband, unterstützt von Interessenverbänden der Wirtschaft wiederholt nun seine falschen Behauptungen über Inhalte und Folgen der Natura 2000-Gebiete. Dabei ist die Streichorgie im Dialogverfahren 2000 und damit der Bauernverband selbst schuld an dem erneuten Meldeprozess.
Eine erneute Blockadepolitik gefährdet aber nicht nur eine richtlinienkonforme Umsetzung der EU-Richtlinie, sondern auch existenzielle Fördermittel der EU für die bayerischen Landwirte.
Deutschland ist vom Europäischen Gerichtshof bereits wegen Verzögerung der Gebietsmeldung verurteilt und die EU droht dann neben einer Strafzahlung von 800.000 € pro Tag (!) EU-Fördermittel im Agrarbereich und bei Infrastrukturprojekten auszusetzen. Die EU-Kommission macht die Einleitung dieses der Verurteilung folgenden und rückwirkend ab 2001 vom Steuerzahler aufzubringenden Bußgeldverfahrens nur noch davon abhängig, dass bis September 2004 als letzter Frist in ausreichendem und der EU-Richtlinie entsprechendem Umfang Gebiete nachgemeldet werden.
Bereits im Frühjahr 2000 hatte die EU-Kommission klargemacht, dass nach europäischer Rechtslage bei Nichteinhaltung von zentralen EU-Richtlinien Fördermittel im Bereich Infrastrukturprojekte und Landwirtschaft ausgesetzt werden. Dies sind u.a. die Mittel der EU für Agrar- und Naturschutzförderprogramme des Freistaates, von der Tier- und Getreideprämie, KULAP, Vertragsnaturschutzprogramm bis zu Investitionsbeihilfen: es handelt sich um jährlich 993 Millionen €, die dann die bayerische Landwirtschaft verlieren würde. Das wäre der schlagartige Ruin praktisch aller landwirtschaftlicher Betriebe Bayerns, deren Einkommen entscheidend an diesen Förderungen hängt!
Die gefährdeten Mittel aus dem EU-Strukturfonds (darunter Hilfen für strukturschwache Gebiete an der Landesgrenze, Regionalförderungen wie Interreg und Leader) betragen für den Zeitraum 2000 bis 2006 nach Angaben des Bayerischen Wirtschaftsministeriums rund 950 Mio €.
Die "Natura 2000" - Gebiete sind zudem eine zentrale zukünftige Förderkulisse für EU-Mittel. Osterweiterung und Ausgabenbegrenzung im EU-Agraretat werden zur Konzentration der Mittel auf europaweit relevante Gebiete führen. Der bayerische Umweltminister Schnappauf hat letzte Woche angekündigt, dass bereits im nächsten Doppelhaushalt 2005/06 auch die knapperen Naturschutz-Fördermittel des Freistaates auf FFH-, Vogelschutz- und "BayernNetzNatur"-Projektgebiete konzentriert werden sollen. Es kann sein, dass bald heute noch protestierende Landwirte die ersten sein werden, die bedauern werden, nicht in Natura 2000-Gebieten zu liegen!
Dennoch werden falsche Vorstellungen von Einschränkungen in den Gebieten ("Enteignung") unbeirrt vorgetragen. Während die Gebietsauswahl rein nach naturschutzfachlichen Kriterien erfolgen muss, ist die FFH- Richtlinie umso flexibler beim Schutz. Es werden keine pauschal geschützten Gebiete oder Totalreservate gefordert. Den Mitgliedstaaten steht die Wahl des Umsetzungsmodus frei, bis hin zu freiwilligen Vereinbarungen mit den Landwirten. Land- und Forstwirtschaft, die mit den Erhaltungszielen in Natura 2000-Gebieten übereinstimmt, ist nach wie vor möglich und für bestimmte Lebensräume und Arten (Bsp. Mähwiesen, Wacholderheiden, Wiesenbrüter) sogar erforderlich. Seit 2000 sind bereits 558.000 ha der bayerischen Landesfläche als FFH- und Vogelschutzgebiet gemeldet - LBV und BN ist landesweit kein einziger konkreter Konfliktfall wegen Natura 2000 bei Land- Forst- oder Teichwirten bekannt!
LBV und BN fordern die sofortige Umsetzung einer FFH-Prämie als finanzielle Honorierung für Bayerns Land-, Forst- und Teichwirte, weil sie mithelfen, diese europaweit wichtigen Landschaften zu erhalten. Die EU ermöglicht speziell hierfür bis 200 €/ha/Jahr, zusätzlich zu anderen Zahlungen. Während z.B. Thüringen, Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein derartige Ausgleichszahlungen schon mit großer Akzeptanz bei den Landnutzern eingeführt haben, wird es in Bayern von der Spitze des Bauernverbandes blockiert, obwohl die EU schon am 7.9.2000 speziell für eine bayerische FFH-Prämie über 7 Mio. € dem bayerischen Landwirtschaftsministerium genehmigt und bereitgestellt hatte!
Eines der letzten "Argumente" des Bauernverbandes ist der vermeintliche Wertverlust landwirtschaftlicher Grundstücke bei Bankgeschäften. Dies ist gegenstandslos, wie zahlreiche klare Aussagen von Banken gerade aus dem ländlichen Raum belegen. Die Vereinbarung zwischen der Bayerischen Staatsregierung und der bayerischen Wirtschaft zum Umweltpakt Bayern vom 23. 10. 2000 enthält folgende Aussage: »Der Sparkassenverband Bayern sowie der Genossenschaftsverband Bayern e.V. erkennen an, dass bei der Beleihung von Grundstücken, die in ausgewiesenen Schutzgebieten liegen oder gemäß der FFH- bzw. der Vogelschutz-Richtlinie gemeldet sind, pauschale Wertabschläge nicht sachgerecht sind, sondern eine etwaige Wertbeeinträchtigung am Einzelfall zu prüfen ist. Die genannten Verbände werden vor diesem Hintergrund auf eine entsprechende Beleihungspraxis bei Sparkassen und genossenschaftlichen Kreditinstituten als den bedeutendsten Kreditgebern land- und forstwirtschaftlicher Betriebe hinwirken.«
Nach Auffassung von LBV und BN werden durch die zu erwartende Konzentration von EU-Fördergeldern auf Natura 2000-Gebiete gerade diese in Zukunft sogar einen sichereren Beleihungswert darstellen als die übrigen landwirtschaftlichen Flächen!
"Natura 2000" ist zudem ein Gütesiegel für den naturverträglichen Tourismus. Während andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern diese europäischen Naturschätze schon offensiv in der Tourismuswerbung einsetzen, wird im Urlaubsland Nr. 1 noch ein kurzsichtiger Verhinderungskampf geführt.
LBV und BN werden sich daher konstruktiv am laufenden Dialogverfahren einbringen und nicht zulassen, dass das Schutzgebietssystem Natura 2000 als Herzstück des Naturschutzes im zusammenwachsenden Europas in Bayern erneut unterlaufen wird.
Ludwig Sothmann, Vorsitzender
Prof. Dr. Hubert Weiger, Vorsitzender