Staatsregierung will Baumschutz in Städten und Dörfern schwächen
"Zu fällen einen schönen Baum // brauchts eine halbe Stunde kaum. // Zu wachsen, bis man ihn bewundert, // braucht er, bedenk es, ein Jahrhundert." (Eugen Roth)
Die bayerische Staatsregierung hat auf ihrer letzten Kabinettsitzung beschlossen, im Rahmen ihrer "Deregulierungsoffensive" auch beim kommunalen Baumschutz gesetzliche Änderungen vorzunehmen. Bayerische Kommunen sollen demnach keine Baumschutzverordnungen mehr erlassen können.
"Mit der Aufhebung der Baumschutzverordnungs-Ermächtigung der Kommunen sollen die Bürger vor übermäßigen Reglementierungen geschützt werden, die häufig zu Nachbarschaftsstreitigkeiten missbraucht werden." (Presserklärung der Staatskanzlei vom 4.10.2006)
"Die geplante Gesetzesänderung ist ein schlimmes Signal der Staatsregierung, den manchmal unbequemen Schutz alter Bäume im Siedlungsbereich noch weiter zu verschlechtern", so Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes Naturschutz. "Neue Schutzverordnungen dürfen dann nicht mehr erlassen werden, die bestehenden werden nach und nach abgeschafft. Die geplante Aufgabe ihres Schutzes ist ein Rückschritt für den Natur- und Umweltschutz."
Seit der Veröffentlichung dieser Pläne laufen beim bayerischen Umweltministerium offenbar die Drähte heiß. Das Umweltministerium kann zwar weder sagen, wo in Bayern überhaupt Baumschutzverordnungen bestehen, noch gibt es Statistiken über Nachbarschaftsstreits wegen geschützter Bäume. Diese seien
aber "häufig". Die Staatsregierung hatte zumindest eine entsprechende Anfrage der Opposition nach Daten in der Vergangenheit abgeblockt.
Wenn die Staatsregierung alle ihre Gesetze auf solch dürftiger Grundlage erlassen würde, wäre es schlimm um Bayerns Zukunft bestellt. So etwas erlaubt man sich aber offenbar nur im Bereich des Naturschutzes. Vielleicht hätte man vorher die Fachleute der Kommunen und der Verbände befragen sollen.
Mit der geplanten Abschaffung der Ermächtigung, Baumschutzverordnungen zu erlassen, würden Initiativen von Bürgern zum Schutz ihrer Stadtbäume unmöglich gemacht. Den Kommunen wäre es in Zukunft sogar verboten, dem Bürgerwillen mit einer Schutzverordnung nachzukommen.
In Zeiten der Feinstaubbelastung und sommerlicher Hitze brauchen wir alle ältere Bäume als die Grünen Lungen an Straßen, in Parkanlagen oder in privaten Gärten. Wenn das Umweltbundesamt (17.10.2006) wegen des drohenden Klimawandels 'mehr Bäume in Städten' empfiehlt, darf die Staatsregierung nicht deren Rodung befördern. Auch für viele Vögel sind die Bäume unverzichtbarer Lebensraum. Mit ihrer Aktion leistet die Bayerische Staatsregierung dem stummen Frühling Vorschub. Hier zeigt sich einmal mehr, dass mit Deregulierung nicht vorrangig unsinnige Formularbürokratie, sondern Schutzrechte für die Natur und für die Allgemeinheit abgebaut werden sollen.
Der BN appelliert deshalb an die Fraktionen im Bayerischen Landtag, die geplante Verschlechterung des Bay. Naturschutzgesetzes nicht zu beschließen. Die Kommunen sind in der Vergangenheit sehr vernünftig mit dem Instrument Baumschutz-Verordnung umgegangen und sollen das auch in Zukunft tun können. Gerade Bayern, das immer auf das Subsidiaritätsprinzip pocht, sollte den Kommunen hier die eigene Entscheidungsmöglichkeit lassen.
Ca. 100 bayerische Kommunen haben nach Verabschiedung des ersten Bay. Naturschutzgesetzes 1973 Baumschutz-Verordnungen auf Grundlage des Art. 12, Abs. 2 und Art. 45, Abs. 1 BayNatSchG erlassen. Es sind dies insbesondere Großstädte wie München, Nürnberg (seit 1977), Augsburg, Regensburg (seit 1975), Ingolstadt, Erlangen (seit 1975), Fürth und Mittelstädte wie Bayreuth, Bamberg, Coburg, Hof, Kulmbach, Kronach, Marktredwitz, Schwabach, Neumarkt/Opf., Landshut, Dachau, Eichstätt, Unterhaching, Garmisch-Partenkirchen oder Lindau/ Bodensee. In kleinen Gemeinden besteht meist kein Bedarf und dort gibt es auch kaum eigene Verordnungen. Unter den Städten haben keine Verordnungen z.B. Ansbach, Roth, Kempten oder Neu-Ulm.
Mit Baumschutzverordnungen werden zumeist Bäume ab einer bestimmten Größe (meist 60 - 80 cm Umfang in 1 m Höhe) und innerhalb eines festgesetzten Gebietes (meist innerstädtischer, bebauter Bereich) unter Schutz gestellt. Obstbäume sind zumeist von der Regelung ausgenommen. Auf Antrag des Eigentümers können die Bäume in aller Regel trotzdem gefällt werden, wenn sie z.B. den Garten zu sehr beschatteten, die Wurzeln in Kanäle eindringen oder sie zu nah am Haus stehen. Im Falle einer geplanten Bebauung gilt i.d.R. "Baurecht vor Baumrecht", d.h. die Bebaubarkeit wird nicht oder nur geringfügig eingeschränkt.
Wo es BaumschutzVO gibt, haben sie sich sehr bewährt. Gerade im Innenbereich der Städte, wo andere Regeln nicht greifen (wie die Eingriffsregelung nach dem Baurecht) oder die zu schwerfällig sind (wie die Ausweisung als "Geschützter Landschaftsbestandteil"), sind sie das einzige nutzbare Naturschutzinstrument für Grün im bebauten Bereich. Die Bayerische Verfassung (Art. 141) verpflichtet Staat und Kommunen, Natur und Landschaft im besiedelten und unbesiedelten Bereich zu schützen. Ihre Umsetzung hat bewirkt, dass auf privaten anwesen häufig Fällungen vermieden wurden, wo ein Rückschnitt ausreichte und zumindest Ersatzpflanzungen vorgenommen werden mussten, wenn die Fällung unumgänglich war.
Die Bay. Staatsregierung geht davon aus, dass der Schutz alter Bäume in Städten auch durch Bebauungspläne erreicht werden kann. Die Münchner Stadtbaurätin Prof. Christiane Thalgott wies dieses Argument sofort zurück und konstatierte einen wesentlich höheren bürokratischen Aufwand bei Bebauungsplänen zum Baumschutz gegenüber einer Baumschutz-Verordnung. Kaum eine größere Stadt kann es sich leisten, Bebauungspläne nur zum Schutz alter Bäume aufzustellen.
Das Argument von den Nachbarschaftsstreits fällt schnell in sich zusammen, wenn man genauer hinschaut: Die behördliche Umsetzung der BaumschutzVO hat nämlich eher zu einer ausgleichenden Situation beigetragen, weil zwischen den Nachbarn ein neutraler Behördenvertreter zur Versachlichung der Diskussion beitrug, bevor der Streit vor Gericht ging. Waren Bäume in Nacht- und Nebelaktionen allerdings gefällt worden, bestand der Streit eher darin, dass Nachbarn diese illegale Abholzung alter Bäume angezeigt haben. "Wir brauchen auch Bürger, die sich vor ihre Stadtbäume stellen und die Staatsregierung sollte für solche Bürger dankbar sein", so Weiger.
Ältere Bäume sind für die Lebensqualität in unseren Siedlungen entscheidend. Bäume erfüllen in Städten vielfältige Funktionen:
Ein einziger Baum produziert 1.200 l lebenswichtigen Sauerstoff pro Stunde und deckt damit den Bedarf von ca. sechs Menschen, er verbraucht 2,4 kg Kohlendioxid in der selben Zeit, er filtert ca. 7.000 kg Staub und andere Schadstoffe pro Jahr und verringert damit schädliche Belastungen für Stadtbewohner. Bäume spenden Schatten und feuchten trockene Stadtluft an (ca. 30.000 l pro Jahr). Die Verdunstung des Wassers kühlt die Stadt: bis zu 3,5°C senkt ein Baum seine Umgebungstemperatur im heißen Sommer ab.
Alte, große Bäume sind dabei kleinen, jungen Bäumen weit überlegen. Sie bieten mit Asthöhlen, Astgabeln und rissiger Borke nicht nur 28 Vögeln wie Rotkehlchen oder Grünspecht Nistmöglichkeit und Nahrung, sondern auch über 200 Insektenarten Unterschlupf und Versorgung.
Ihr Ortsbild-prägender Charakter wird heutzutage in allen Landschaftsplänen betont. So mancher alte Baum hat Dichter und Denker inspiriert.
In Gerichtsurteilen wurde der Wert von Altbäumen auf 15.000 - 17.000 € beziffert. Um die Leistung eines Altbaumes zu ersetzen, müssten ca. 200 junge Bäume gepflanzt werden.
Weil alte Bäume aber auch Blätter abwerfen und Sonne wegnehmen, finden sie nicht nur Freunde. Manche Gartenbesitzer holzten bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts alte Obstbäume und mächtige Laubgehölze vollständig ab, oft zum Leidwesen der Anwohner und zum Schaden der Luftreinhaltung in Städten.
In den letzten Jahren wurden viele BaumschutzVO entschärft, die Auseinandersetzung um ihre Abschaffung ist deshalb eher ein Streit von gestern. Ihre Hauptwirkung entfalten BaumschutzVO nach wie vor aber vor allem dadurch, dass es überhaupt einen formulierten Schutzzweck gibt. Dies verhindert, dass all zu viele Fällanträge gestellt werden und ermöglichen, dass auch durch Initiativen vor Ort Bäume erhalten werden.