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Aus für Skandalreaktor Temelin bei EU-Beitritt?

Bund Naturschutz fordert Änderung des Euratom-Vertrages und Anwendung der EU-Wettbewerbsvorschriften

29.01.2003

Seit über 20 Jahren sind die beiden Atomkraftwerke in Temelin in Südböhmen im Bau, seit 2 ¼ Jahren versucht der tschechische Stromversorger CEZ trotz einer beispiellosen Pannenserie den ersten Block des Atomkraftwerks in Betrieb zu nehmen. Diese lange Bauzeit und die vielen Reparaturen haben immense Geldsummen verschlungen und Temelin zum kostspieligsten Kraftwerk des ehemaligen Ostblocks gemacht. Über drei Mrd. Euro wurden investiert.
Da der Strom aus Temelin in Tschechien nicht gebraucht wird, muss er (wie der derzeit schon überschüssige tschechische Strom) zu niedrigen Preisen ins westeuropäische Netz exportiert werden.
Diese decken aber die Kosten nicht ab, was den tschechischen Stromversorger CEZ in Bedrängnis bringt.
Der Bund Naturschutz und die tschechischen Umweltorganisationen und Parteien wie die Südböhmischen Mütter gegen Atomkraft fordern daher die sofortige Stilllegung des Reaktors.

Sicherheit ungenügend

Zwischenzeitliche Nachrüstungen mit amerikanischer Leittechnik haben den Reaktor nicht sicherer, sondern für eine neue Art von Unfällen anfällig gemacht. Der gleichzeitige Ausfall aller Hauptkühlmittelpumpen und die Vielzahl von Steuerungsproblemen, sowie Ausfall der Elektronik sind der schlagende Beweis.
Trotz des schwerwiegenden Unfalls am 7.Februar 2002 wurde der Reaktor nicht stillgelegt. Im Gegenteil: Selbst den von der EU vorgeschriebenen Sicherheitsnachrüstungen widersetzt sich der Kraftwerksbetreiber, vermutlich aus Kostengründen. Zuallererst müssten die Frischwasserleitungen auf der sog. 28,8 Meter-Bühne neu und getrennt verlegt werden, um zu verhindern, dass sie sich gegenseitig in Mitleidenschaft ziehen. Des weiteren müssen die Ventile ausgetauscht werden, die den Anforderungen nicht genügen und immer wieder ausfallen. Die Liste der von der EU vorgeschriebenen Sicherheitsgarantien ist sehr lang und nach Ansicht des BN bei weitem nicht ausreichend.

Gefahr für Mitteleuropa - Strom für Bayern?

Temelin ist nur 60 km von der bayerischen Grenze entfernt. Im Falle einer Reaktorkatastrophe wäre die Region zwischen München, Prag und Wien für Jahrhunderte nicht mehr bewohnbar.
CEZ hat im Jahre 2002 10 Mrd. kWh überflüssigen Strom nach Deutschland verkauft, den Löwenanteil davon über die Hochspannungskupplung von e.on in Etzenricht (Oberpfalz). In den nächsten Jahren wird zu dieser Strommenge noch der Atomstrom aus Temelin (bis zu 12 Mrd. kWh) dazukommen, für den in Tschechien kein Bedarf ist.
Mit dem Export Preis von nur 1,7 Cent/kWh (Angaben des tschechischen Zollamts 2002) können nicht einmal die Betriebskosten des Atomkraftwerks (in Höhe von 2,1 Cent/kWh) gedeckt werden. Ein Beitrag zur Amortisation des teuren Kraftwerks ist also nicht zu erwirtschaften. Für Versicherung und Entsorgung bleibt ebenso wenig übrig.
CEZ hält sich stattdessen bei den tschechischen Stromkunden schadlos, deren Strompreis sich im letzten Jahrzehnt mehr als vervierfacht hat. Diese Form der Quersubvention verstößt nach Ansicht des EU-Wettbewerbs-Kommissars Mario Monti gegen die Wettbewerbsregeln am liberalisierten Strommarkt.
Monti schritt auf Antrag des BN allerdings nicht gegen CEZ ein, sondern verwies den Bund Naturschutz (bis zum EU-Beitritt Tschechiens) an das tschechische Kartellamt.
Von dort kam nun immerhin die Bestätigung, dass in Tschechien der Strommarkt schrittweise geöffnet wird. Der Strompreis für einige Weiter-Verteiler ist bereits deutlich reduziert, die unter Kritik gekommenene Quersubventionierung (Stromkunden inTschechien zahlen fürs Exportgeschäft) wird an Gewicht verlieren und nicht mehr zur Stützung Temelins ausreichen.
Bereits dreimal ist vor einem Jahr die Privatisierung von CEZ gescheitert. Mit der beginnenden Liberalisierung wird die Lage von CEZ noch aussichtsloser. Allen potentiellen Käufern wird deutlich, dass Temelin ein zu großer finanzieller Klotz am Bein von CEZ ist. Die Folgekosten dieses überflüssigen Kraftwerks sind angesichts der riesigen westeuropäischen Überkapazitäten nicht finanzierbar.

Undemokratischen EURATOM-Vertrag sofort kündigen

Ob die EU-Wettbewerbsregeln Temelin in die Knie zwingen oder ob die "Förderung des Atomstroms" (wie es der EURATOM-Vertrag wünscht) zum letzten Notanker wird, wird sich bald entscheiden.
EURATOM ist der letzte Vertrag, der noch aus den Anfangszeiten der Europäischen Gemeinschaft stammt. Er ist undemokratisch, da er das europäische Parlament umgeht (das es 1958 noch nicht gegeben hat). Der Bund Naturschutz fordert die Aufkündigung dieses "Dinosaurier"-Vertrages. EURATOM ist der einzige Vertrag, der für eine einzelne Energieform (die Atomkraft) Sonderprivilegien garantiert. Alle anderen Energieformen kennen diese Förderung nicht.
Der Schwerpunkt von EURATOM liegt mittlerweile in Osteuropa.
Mit Darlehen aus dem EURATOM-Vertrag sollen in Rußland halbfertige Atomkraftwerke (auch des Tschernobyltyps!) fertiggestellt werden, die anderweitig nicht finanzierbar sind. Der BN fürchtet, dass EURATOM auch in Tschechien aushilft, wenn das finanzielle Desaster Temelin den Stromversorger in Bedrängnis bringt. Der EURATOM-Vertrag ist ein extremes Hindernis bei der Liberalisierung des Strommarktes.
Er übergeht die gewaltigen Risiken und Kosten der Atomkraft (die von der Atom-Werbekampagne in den 50igern als nicht existent erklärt wurden, heute aber allen Beteiligten offenbar sind).

Atomenergie nicht künstlich am Laufen halten

Obwohl selbst nach Ansicht der IAEA das Uran in 35 Jahren weltweit zu Ende ist, fließen in die Atom- und Sicherheitsforschung der EU noch immer größere Summen als in die Förderung der Erneuerbaren Energien.
Eine Energieform, die 45 Jahre nach Einführung ihre eigenen Kosten nicht tragen kann, hat nach Ansicht des BN kein Recht auf weitere Förderung. Der EURATOM-Vertrag muss also gekündigt werden.
Nur die Hälfte der EU-Staaten nutzt die Atomkraft. Und von denen haben bis auf drei den Ausstieg beschlossen. Es ist also nicht einsehbar, warum an diesen demokratischen Entscheidungen vorbei eine Minderheit auf Kosten der übergroßen Mehrheit gefördert werden soll.

Die EU-Kommission und das EU-Parlament sollen Kompetenzen für die Atomsicherheit und- entsorgung erhalten, der EURATOM-Vertrag mit dem Förderungsziel muss aber auslaufen, die EU-Wettbewerbsregeln müssen auch für die Atomkraft gelten.

Forderungen:

Der Bund Naturschutz fordert die Bayerische Staatsregierung und den Bundesumweltminister Trittin auf, ihren Forderungen nach Stilllegung des AKW Temelin konkrete Schritte folgen zu lassen.

Der Bund Naturschutz fordert den Stromversorger e.on auf, zu veröffentlichen, wer den Importstrom aus Tschechien kauft.

Der Bund Naturschutz fordert den EU-Konvent auf, den EURATOM-Vertrag zu kündigen und alle freiwerdenden Mittel auf den Atom-Ausstieg und die Atommüllentsorgung zu konzentrieren.


gez.
Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesvorsitzender

Richard Mergner
Landesbeauftragter

Dr. Ludwig Trautmann-Popp
Energiereferent


Bei Rückfragen:
Energiereferat 0951-519 06-09, fax -10
E-Mail: energie@bund-naturschutz.de