BN und BIs: Mobilfunk-Wildwuchs bremsen
Die Auseinandersetzungen um Mobilfunkmasten spitzen sich zu. Obwohl mit der sog. ECOLOG-Studie, dem Appell der Bundesärztekammer und vielen anderen alarmierenden Veröffenlichungen erdrückende Beweise für die Gefährlichkeit der Mobilfunkstrahlung auf dem Tisch liegen, lässt die Bayer. Staatsregierung wie die Bundesregierung ungerührt weitere tausende von Mobilfunksendern ohne Genehmigungsverfahren installieren unterhalb der geltenden Grenzwerte.Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) hat sich in den letzten Monaten intensiv in Expertengesprächen und in einem Strategieseminar mit vielen Bayerischen Mobilfunk-Bürgerinitiativen mit der Frage befasst, wie diesem genehmigungslosen Wildwuchs Einhalt zu gebieten sei.Der BN wird die öffentliche Aufklärungsarbeit darüber verstärken, welche technischen Möglichkeiten es gibt, die Strahlenbelastung drastisch zu reduzieren. Es darf nach Ansicht des BN nicht sein, dass das Mobilfunknetz ausgebaut wird, bevor die Kenntnisse über die negativen Gesundheitsfolgen vervollständigt sind.Der BN kritisierte Bayerns Umweltminister Schnappauf, der mit seiner Formel "jeder will ein Handy, keiner die Antenne" populistisch am Problem vorbeiargumentiert. Der BN warf auch der Bundesregierung Untätigkeit vor, die zwar die 100 Mrd. DM aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen schnell vereinnahmt, aber sich nicht weiter um die Gesundheitsfolgen des Mobilfunk-Ausbauprogramms gekümmert habe. Vorsorge-Werte sind nötig, Grenzwerte sind unwirksamDie geltenden Grenzwerte der 26. Bundes-Immissionsschutz-Verordnung schützen den menschlichen Körper zwar vor einer unzulässigen Erwärmung, berücksichtigen aber nicht sog. nicht-thermische Wirkungen. Bereits weit unterhalb dieser Grenzwerte wurden Schlafstörungen, Änderungen der Hirnströme, Öffnung der Blut-Hirn-Schranke, ja sogar Hirntumore beobachtet.Der Bund Naturschutz schließt sich dem dringenden Appell britischer Wissenschaftler an, Kindern unter 16 Jahren keine Handys zu geben. Das unausgereifte Nervensystem von Kindern sei durch die Strahlung besonders gefährdet. Bei der Durchsicht von Studien kam überdies heraus, dass Handystrahlen Gedächtnisverlust, Alzheimer und Krebs verursachen könnten. Immerhin empfiehlt auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) "besonders jungen Menschen einen vorsichtigen Umgang mit der Mobilfunktechnologie."Als unverantwortlich apostrophierte der BN die Pläne der UMTS-Betreiber Filme, Video-Spiele und andere Unterhaltung mit großem Datentransfer über das Handy abzuwickeln und dabei gerade Kinder und Jugendliche als Zielgruppe anzupeilen.In diesem Zusammenhang wurde auch die Werbung kritisiert, wonach Mobilfunk noch in jede abgeschirmte Tiefgarage, in U-Bahn-Schächte, Operationssäle, Kellerräume usw. vordringen müsse. Diese extremen Wünsche werden oft fälschlicherweise als Rechtfertigung für die unverantwortlich hohen Grenzwerte genannt.Viele BN-Mitglieder haben bereits eine Resolution der Kreisgruppe München des BN unterzeichnet, in der die Genehmigungspflicht für Mobilfunkantennen gefordert wurde, um die Bayer. Bauordnung in Einklang mit den Forderungen der Europäischen Kommission zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips zu bringen.Mobilfunkmessung in der PraxisWo für Bürger in der Nähe von Mobilfunkanlagen ein Risiko beginnt, lässt sich nach dem jetzigen Wissensstand nicht hinreichend beantworten, zum einen, weil bisher keine Studien über die Langzeitwirkung der Mobilfunkstrahlung existieren. Ein weiterer wesentlicher Grund: Kenntnisse über die zur Zeit bereits vorliegende Hintergrundstrahlung durch Mobilfunkstationen in Wohngebieten gibt es kaum. Ziel eines von den BN-Kreisgruppen Fürth-Stadt und -Land in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes war es daher, einen Überblick über die von Mobilfunksendern in Wohngebieten und sensiblen Bereichen wie Schulen, Kindergärten oder Altenheimen ausgehende HF-Strahlung zu erhalten. Das Forschungsprojekt wurde vom Umweltinstitut AnBUS e.V unter der Leitung von Uwe Münzenberg durchgeführt. Helga Krause vom Bund Naturschutz Fürth arbeitete bei der Organisation und der Durchführung der Messungen mit. Gemessen wurde zunächst die Strahlung des sog. Organisationskanals der Mobilfunkantennen, der ständig mit maximaler Leistung gesendet wird - also auch wenn kein Telefonat geführt wird. Je nach Gesprächsauslastung werden bis zu drei sog. Verkehrskanäle zugeschaltet, was die Strahlungsimmission weiter erhöht.Es wurden Messungen in Gebäuden und Freifeldmessungen vorgenommen. Die Freifeldmessungen erfolgten immer in einer Höhe von 3.5 bis 4 m über Straßenniveau. Die Messungen in den Gebäuden wurden grundsätzlich in Senderrichtung in direkter Fensternähe durchgeführt.Im "Nahbereich" mit einem Umkreis von etwa 250 m um einen Mobilfunksender schwankten die Strahlungsintensitäten extrem, bis zum Faktor 100. Die Messwerte lagen zwischen 1 und 6000 µW/m2, wobei 50 Prozent der Messwerte unter 100 µW/m2 blieben. Mitunter war in 200 m Entfernung die Intensität um ein Vielfaches stärker als in 50 m Entfernung. Grund für diese Schwankungen sind die Höhe der Antennen, Leistungen der Sektorantennen, Anzahl der Organisations-/Verkehrskanäle, Neigungen bezüglich des Geländes, Reflexionen an benachbarten Gebäuden und an Straßen, Beeinflussung durch weitere Basisstationen in der Nachbarschaft, etc.. In dichtbesiedelten Innenstadtlagen sind Mobilfunkstationen im Durchschnitt nur 200 m bis 300 m voneinander entfernt. Es erwies sich als unmöglich, im Nahbereich Voraussagen über die Höhe der Immissionen zu treffen. Ohne detaillierte Messungen kann der Bürger also seine eigene Betroffenheit nicht einschätzen.Die schnurlosen Telefone nach der sog. DECT-Norm entpuppten sich als die stärksten Strahlenquellen. Ihre Strahlung wirkt sich im Wohnbereich stärker aus als die der - Mobilfunk-Basisstationen auf benachbarten Gebäuden: Die DECT-Basisstationen sind ebenso ständig in Bereitschaft und senden daher ihre gepulsten Signale permanent, Tag und Nacht, auch wenn gar nicht telefoniert wird. Auch Nachbarwohnungen sind stark belastet.Radio- und Fernsehwellen waren um Größenordnungen schwächer als Mobilfunk- und DECT-Strahlung.Berücksichtigt man, dass nach Angaben der Hersteller ein Mobilfunkhandy ab einer Strahlungsdichte von 0,005 µW/m2 einwandfrei funktionieren muss, ist ein deutlicher Spielraum für die Absenkung der Mobilfunkstrahlung erkennbar. Der gegenwärtig gültige Immissionsgrenzwert von 9.252.000 µW/m2 liegt ums Milliardenfache über diesem Funktionswert. Mobil telefonieren ist also technisch möglich bei einem Bruchteil der gegenwärtig üblichen Sendestärken. Im Sinne einer Gesunheitsvorsorgemuss dieser Spielraum genutzt werden.Forderungen:Der Bund Naturschutz fordert die Bundesregierung auf, die Genehmigungsfreiheit von Mobilfunksendern auszusetzen und das Minimierungsgebot der 26. BimSchV ernstzunehmen. Statt der viel zu hohen "Grenzwerte" müssen gutbegründete Vorsorgewerte eingeführt werden.Der Bund Naturschutz fordert Landes- und Bundesregierung auf, endlich - wie in anderen Staaten auch - die vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Grenzwertdiskussionen einzubeziehen.Der Bund Naturschutz fordert die Bayer. Staatsregierung auf, die Bauordnung zugunsten eines Mitsprache und Genehmigungsrechts für die Kommunen zu ändern.Der Bund Naturschutz fordert ein Verbot von DECT-Schnurlos-Telefonen und deren Ersatz durch weniger bedenkliche Geräte.Der Bund Naturschutz fordert die Kommunen auf, ihre Rolle zur Gesundheitsvorsorge wahrzunehmen, die Daten der Mobilfunksender zu veröffentlichen und anhand konkreter Messungen die Bürger über die Strahlungssituation vor Ort aufzuklären.Zusammenstellung wichtiger Immissionsangaben:Grenzwert 26. BImSchV für das E-Netz (1850 MHz) 9.252.000 µW/m2Grenzwert 26. BImSchV für das D-Netz (950 MHz) 4.730.000 µW/m2DECT-Telefon in 30 cm Entfernung (Ökotest) 444.000 µW/m2Bundesärztekammer u. a. Ärzteorganisationen, Forderung (Eckel 2000) 1000 µW/m²Störungen an der Zellmembran (Marinelli 1999) 200 µW/m²Optimale Funktion eines D- / E-Netz-Handys ist gewährleistet ab 0,005 µW/m2gez. Helga KrauseArbeitskreis Mobilfunk des Bundes Naturschutz, BN-Kreisgruppe Fürthgez. Dipl. Ing. Uwe MünzenbergAnBUS e.V., Baubiologe und Sachverständiger für Elektrosmoggez. Prof. Dr. Hubert WeigerLandesbeauftragter des Bundes Naturschutz in Bayern e.V.gez. Dr. Ludwig Trautmann-PoppEnergiereferent des Bundes Naturschutz in Bayern e.V.