Bayern muss aus der atomaren Sackgasse aussteigen und zum Atom-Freistaat werden
Mit ihrer knallharten Lobbypolitik für den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken gefährdet die Bayerische Staatsregierung nach Ansicht des Bundes Naturschutz nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung und das Leben zukünftiger Generationen, sondern blockiert auch den Ausbau Erneuerbarer Energien und damit Bayerns Energiezukunft.
„Die Atomstromlobbypolitik von Staatsregierung, CSU und FDP ist schädlich für den Klimaschutz und torpediert die Zukunft einer Stromversorgung mit erneuerbarer Energie“, so Bund Naturschutz- und BUND-Vorsitzender Hubert Weiger. Das Argument von Ministerpräsident Horst Seehofer, Umweltminister Markus Söder und Wirtschaftsminister Martin Zeil, Atomkraft wäre als „Brückentechnologie für eine Energieversorgung mit erneuerbaren Energien“ notwendig, sei längst wieder legt. Die in der letzten Kabinettssitzung beschlossenen „Eckpunkte für das Energiekonzept des Bundes“ erschienen von der „Atom- und Kohlelobby diktiert“, so Weiger
„Die vom bayerischen Kabinett geforderte Laufzeitverlängerung soll den Atomkonzernen Milliardenprofite zuschanzen und wäre durch die zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen ein Vertrauensbruch zu Lasten der Stromkunden wie der kommunalen Stadtwerke und Ökostromwettbewerber“, so BN-Landebeauftragter Richard Mergner. Weitere Investitionen in von Städten und Gemeinden in Energiespartechnik, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien und damit die Arbeitplätze in Handwerk und Mittelstand seien gefährdet.
In einem breiten gesellschaftlichen Bündnis von Bürgerinitiativen, Verbänden und allen Parteien außer CSU und FDP werde daher unter dem Motto „Atomkraftwerke abschalten! Für einen Atom-Freistaat Bayern“ eine große Demonstration und Menschenkette am Samstag den 9. Oktober 2010 in München vorbereitet.
Atomenergie sei, wie die Gutachten mehrerer Enquetekommissionen, des Umweltbundesamtes oder des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung belegen, keine Brückentechnologie sondern eine Blockadetechnologie für die notwendige Innovation bei der Erzeugung und Nutzung von Energie.
So warne der federführende Professor für Energie- und Ressourcenwirtschaft des Sachverständigenrates Olav Hohmeyer vor dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke und neuen Kohlekraftwerken: „Eine grundlastbasierte Stromerzeugung durch Atom- und Kohlekraftwerke ist nicht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien kompatibel. Es ist technisch und ökonomisch nicht sinnvoll beide Pfade zu verfolgen“, so der Sachverständigenrat. Genauso urteile der renommierte Klimawissenschaftler Prof. Hartmut Grassl, der die Staatsregierung in ihrem Klimarat berät.
Gehe der Atomausstieg planmäßig weiter, würde der Atomstrom bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode von derzeit 140 auf 100 Mrd. kWh zurückgehen. Bis 2014 erwartet der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft mehr als 170 Mrd. kWh aus Erneuerbaren Energien. Auch der vom Bund Naturschutz aus Sicherheitsgründen geforderte Sofortausstieg aus der lebensgefährlichen Atomenergie sei möglich, da bei Verzicht auf den Stromexport genügend Strom aus erneuerbaren Energien und in einer kurzen Übergangszeit aus konventionellen Kraftwerken zur Verfügung steht.
Damit sei nach der Faktenlage die Warnung vor einer Stromlücke durch nichts begründet. Denn der Anteil der Atomenergie am Endenergieverbrauch liege in Deutschland unter 5 Prozent. Die Atomkraft habe beim Klimaschutz nicht geholfen und wirke auch nicht dämpfend auf die Strompreisentwicklung.
Den Nutzen hätten lediglich die Stromkonzerne und ihre Aktionäre, die vermeintlich billigen Strom aus abgeschriebenen Atomkraftwerken erzeugen, ihn aber so teuer wie anderen Strom verkaufen. Denn für jedes weitere Jahr der Laufzeit von Atomkraftwerken würden rund 300 Millionen Euro zusätzlicher Gewinn pro Jahr und Anlage anfallen. Allein diese „Förderung“ der großen Energiekonzerne zu Lasten der Umwelt, der kommenden Generation, der Stromkunden, der Stadtwerke sowie des auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzenden Handwerks und Mittelstandes würde zig Milliarden kosten, welches letztlich Bayern mehr Schaden zufügen würde, als die Milliardenschäden der Landesbank.
Atommüllendlagerung ungelöst
Bis zum Jahre 2000 wurden in westdeutschen Atomreaktoren mehr als 9.000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll erzeugt. Der sogenannte „Atomausstieg“ bis 2023 wird diese Menge verdoppeln. Mit jedem weiteren Jahr Laufzeitverlängerung würde der deutsche Atommüllberg um 500 Tonnen anwachsen. Bei 20 Jahren Laufzeitverlängerung, wie dies von der Bayerischen Staatsregierung gefordert wird, würden zusätzlich 10.000 Tonnen Atommüll entstehen.
In Deutschland sind noch 17 Atomkraftwerke in Betrieb, davon 5 in Bayern. Diese bayerischen Atomkraftwerke in Ohu bei Landshut, Gundremmingen und Grafenrheinfeld haben bisher 4000 Tonnen hochradioaktiven Atommüll erzeugt. Jährlich sind es etwa 160 Tonnen. Mit der Forderung nach dem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke entlarve sich der Widerstand gegen die Planung eines Atommülllagers nahe der bayerischen Grenze beim tschechischen Krumau und der Einsatz für ein Atomendlager in Gorleben als St. Florians-Politik. Wegen des hohen Gefahrenpotentials fordert der Bund Naturschutz den Betrieb von Atomkraftwerken vor der nächsten Reaktorkatastrophe, also sofort einzustellen und stattdessen die effiziente Energienutzung und die Erneuerbaren Energien auszubauen.
Atomkraftwerk Isar 1 besonders gefährlich
Isar I hat seinen Betrieb 1977 aufgenommen und gehört neben Brunsbüttel, Krümmel und Philippsburg I zu den besonders störanfälligen Siedewasserreaktoren der Baulinie 69. Kein anderer Reaktortyp in Deutschland hatte dermaßen vielen Pannen wie die Baulinie 69. Reaktoren dieser Generation haben massive Verschleißerscheinungen. Ihre Bauweise ist nicht auf dem neuesten Stand der Sicherheitstechnik. Das Atomkraftwerk Isar I sollte nach Verbrauch seiner Reststrommenge gemäß Atomgesetz-Novelle (2002) spätestens 2011 abgeschaltet werden. Eine Laufzeitverlängerung sei nach Auffassung des Bund Naturschutz sicherheitstechnisch keinesfalls zu vertreten.
Dies belegten folgende kurz gefasste Argumente:
Eine wesentliche Schwäche der Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 ist die Auslegung des Reaktorgebäudes. Während neuere Reaktoren mit Wandstärken bis zu 180 cm gebaut sind, weist Isar I nur Wandstärken zwischen 35 und 120 cm auf und ist so gegen Einwirkungen von außen entsprechend verwundbar. Folge der kostensparenden Bauweise ist außerdem ein Sicherheitsbehälter, der einen sehr kleinen Durchmesser und somit ein geringes freies Volumen aufweist. Bei einem Störfall mit Druckaufbau führt dies zu einem frühzeitigen Versagen des Sicherheitsbehälters.
Auch die dünnwandige stählerne Bodenwanne des Sicherheitsbehälters ist äußerst problematisch. Im Falle einer Kernschmelze kommt es innerhalb kurzer Zeit zum Durchschmelzen der Bodenwanne und sehr rasch zum Versagen des Sicherheitsbehälters. Diese Schwachstelle ist bereits seit über 20 Jahren bekannt und nicht nachrüstbar. Erst im November 2006 stellte die Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit (GRS) eine Risikostudie für die drei kleineren Anlagen der Baulinie 69 (Brunsbüttel, Isar I und Philippsburg I) vor mit folgendem Ergebnis:
- Nach dem Versagen des Reaktordruckbehälters wird der Sicherheitsbehälter in jedem Fall nach kurzer Zeit versagen (Durchschmelzen der Bodenwanne).
- Es kommt in den meisten Fällen zu hohen Freisetzungen von Radionukliden.
- Die Vorwarnzeit vor einer Freisetzung liegt zwischen nur 1,5 und 5 Stunden.
Das besonders Erschreckende daran ist, dass die Vorwarnzeit vor der Freisetzung so kurz ist. So bleibt bei einem Kernschmelzunfall nur extrem wenig Zeit für eine Evakuierung der Bevölkerung. Kann die Evakuierung nicht rechtzeitig erfolgen, ist nahe der Anlage mit akuten Strahlenkrankheiten und in größerer Entfernung mit erheblichen Langzeitfolgen zu rechnen.
Ein immer größer werdendes Problem für Isar I ist zudem die Alterung von Werkstoffen, Systemen und Konzepten, Dokumentation und Personal. Im Allgemeinen beginnt die Alterungsphase bei einem Atomkraftwerk nach etwa 20 Betriebsjahren, kann aber auch schon früher einsetzen. Alterung trägt in jedem Fall zum Risiko des Anlagenbetriebs bei. Im Atomkraftwerk führen ionisierende Strahlung, thermische und mechanische Beanspruchungen sowie korrosive, abrasive und erosive Prozesse zu Alterungsprozessen in Werkstoffen. Folgen der Alterungsprozesse sind z.B. Versprödung, Rissbildung und -wachstum oder Veränderungen elektrischer und anderer physikalischer Eigenschaften. Alterung kann nur teilweise durch häufige Prüfungen und Nachrüstung, also Austausch betroffener Systeme und Komponenten, behoben werden. Die Siedewasserreaktoren der Baulinie 69 waren und sind bis heute stark von Rissbildungen im Rohrleitungssystem betroffen. Hauptursache sind sowohl dehnungsinduzierte Risskorrosion als auch interkristalline und transkristalline Spannungsrisskorrosion. Auch nach umfangreichen Nachrüstprogrammen mit Werkstoffen, die zu dem Zeitpunkt als korrosionsresistent galten, traten immer wieder korrosionsgestützte Risse auf. Die Ursachen sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Risse können folgenschwere Störfälle auslösen oder Ereignisabläufe negativ beeinflussen.
Weiterhin sind ältere Reaktoren in Bezug auf Flugzeugabsturz nur gering geschützt. Isar I liegt zudem in der Nähe von Flugkorridoren. Reaktoren der Baulinie 69 haben gleich drei durch Nachrüstungen nicht zu korrigierende Nachteile:
- Das Reaktorgebäude ist nicht gegen den Absturz einer Militärmaschine und schon gar nicht gegen den Absturz von Verkehrs- und Frachtflugzeugen geschützt. Bei einem Absturz auf das Reaktorgebäude kommt es höchstwahrscheinlich zur Kernschmelze.
- Das Maschinenhaus und das Schaltanlagengebäude sind überhaupt nicht gegen Flugzeugabsturz ausgelegt. Bei Absturz auf diese Gebäude besteht ebenfalls die Möglichkeit einer Kernschmelze.
- Das Brennelement-Lagerbecken befindet sich außerhalb des Sicherheitsbehälters im oberen Bereich des Reaktorgebäudes. Das Lagerbecken ist durch Flugzeugabsturz und andere Angriffe verwundbar.
Egal welcher Gutachter, das Ergebnis ist immer gleich: Beim Absturz eines Verkehrsflugzeugs auf Isar I kommt es zur katastrophalen Freisetzung radioaktiver Stoffe. Hinzu kommen weitere wichtige Gefahrenmomente, wie die bereits im Normalbetrieb bestehenden Krebsrisiken, die mit Urangewinnung und -verarbeitung und mit Transport und Lagerung radioaktiver Abfälle verbundenen Risiken.
Für Rückfragen:
Richard Mergner
BN-Landesbeauftragter Tel.: 0911-8187825 und 0171-6394370
Anlage PM-084-10
Fachhintergrund zur angeblichen „Stromlücke und Brückenfunktion“
der Atomenergie
Der Anteil des Atomstroms an der Energieversorgung ist, nach den amtlichen, öffentlich zugänglichen Daten, EU–weit 6 % (2006), deutschlandweit unter 5 % (2007), weltweit unter 3 % (2005), alle mit fallender Tendenz. Maßstab ist die Endenergie, also die Energie, die beim Verbraucher ankommt. Obwohl der Weltenergieverbrauch steigt, stagniert der Atomstromanteil seit Jahren und hat zu keiner Zeit einen Einfluss auf das Wachstum der fossilen Energieträger gehabt. Der Anteil des Atomstroms an der Energieversorgung ist inzwischen weltweit viel geringer als der Beitrag der Erneuerbaren Energien. In den nächsten Jahrzehnten werden aus Altersgründen weit mehr Atomkraftwerke stillgelegt als neue ans Netz gehen. Daran ändert auch der aktuelle Beschluss der schwedischen Regierung nicht, die nuee Atomkraftwerke zulassen will –allerdings ohne staatliche Subventionen. Trotz vieler Ankündigungen der Regierungschefs wurde in den letzten 10 Jahren weder in den USA noch in Russland ein neues Atomkraftwerk in Betrieb genommen.
Schweden hat seinen Beschluss aus dem Jahre 1980, bis 2010 alle Atomkraftwerke stillzulegen, nie befolgt, sondern die Energieverschwendung weiter nach oben getrieben. Schwedens Energieverbrauch pro Kopf liegt heute fast 40% höher als der deutsche. Schon vor Jahren musste die Atomindustrie einräumen, dass Strom aus neuen Atomkraftwerken viel teurer ist als Strom aus neuen Wind- oder Gaskraftwerken. Der einzige in Westeuropa im Bau befindliche Atomreaktor in Finnland ist finanziell und sicherheitstechnisch ein großes Desaster: Dieser Bau hinkt trotz der Subventionierung mit Billigstkrediten auch durch die bayerische Landesbank bereits viele Jahre hinter dem Plan her und die Baufirmen (unter ihnen Siemens) streiten vor Gericht mit dem Auftraggeber um Kostenüberschreitungen in Milliardenhöhe.
Wirklich große Potetiale gibt es derzeit nur bei der Energieeffizienz: Wer die Energieverschwendung mit technischen Mitteln drosselt, kann in allen Anwendungsbereichen von Industrie, Verkehr, Gewerbe oder Haushalt Einsparungen von 50 bis 80 % erzielen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat als Umweltministerin 1997 die Auffassung des Umweltbundesamtes bestätigt: „Ein Ausbau der Kernenergie … ist … ein Haupthemmnis für die zur Erreichung des Klimaschutzziels unabdingbare Effizienzverbesserung“.
Deutschland muss also beim Atomausstieg bleiben und sich intensiver um den aktiven Klimaschutz kümmern. Die Laufzeitverlängerung für alte Atomkraftwerke wie z. B. Isar 1 in Ohu bei Landshut, das eigentlich heuer stillgelegt werden müsste, birgt unverantwortbare Sicherheitsrisiken, führt zu Strahlengefahren und erhöhten Kinderkrebsraten und vergrößert das ungelöste Atommüllproblem. Von einer Laufzeitverlängerung würden nur die Atomkonzerne mit einem Gewinn von circa 1 Million Euro pro Tag profitieren.
In Bayern: 60% Atomstrom?
Bayerns Energieversorgung hängt nicht an der Atomkraft. Es handelt sich nur um den Strom, und der macht gerade mal 18,5 % der gesamten Energieversorgung aus (Rest: Heizung, Prozesswärme, Kraftstoffe etc.). Der Beitrag des Atomstroms zur gesamten bayerischen Energieversorgung liegt also bestenfalls bei 11% (d.h. 60% von 18%). Das Entscheidende aber ist: Bayern ist Stromexportland und produziert den Atomstrom gar nicht in erster Linie für Bayern, sondern für andere Bundesländer und das Ausland. Nur 5 von 16 Bundesländern haben eigene Atomkraftwerke, liegen aber im Stromverbund und liefern z. B. Kohlestrom nach Bayern. Im Jahre 2000 führte Bayern fast die Hälfte des innerhalb seiner Grenzen erzeugten Stroms, nämlich 32.902 GWh (*) Strom aus, (ca. 69,8 % bezogen auf die damalige Atomstromproduktion von 47.144 GWh). An diesem Verhältnis dürfte sich kaum etwas verändert haben.
Selbst unter der Annahme, dass nicht vorrangig Atomstrom sondern anteilig auch Strom aus anderen Energiequellen ausgeführt wurde (im Verhältnis zur inländischen Produktion) blieben von den 47.000 GWh nur 26.000 GWh im Land, also 35% des Stroms bzw. 6,5% der Energie. Diese Zahlen unterscheiden sich nicht wesentlich von der deutschen Bilanz (Atomstromanteil Deutschland 2007: knapp 5%). Der Atomausstieg in Bayern lässt sich daher genauso gut durchführen wie in den anderen 15 Bundesländern. Die Stromeinsparung nach amtlicher Vorgabe, die bereits in Bau befindlichen Kraftwerke, das nach einer Studie des Bundeswirtschaftministeriums ausbaubare riesige Potential bei umweltfreundlichen Kraftwärmekopplungsanlagen und nicht zuletzt der Ausbau bei Wind- und Solarkraftwerken können in einem Jahrzehnt mehr als 75.000 GWh Strom liefern/ersetzen, obwohl doch nur 47.000 GWh Atomstrom zu ersetzen sind. Eine Stromlücke wird es bei einer politischen Weichenstellung für Energieeinsparung, Energieeffizienz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht geben.