Totholz - überlaufene Touristenhochburg des Waldes
Totholz ist tot. Das sagt schon der Name. Lebensholz wäre jedoch die weit bessere Bezeichnung. Denn während sich das Holz zersetzt, bietet es Lebensraum und Nahrungsquelle für zahlreiche Lebewesen.
Doch bevor wir uns ansehen, wie es dazu kommt, sollten wir erst die Frage klären, was genau Totholz bedeutet. Wenn wir von Totholz sprechen, dann können wir sowohl einen stehenden, abgestorbenen Baum meinen, als auch am Boden liegende Baumstämme, aber auch Baumstümpfe oder Asthaufen. Diese verschiedenen Arten von Totholz bieten abhängig von Zersetzungsstadium und Baumart Lebensraum für unterschiedliche Arten.
Ein stehender Baum kann zu einem Habitat für Höhlenbrüter werden, wenn ein Specht den Baum aushöhlt. Zieht er aus dieser Höhle aus, so hat er kein Problem damit, Nachmieter zu finden: Es gibt zahlreiche Tiere, die Höhlen brauchen, aber keine bauen. Viele davon sind Vögel, die hier entweder nach Nahrung suchen oder brüten, etwa Eulen und Kleiber. Aber auch Säugetiere profitieren vom Werk des Spechts: Fledermäuse ziehen sich gerne in die Höhlen zurück und auch Eichhörnchen und Marder brauchen einen Wohnraum.
Dass sich die Höhlen bewohnen lassen, ist offensichtlich. Aber wieso sollten sie Nahrung bieten? Ernähren Meisen sich neuerdings von Holzfasern? Fressen Rotkehlchen Baumrinde? Nein, natürlich nicht. Aber es gibt andere Tiere, die das tatsächlich tun – die Pionierinsekten. Sie sind die ersten, die das frisch abgestorbene Holz besiedeln, hauptsächlich Käferlarven. Wenn diese sich erst einmal durchs Holz gefressen haben und überall Bohrmehl und Kot verteilt haben, rücken die nächsten Insekten und die ersten Pilze an, um diese Materialien zu verarbeiten. Und die Insekten sind es auch, die die Vögel anlocken. Sie sind überhaupt erst der Grund, weshalb der Specht den Baum bearbeitet.
Und das ist nicht nur für Höhlenbrüter von Nutzen. In den entstandenen Fraßlöchern können sich nämlich weitere Pilze ansiedeln, die das Holz abbauen und somit nach der Besiedlungsphase die zweite Zersetzungsphase einleiten: Die Zerfallsphase. Innerhalb von 10 -20 Jahren fallen Äste und Rinde vollständig vom Baum ab und Pilze und Bakterien machen sich an den Holzabbau. Davon profitieren auch viele Insekten, die teilabgebautes Holz brauchen oder sich von den Pilzen ernähren. Auch zu diesen Insekten zählen hauptsächlich Käfer. Aber auch manchen Ameisen und Wildbienen dient Totholz als Wohnraum. Während das Holz immer weiter zerfällt und von Morschholz zu Moderholz wird und schließlich in das pulvrige Mulmholz übergeht, das größtenteils aus dem Kot aktueller und ehemaliger Bewohner besteht, bietet es auch schon wieder Lebensraum für neue Tiere: Jetzt kommen die Bodenlebewesen wie Würmer und Schnecken zum Zug: Sie zerkleinern das Moderholz, das dadurch zugänglicher für Mikroorganismen wird, die das Holz schließlich vollständig zersetzen.
Erst dann ist das Holz wirklich tot, vorher tobt darin das Leben: Von Vögeln über Käfer und andere Insekten, von Moosen und Pilzen über Fledermäuse, von Eichhörnchen und Fledermäusen über Würmer hat es mehr Lebewesen eine Unterkunft geboten, als jedes Hotel von sich behaupten kann. Und diese Unterkunft ist nicht nur klimaneutral, nein, sie ist sogar klimapositiv: Wälder mit hohem Totholzanteil speichern besonders viel Kohlenstoff, können Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen ausgleichen und somit das Mikroklima im Wald verbessern. Wenn der menschliche Tourismus so umweltfreundlich wäre, dann wären die Deutschen Weltretter! Vorausgesetzt, angesichts einer solch überfüllten Unterkunft verginge ihnen nicht die Reiselust…
Text: Nora Stoll