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Kreuzwertheimer Erlichsgärten: Paradies vor der Haustür

Als "Paradies vor der Haustüre" preist der Markt Kreuzwertheim die 45 Hektar großen Erlichsgärten an: mit Recht. Hätte die BN-Ortsgruppe Anfang der 1990er-Jahre nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, gäbe es dieses Paradies nicht mehr. Es wäre einem Bau- und Gewerbegebiet zum Opfer gefallen.

Die Kreuzwertheimer haben es gut. Nördlich ihrer Marktgemeinde, nur durch eine Straßenunterführung abgetrennt, liegt ein großes und vielfältiges Streuobstwiesenareal mit Kleingärten, Hütten, blühenden Wiesen, kleinen und großen Tieren sowie fast 3.000 Obstbäumen: die sogenannten Erlichsgärten. Als "Paradies vor der Haustüre und europäisches Naturerbe" preist der Markt Kreuzwertheim sein Schmuckstück heute auf großen Infotafeln an: mit Recht. So etwas hat nicht jeder.

Die Erlichsgärten schreiben sich ohne "h", denn der Begriff kommt von "Erlich", kleine Erlen: ein Hinweis darauf, dass die kleine Gemarkung, die später dem ganzen Areal seinen Namen gab, recht feucht war. Allerdings nur sie; der Großteil der Erlichsgärten ist recht trocken. Insgesamt sind sie Teil des FFH-Gebiets "Maintal zwischen Bürgstatt und Wertheim" und damit Bestandteil des europäischen Schutzgebiets Natura 2000, das europaweit bedeutsame Lebensraumtypen erhalten soll.

Kleinteiligkeit garantiert Vielfalt

Mit ihrer kleinteiligen Struktur und den schmalen, streifenförmigen Parzellen, denen man die fränkische Realteilung auf den ersten Blick ansieht, dienen die Erlichsgärten der Erholung ebenso wie der Artenvielfalt. Zu dem heutigen Streuobstareal entwickelten sie sich freilich erst, nachdem in den fünfziger und sechziger Jahren die meisten Eigentümer die Nutzung ihrer Parzellen aufgaben, die sie im und nach dem Krieg noch zur Selbstversorgung bewirtschaftet hatten.

Auf den ersten Blick sieht das 45 Hektar große Areal etwas "unordentlich" aus, jedenfalls wenn man angesichts des Namens eine parkartige Gartenanlage mit einem einheitlichen Konzept erwartet hat. Aber gerade das ist der "Trick", der zu besonderer Vielfalt führt: Weil jede Teilfläche etwas anders bewirtschaftet wird, kommen die unterschiedlichsten Bedürfnisse zum Tragen. Wenn beispielsweise irgendwo gemäht wird, dann weichen Insekten und Vögel halt auf das Nachbargrundstück aus. Wenn der eine seine Bäume "im zeitigen Frühjahr" schneidet, die andere im Sommer nach der Ernte und der Dritte gar nicht, entsteht eine Vielfalt, die mit einem einheitlichen Pflegekonzept niemals zu erzielen wäre.


Überbauung gerade noch abgewendet

Um ein Haar wäre es allerdings Anfang der neunziger Jahre mit den Erlichsgärten und ihrer Vielfalt vorbeigewesen, erinnert sich Georg Wolpert, der damals frisch zum ersten Vorsitzenden der neugegründeten BN-Ortsgruppe gewählt worden war: Wie er erfuhr, hatte der Marktgemeinderat beschlossen, das Areal in ein Bau- und Gewerbegebiet umzuwandeln – und war finster entschlossen, das Vorhaben durchzuziehen. Dem frischgebackenen Ortsgruppenvorsitzenden beschied man, er brauche sich deswegen gar nicht mehr zu bemühen, die Sache sei entschieden.

Und die Bürger? Waren zwar alles andere als begeistert, doch glaubten sie, wie so viele, "eh nichts machen zu können". Und das, obwohl etliche von ihnen Grundstücke auf dem Areal besaßen, die man ihnen nur durch Enteignung – oder eine Flurbereinigung – hätte nehmen können. In mühsamen Gesprächen überzeugte Wolpert sie, dass sie zwar als Einzelne schlechte Karten hätten, die Umwandlung aber durchaus verhindern könnten, wenn sie sich zusammentäten. Und forderte sie auf, Einspruch gegen die Umwandlung zu erheben.

"Manchen mussten wir beim Formulieren der Einwendungen helfen," erzählt Wolpert. "Ich hatte Sorge, dass viele ihren Einspruch sonst mit schlechtem Gewissen liegenlassen würden, weil sie wenig Erfahrung mit Behördenschriftverkehr hatten."

Heftiger Gegenwind

Angesichts der vielen Einwände berief die damalige Bürgermeisterin eine Bürgerversammlung ein – und wieder war es an Wolpert, mühsam von Haus zu Haus zu gehen und seine Kreuzwertheimer zur Teilnahme zu motivieren. Auf der Versammlung selbst wurde freilich Klartext geredet. Als die Leute merkten, dass sie mit ihrer Ablehnung nicht alleinstanden, drehte sich die Stimmung, und die Bürgermeisterin und ihre Gemeinderäte bekamen heftigen Gegenwind.

Als "erste Sofortmaßnahme" aufgrund der Proteste entschieden sich Marktgemeinderat und Verwaltung für "entschlossenes Abwarten": Sie stellten den Vollzug der bereits beschlossenen Flächennutzungsplanänderung zurück. Doch offenbar wollten manche nur etwas Zeit verstreichen lassen, bis sich die Aufregung gelegt hatte, und die Sache dann endgültig durchziehen.

Zwei Jahre später,1993, machten sie einen neuen Versuch – und mussten erfahren, dass die Aufregung eher wuchs. "Vor allem, wie unmittelbar Betroffene im Unklaren gelassen wurden, rief in Bevölkerung und Presse vehementen Widerspruch hervor", steht dazu in der Jahres-Chronik im Jahrbuch des Kreuzwertheimer Geschichts- und Heimatvereins (S. 13).

Eigentor im dritten Anlauf

Im Laufe der Zeit schlossen sich auch andere Organisationen und Verbände dem Kampf um die Rettung der Erlichsgärten an: Heimatfreunde, die evangelische Kirchengemeinde, die Untere Naturschutzbehörde und schließlich sogar der Bauernverband. Man hätte also gewarnt sein können. Doch im Juni 1994 versuchte die Marktgemeinde erneut, die Änderung des Flächennutzungsplans durchzusetzen. Offenbar versprachen sich einige so viel von der Nutzungsänderung, dass sie sie fast um jeden Preis durchsetzen wollten.

Dieser dritte Anlauf wurde zu einem Eigentor wie aus dem Fußballlehrbuch. Nach erneuten Protesten und Debatten stellten einige genervte Marktgemeinderäte im März 1995 den Antrag, diese Flächennutzungsplanänderung für immer zu den Akten zu legen. Und fanden dafür am 4. Juli 1995 eine Mehrheit – und zwar quer durch alle drei Fraktionen von CSU, SPD und FWV. Seither ist Ruhe um die Erlichsgärten. Und man darf wohl davon ausgehen, dass sie dieser Hort der ökologischen Vielfalt, der Gartenarbeit und der Erholung, der sie heute sind, auf Dauer bleiben.

Rühmliche Ausnahme

Obwohl die Auseinandersetzung lang und "herzhaft" war, sind davon kaum Narben zurückgeblieben. Heute sind die allermeisten froh, dass ihr "Paradies vor der Haustür" erhalten wurde. Erst kürzlich bestätigte ein altgedienter CSU-Gemeinderat, dass Wolpert damals recht hatte, die Bevölkerung für den Erhalt der Erlichsgärten zu mobilisieren. Und man hält ihm zugute, dass er sich in der Auseinandersetzung immer fair und sachlich verhielt.

Fair ist aber auch, dass die Marktgemeinde in ihren neuen Infotafeln ausdrücklich die Rolle der Bürgerschaft und des BN bei der Bewahrung der Erlichsgärten hervorhebt. Das ist keine Selbstverständlichkeit: Allzu häufig wird bei der öffentlichkeitswirksamen Präsentation wertvoller Landschaften "vergessen" zu erwähnen, dass diese Landschaften ein paar Jahrzehnte zuvor von engagierten Menschen in heftigen Konflikten gegen Verwaltung und Politik verteidigt werden mussten. Kreuzwertheim macht hier eine rühmliche Ausnahme.


Die Erlichsgärten erwandern

Von Kreuzwertheim aus kommt man in die Erlichsgärten über die Straße "In den Herrnwiesen" am nördlichen Ortsrand. Nach der Unterführung steht man bereits vor dem Areal und kann dann entweder geradeaus gehen oder – was wir empfehlen würden – dem Weg nach rechts parallel zur Staatsstraße folgen und dann in den oberen Weg nach links einschwenken.

Wer mit dem Auto kommt, biegt an dem Kreisverkehr nahe der Mainbrücke nach Norden ab und parkt dann bei dem nächsten Querweg nach rechts. Dieser Weg mündet in den oben genannten parallel zur Staatsstraße.

Verlaufen kann man sich in den Erlichsgärten kaum: So groß sind sie nicht. Stattdessen kann man auf den fast ebenen Wegen bis zum Waldrand wandern, und wenn man möchte, auch weiter. Ratsam ist, sich Zeit zu lassen und einen Blick für die Vielfalt zu entwickeln, die dieses Gebiet auszeichnet: Dann versteht man am besten, weshalb die Marktgemeinde heute von einem "Paradies vor ihrer Haustür" spricht – und darf ein bisschen neidisch auf die Kreuzwertheimer sein.

Ausgangspunkt: Kreuzwertheim, "In den Herrnwiesen" beziehungsweise nach der Straßenunterführung

Länge/Dauer: nach Belieben (Rundweg: eine knappe Stunde)

Höhenunterschiede: gering

Einkehr: Kreuzwertheim, Wertheim