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AKW Isar 2: FAQs zu Streckbetrieb und Laufzeitverlängerung
Atomkraftwerke weiterlaufen lassen oder nicht? Diese Frage wurde im Zuge der aktuellen Energiekrise kontrovers diskutiert. Was bringt die Laufzeitverlängerung oder der sogenannte Streckbetrieb? Wie sieht es mit der Sicherheit der Atommeiler aus? Wir beantworten die häufigsten Fragen.
Die derzeitige Energiekrise hat die Diskussion über den Betrieb der letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke (AKW) in Deutschland, insbesondere von Isar 2 bei Landshut, neu entfacht. Allen voran die CSU und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder werben für den Weiterbetrieb des niederbayerischen Meilers Isar 2. Ergibt das Sinn?
Deutschland hat keinen Strommangel, sondern einen Gasmangel für die Erzeugung von Wärme zu bewältigen. Atomkraftwerke können hierzu nichts beitragen, da sie keine nutzbare Wärme, sondern Elektrizität produzieren. Zudem kann man Atomkraftwerke nicht flexibel und bedarfsgerecht steuern, weshalb sie die Gaskraftwerke, die für Spitzenlast ausgelegt sind, nicht ersetzen können – siehe Antwort auf die Frage „Kann Atomstrom den Mangel an Gas ausgleichen?“.
Bei einem Streckbetrieb, wie er nun bis 15. April 2023 festgelegt wurde, wird die Leistung eines AKW nur vom Sommer in den Winter über das festgelegte Ende der AKW-Stromerzeugung am 31. Dezember 2022 hinaus verlagert. Dabei kommt aber keine einzige zusätzliche Kilowattstunde heraus.
Darüber hinaus ist die alle zehn Jahre verpflichtende Sicherheitsüberprüfung bereits seit drei Jahren überfällig, weil das Laufzeitende zum 31. Dezember 20222 gemäß dem Atomausstieg absehbar war und man eine Prüfung deshalb nicht mehr für erforderlich hielt. Wollte man die Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, wäre die Prüfung aber verpflichtend. Während der Prüfung würde das AKW für lange Zeit stillstehen und keinen Strom produzieren.
Zurecht bestehen für eine Laufzeitverlängerung hohe rechtliche Hürden. Eine schnelle Umsetzung einer Laufzeitverlängerung wäre daher unmöglich.
Nicht zuletzt bräuchten die Atomkraftwerke bei einem Weiterbetrieb neue Brennstäbe, die aber nicht bereitstehen, und deren Beschaffung circa eineinhalb Jahre dauert.
Nein, fast gar nicht. Atomkraftwerke produzieren Strom und Deutschland hat genug Strom, exportiert ihn sogar – vor allem in das Atomstromland Frankreich. Was in Deutschland derzeit fehlt, ist Gas.
Das Gas wird hierzulande fast ausschließlich zur Erzeugung von Wärme, zum Heizen oder in der Industrie genutzt. Atomkraftwerke produzieren dagegen keine nutzbare Wärme, sondern nur Strom. Deshalb können sie kein Ersatz für ausfallende Gaslieferungen sein.
Gaskraftwerke können zwar grundsätzlich auch Elektrizität erzeugen, werden aber dafür nur eingesetzt, wenn es Spitzenauslastungen beim Strom erfordern. Durch die Atomkraftwerke könnte also nur ein sehr kleiner Teil des Gasverbrauchs ersetzt werden - nämlich nur ein Prozent!
Angesichts des aktuellen Gasmangels wird überlegt, auch dieses eine Prozent Gas nicht mehr für die Stromerzeugung, sondern ebenfalls für die Wärmeproduktion zu nutzen. Die geringe Menge würde bei der Wärmeerzeugung aber praktisch nicht weiterhelfen. Sie ließe sich zudem problemlos einsparen, etwa indem Privathaushalte im Winter ihre Heizung um lediglich ein halbes Grad herunterdrehen.
Es würde auch technisch kaum funktionieren, das wenige für die zusätzliche Stromproduktion in Spitzenzeiten genutzte Gas durch Atomkraft zu ersetzen: Atomkraftwerke können nicht so flexibel ausgelastet werden wie Gaskraftwerke, so dass sie deren Spitzenlast-Funktion gar nicht einnehmen könnten.
Last but not least kann man auch den Strombedarf sehr einfach durch technische Lösungen und Verhaltensänderungen deutlich senken: Tipps fürs Energiesparen
Der Betrieb jedes Atomkraftwerks ist auf die Produktion einer bestimmten Menge Strom ausgelegt. Bei einer echten Laufzeitverlängerung bleibt ein AKW länger am Netz und erzeugt mit neu zu beschaffenden Brennelementen mehr Strom als ursprünglich vorgesehen. Die Beschaffung von Brennelementen dauert jedoch circa eineinhalb Jahre. Außerdem sind Brennstäbe generell schwer zu beschaffen.
Beim Streckbetrieb wird die Betriebszeit ebenfalls über das festgelegte Laufzeitende hinaus verlängert – es werden jedoch keine neuen Brennstäbe eingesetzt. Die Stromerzeugung mit Hilfe der alten Brennstäbe wird durch Vermindern der Leistung nur über eine längere Zeit „gestreckt“.
Im beschlossenen Streckbetrieb bleiben die Atommeiler über den beschlossenen Atomausstieg zum 31. Dezember 2022 hinaus weiter in Betrieb bis zum 15. April 2023. Um die drohende Energiekrise in diesem Winter zu bekämpfen, eignet sich aber weder die Laufzeitverlängerung noch der Streckbetrieb – siehe Antwort zur Frage „Kann Atomstrom den Mangel an Gas ausgleichen?“.
Die Bayerische Staatsregierung führt ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten des TÜV Süd zum AKW Isar 2 an. Laut Gutachten sei der Weiterbetrieb dieses Atomreaktors auch über den 31. Dezember 2022 hinaus sicherheitstechnisch möglich.
Die Erstellung des Gutachtens hat jedoch nur wenige Tage gedauert und beruht an einigen Stellen auf Mutmaßungen und nicht auf Fakten. Außerdem hatte der TÜV gar nicht den Auftrag gehabt, eine umfassende sicherheitstechnische Bewertung abzugeben. Dennoch kommt er zu dem Schluss, dass aus sicherheitstechnischer Sicht keine Bedenken gegen den weiteren Betrieb bestünden. Der TÜV trifft sein Urteil also unabhängig vom Zustand und ohne eine Überprüfung des AKW.
Es scheint, als ob das Ergebnis für den TÜV von vorneherein fest stand und es sich um einen Art Gefälligkeitsgutachten des TÜV handelt. Die Bayerische Staatsregierung und den TÜV Süd verbindet eine jahrelange Zusammenarbeit, die beiden Seiten nützt. Auch vom Weiterbetrieb des AKW Isar 2 würde der TÜV Süd profitieren. Dr. Ulrich Wollenteit, Fachanwalt für Atomrecht, spricht in diesem Zusammenhang von Befangenheit und fordert, den TÜV Süd von zukünftigen Aufträgen auszuschließen.
Kritik an dem TÜV-Gutachten kommt darüber hinaus vom Bundesumweltministerium. Die Stellungnahme des TÜV Süd erfülle „grundlegende Anforderungen an Gutachten und seriöse Sachverständigenaussagen nicht und sollte deshalb nicht zur staatlichen Entscheidungsfindung herangezogen werden", so das Ministerium.
Im Gegenteil: Es würde die Abhängigkeit sogar noch erhöhen. Fast die Hälfte des in der EU eingesetzten Kernbrennstoffs stammt aus Russland und dem eng mit Russland verbündeten Kasachstan. Ein Weiterbetrieb der Atomkraftwerke würde also weder bei der Bewältigung der aktuellen Gaskrise helfen, noch die Abhängigkeit von Russland in Energiefragen mindern.
Russland ist zudem der weltweit größte Exporteur von Atomkrafttechnologie. Russland hat also großes Interesse, die Atomkraft in der Welt zu verbreiten und die dadurch entstehende Abhängigkeit von sich zu stärken. Ein Weiterbetrieb oder der Bau neuer AKW würde die Welt umso mehr an Russland binden.
Wie steht es um die Sicherheit der Atomkraftwerke?
Weltweit ist einer von 100 Kernreaktoren havariert – das entspricht einem Prozent. Hätten Flugzeuge diese Absturzquote, würde niemand in ein Flugzeug steigen. In der aktuellen Debatte scheinen die schrecklichen Atomunfälle von Harrisburg (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) sowie deren immer noch spürbare dramatische Auswirkungen vergessen.
Nach 20 Betriebsjahren setzt bei Atomkraftwerken der Alterungsprozess ein und die Störanfälligkeit nimmt deutlich zu - und damit auch das Sicherheitsrisiko. Die drei aktiven Atomkraftwerke sind alle 1988 in Betrieb gegangen, das sind bereits 34 Jahre.
Alle drei Atomkraftwerke sind Druckwasserreaktoren der vierten Generation, „Konvoi-Typ“ genannt. In den 1980er-Jahren waren sie noch „state of the art“. Inzwischen sind sie mit schweren sicherheitstechnischen Mängeln behaftet.
In den letzten sechs Jahren sind insgesamt 40 meldepflichtige Ereignisse aufgetreten, davon allein 15 im niederbayerischen AKW Isar 2 in der Nähe von Landshut. Dabei handelte es sich um Störfälle aufgrund von fehlerhafter Montage, Instandhaltungsmängeln, unkorrekten Einstellungen oder Alterungsproblemen – angeblich alles Ereignisse ohne sicherheitstechnische Relevanz.
Im AKW Neckarwestheim 2 sind bereits mehr als 300 Risse bekannt. Diese Risse sind in den vergangenen Jahren in den Dampferzeugern entdeckt worden – also im Kernreaktor. Sie können einen GAU auslösen.
Neben diesen technischen Störfällen passieren auch Bedienungsfehler durch das Personal. Aufgrund des beschlossenen Atomausstiegs gibt es immer weniger geschulte Fachkräfte. Dazu kommt der zeitliche und wirtschaftliche Druck.
Trotz all der Mängel und Missstände bei Nachrüstungen und Reparaturen drückt die Atomaufsichtsbehörde beide Augen zu – die Meiler sollten ja sowieso bald abgeschaltet werden.
Das Bundesministerium für Umwelt und nukleare Sicherheit schreibt dazu auf seiner Website:
„Eine abrupte Änderung unternehmerischer Planungen hätte einen unmittelbaren Einfluss auf die Sicherheit. Die Verträge mit dem Personal und zu den technischen Ressourcen sind auf das Ende des Leistungsbetriebs am 31. Dezember 2022 ausgelegt. Eine notwendige Lieferung neuer Brennelemente würde über ein Jahr dauern. Selbst wenn nach dieser Zeit ein befüllter Kern zur Verfügung stünde, müsste ein dann erfolgender Neustart der Atomkraftwerke mit einer neu zusammengesetzten Mannschaft und nachgeholten Fachkundenachweisen erfolgen. Die organisatorischen und menschlichen Faktoren sind ganz entscheidend für die Sicherheit. Deshalb ist wegen solcher Umstände ein erhöhtes Risiko für den Betrieb wahrscheinlich.“
Die verpflichtende Periodische Sicherheitsüberprüfung (PSÜ), die die Atomkraftwerke alle zehn Jahre auf Herz und Nieren prüfen muss, ist seit Jahren überfällig. Zuletzt hat sie bei allen drei Atomkraftwerken 2009 stattgefunden – also vor 13 Jahren.
Zum Vergleich: Bei jedem Auto ist die Hauptuntersuchung alle zwei Jahre fällig. Wird sie versäumt, fällt bereits nach zwei Monaten ein Bußgeld an, nach acht Monaten gibt es einen Punkt in Flensburg. Die Atomkraftwerke dagegen laufen immer noch.
Hinzu kommt, dass die Sicherheitsüberprüfung 2009 noch nach dem bereits damals überholten Regelwerk aus den 1980er-Jahren durchgeführt wurde. Das aktuelle Regelwerk berücksichtigt neue externe Faktoren. Jedoch ist dieses Regelwerk noch bei keinem deutschen Atomkraftwerk angewendet worden – die Atomkraftwerke sollten ja bald abgeschaltet werden.
Sollten die Atomkraftwerke jetzt länger im Einsatz bleiben, schreibt das EU-Recht für eine Laufzeitverlängerung diese gründliche Prüfung mit den neuen Faktoren vor, die mehrere Jahre dauert. Das heißt, die Bundesregierung darf den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke gar nicht länger gestatten ohne eine PSÜ durchzuführen.
Das Bundesministerium für Umwelt und nukleare Sicherheit schreibt dazu: „Ein zusätzlicher Betrieb durch eine Laufzeitverlängerung würde daher ohne die Erkenntnisse aus einer PSÜ erfolgen und deshalb ein nicht hinnehmbares Risiko darstellen.“
Deutsche Atomkraftwerke sind nach wie vor nicht ausreichend gegen Naturkatastrophen wie Hochwasser und Erdbeben geschützt. Das ergab der EU-Stresstest, der nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima vor inzwischen elf Jahren durchgeführt wurde. Nötige Maßnahmen wurden bis heute nicht eingeleitet – mit dem Hinweis, dass die Atomkraftwerke bald abgeschaltet werden.
Auch dem Klimawandel halten die Atommeiler nicht stand: In Frankreich mussten im Sommer schon mehrmals Atomkraftwerke vom Netz genommen werden, weil die Flüsse, die die Meiler kühlen sollen, zu wenig Wasser führten oder zu stark erhitzten.
In der Ukraine sind Atomkraftwerke zum Ziel militärischer Angriffe geworden. Zerstörung oder ein längerer Stromausfall können innerhalb weniger Tage zur Kernschmelze führen. Auch gegen Flugzeugabstürze – Unfälle oder absichtlich herbeigeführte – sind die deutschen Atomkraftwerke nicht ausreichend gesichert. Damit sind sie auch potenzielle Ziele terroristischer Angriffe mit verheerender Wirkung.
Fazit: Atomkraft hilft uns nicht weiter – im Gegenteil
Die Stimmen, die einen Weiterbetrieb des niederbayerischen Atomkraftwerks Isar 2 fordern, tun dies aus reinem Populismus und um vom Versagen der CSU in der Energiepolitik der letzten Jahre abzulenken – in einigen Monaten ist Landtagswahl! Dabei stellen sie sogar die Sicherheit der Bevölkerung hinten an. Isar 2 und die beiden anderen Atomkraftwerke sind seit 13 Jahren nicht mehr umfänglich sicherheitstechnisch überprüft worden, sie einfach weiterlaufen zu lassen, wäre mit einem hohen Risiko verbunden.
Außerdem tragen die Atomkraftwerke kaum dazu bei, der Energiekrise entgegenzuwirken. Ein Weiterbetrieb der Atommeiler würde in der aktuellen Krise also nur mehr Risiko und darüber hinaus eine noch größere Abhängigkeit von Russland bedeuten.
Nicht einmal die Betreiber der drei verbliebenen Atomkraftwerke sind bereit, für die Sicherheitsrisiken zu haften. Aufgrund dieser Risiken bestehen auch massive juristische Zweifel, ob ein Weiterbetrieb der alten Atommeiler vor dem Hintergrund des Schutzes von Leben und Gesundheit verfassungskonform wäre.