Bund Naturschutz fordert Taten statt Versprechungen beim Klima- und Hochwasserschutz
Für den Bund Naturschutz (BN) sind die sintflutartigen Regenfälle und tragischen Hochwasserereignisse Folgen des menschengemachten Klimawandels und hausgemachter Versäumnisse im vorbeugenden Hochwasserschutz in Bayern. Sebastian Schönauer, stellvertretender BN-Vorsitzender und Wasserexperte: "Die bayerische Staatsregierung betreibt seit Jahren nicht nur eine klimaschädliche Energie- und Verkehrspolitik sondern hat auch die weitere Verbauung von Talräumen durch Straßen und Gewerbegebiete nicht gestoppt". Statt immer neuer Versprechungen während der Katastrophen seien jetzt Taten gefragt. "Wir erwarten von Ministerpräsident Edmund Stoiber und Umweltminister Werner Schnappauf, dass er sich endlich gegen die Kanalisierung der Donau mit neuen Staustufen, gegen geplante Straßenbaumaßnahmen in Flusstälern und für die Renaturierung von Flußauen als ökologisches Rückgrat der bayerischen Kulturlandschaft einsetzt", so Richard Mergner, Landesbeauftragter des Bund Naturschutz.
Schönauer: "Das menschengemachte Klimachaos lässt sich nur lindern, wenn die internationalen Abkommen zur Reduzierung der Treibhausgase weiter verschärft werden. Zu einer ökologischen Energie- und Verkehrspolitik gibt es keine Alternative. Und das heißt sparsamere Autos, mehr Bahn- und weniger Straßenverkehr, den Energieverbrauch reduzieren die erneuerbaren Energien weiter fördern und die Ökosteuer weiterführen."
Früher habe sich das Hochwasser in den weiten und flachen Auen schadlos verteilt. Diese natürlichen Überflutungsflächen wurden in der Vergangenheit ständig verkleinert. Das Verständnis für die Flussdynamik ginge den Menschen immer mehr verloren. Hauptursachen für die von Jahr zu Jahr steigende Spitze der Hochwasserabflüsse und das zunehmende Schadenspotential seien:
Zunehmende Versiegelung des Landes durch Flächenfraß
Bayern ist bundesweit Spitzenreiter beim Flächenverbrauch. Täglich werden rund 30 Hektar für Infrastruktur- und Siedlungszwecke beansprucht. Im Bundesgebiet jährlich eine Fläche von der Größe des Bodensees. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Baumaßnahmen wird in den Talauen durchgeführt und führt damit zum Verlust von Hochwasserrückhaltegebieten. Dies führt zwangsläufig zu einer Zunahme der Spitzenabflüsse und zu einer Verkürzung der Zeitdifferenz zwischen Niederschlagsbeginn und Abflussbeginn.
Flurbereinigungsmaßnahmen
Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Bayerns ist inzwischen flurbereinigt. Flurbereinigungsverfahren der letzten Jahrzehnte führten durch die Beseitigung von Kleinstrukturen, Zusammenlegung der landwirtschaftlichen Nutzflächen, Entwässerungsmaßnahmen und Grabenausbauten zu einer Abflussbeschleunigung. So gingen pro Quadratkilometer bereinigter Landschaft ca. 10.000 qm Wasserrückhalteraum verloren. Alle "Wasseraustreibungsmaßnahmen" der Vergangenheit im Oberlauf der bayerischen Flüsse beginnen sich jetzt im Unterlauf bitter zu rächen.
Kanalisierung und Begradigung der Flüsse
Seit 1945 wurden 90% der bayerischen Fließgewässer begradigt, vertieft und in Rohre gezwängt und ihrer natürlichen Dynamik beraubt; nur noch 5 % der Fließgewässerlänge bestehen im natürlichen Verlauf. Von den circa 60.000 km ehemals naturnaher Fließgewässer Bayerns (davon 50.000 km Gewässer III. Ordnung, als kleinere Bäche) seien heute nur noch 8.000 km als naturnah in der Biotopkartierung erfasst..
In Bayern wurden seit dem 19. Jahrhundert rund. 90 % der Auwälder direkt zerstört durch Rodung für Siedlung, Verkehr, Landwirtschaft oder Kiesabbau und indirekt durch Wegfall der auentypischen Wasserstandsschwankungen infolge der Flussregulierungen. Staustufenbau und die Kanalisierung der letzten Jahrzehnte haben im Bereich der Donau von Ulm bis Regensburg beispielsweise dazu geführt, dass insgesamt über 1000 Quadratkilometer Hochwasserrückhalteraum heute nicht mehr zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wurde das untere Altmühltal auf einer Länge von über 30 Kilometer voll kanalisiert und hochwasserfreigelegt. Dies führte wiederum zum Verlust von wichtigen Hochwasserrückhalteräumen.
Falsche Agrarpolitik
Durch die Verengung der Fruchtfolgen, durch die zunehmende Umwandlung von Wiesen in Ackerland auch in Talauen und den Einsatz schwererer landwirtschaftlicher Maschinen auf zu feuchten Ackerflächen hat die Bodenverdichtung inzwischen zugenommen. Die Böden als Wasserspeicher haben daher immer geringere Kapazitäten, so dass der Oberflächenabfluss immer größer wird. Die Hochwasserschäden der letzten Tage sind deshalb auch eine unmittelbare Folge einer seit Jahrzehnten falschen Agrarpolitik mit ihren umweltschädlichen Intensivierungszwängen.
Bund Naturschutz fordert vorbeugender Hochwasserschutz
Neue Konzepte zur Renaturierung unserer Auen sind nach Ansicht des Bund Naturschutz dringend erforderlich. Hochwasser gehören zur natürlichen Flussdynamik und lassen sich nicht grundsätzlich verhindern, doch ihr Gefahrenpotential, ihr Ausmaß und die wirtschaftlichen Schäden lassen sich durch konsequente Vorsorge verringern. Den Flüssen müssen ihre eigene Dynamik und die Auen als natürliche Überflutungsflächen zugestanden und wo möglich zurückgegeben werden. Dies gilt auch für die an den kleineren Zuläufen noch vor wenigen Jahrzehnten überall vorhandenen Überschwemmungsflächen. Eine Wende in der Flusspolitik ist gefordert, die weitere Kanalisierung der Donau und des Mains müssen eingestellt werden. Überschwemmungsflächen sind zu sichern, wiederherzustellen und jeglicher Ausbau von Fließgewässern ist zu stoppen. Das bedeutet:
- Keine weiteren Investitionen in die Zerstörung unserer Flüsse und ihrer Wasserrückhalteräume durch Staustufenbau
- Umsetzung eines Programms für die naturnahe Wiederherstellung der Talauen Bayerns mit einer Rückverlegung von Dämmen und Deichen. Bäche und Flüsse sind zusammen mit den sie umrahmenden Auen das ökologische Rückgrat der bayerischen Kulturlandschaft
- Keine weitere Umwandlung von Wiesen in Ackerflächen in den Überschwemmungsgebieten der Flüsse, stattdessen Umwidmung vorhandener Ackerflächen in Wiesenflächen.
- Keine Bereitstellung weiterer Flächen für Straßen, Gewerbegebiete oder Kiesabbau in Talräumen und Überschwemmungsbereichen.
- Das Bauen in hochwassergefährdeten Bereichen muss generell verboten werden.
- Wiedergutmachungsaktionen am Naturhaushalt durch Rückbau von Gewässerausbauten, eine Entsiegelung von geteerten Flächen und Förderung der privaten Regenwassernutzung und Versickerung
Für Rückfragen:
Richard Mergner
Landesbeauftragter
Tel.: 0911-8187825
Der Bund Naturschutz stellt Ihnen zu Sendezwecken gerne einen aktuellen Film über Fluss-Auen in Bayern zur Verfügung. Der 29 minütige Film "Fluss-Auen in Bayern - Eine Chance für das Rückgrat der Artenvielfalt" von Manfred Drobny, Christine Margraf und Wolfgang Willner aus dem Jahr 2002 zeigt die Schönheit und die ökologischen Zusammenhänge von Fluss und Aue, Flora und Fauna. Er weist den Weg zu Lösungen und Chancen, wie Naturschutz und ökologischer Hochwasserschutz Hand in Hand gehen können.
Anlage:
Hochwassersünden - Beispiele aus dem Maineinzugsgebiet:
Gewerbegebiete:
Im gesamten fränkischen Einzugsgebiet des Mains entstehen an allen Zulaufgewässern ständig neue riesige versiegelte Flächen durch überdimensionierte, flächenfressende kommunale Gewerbeflächen. So wird in Rottendorf (Lkr. Würzburg) ein Gewerbegebiet mitten in das Überschwemmungsgebiet zweier Bäche gebaut, weswegen nun der betroffene Landleitenbach und Reißbach entgegen den Warnungen des BN ausgebaut werden, was neben der Versiegelung durch das Gewerbegebiet wieder zu einer Abflußerhöhung führt. Es ist die Summe all dieser kommunalen Hochwassersünden, die jedes Jahr die Hochwassersituation am Main und den Unterläufen verschärft!
Immer größere Gewerbegebiete wuchern zudem direkt in die Flußauen des Mains. So am westlichen Stadtrand von Kulmbach, bei Burgkunstadt (Lkr. Lichtenfels; neues Gewerbegebiet "In der Au") oder beim neuen Gewerbegebiet mit Papierfabrik zwischen Eltmann und Ebelsbach, wo vor zwei Jahren der Hochwasserdamm extra verlängert und erhöht wurde, um mitten im Maintal und im Hochwasserabflußgebiet das neue Industriegebiet zu errichten, das die halbe Talaue beansprucht. Damit nicht genug: es gibt Hinweise, daß ein interkommunaler Industriepark, der in Knetzgau durch ein Bürgerbegehren abgelehnt wurde, nun in der Mainaue zwischen Zeil und Augsfeld entstehen soll. In Würzburg wurden Überschwemmungsflächen des Mains an der Winterhäuser oder Mergentheimer Straße überbaut.
Verkehrsprojekte:
Mitten im Hochwasserabflußgebiet des Mains sollen z.B. die Kreisstraße Lif 13 und die B 173 in die letzten intakten Mainauen bei Michelau (Lkr. Lichtenfels) gebaut werden, die neue Autobahn A 73 in der Mainaue bei Kloster Banz oder die Talquerung der ICE-Trasse im Bereich Ebensfeld. Sie beanspruchen für den Natur- wie Hochwasserschutz unersetzbare Auenflächen und engen durch ihre Dämme den Hochwasserabfluß massiv ein.
Mainausbau:
Nach dem Willen des Bundesverkehrsministeriums soll der Main bis zum Anschluß an den RMD-Kanal auf bis zu 3,10 m vertieft werden und eine von 36 auf 40 Meter verbreiterte Fahrrinne erhalten. Der Main ist aber seit den ersten "Mainkorrektionen" 1820 bereits mehrfach und bis an die Belastungsgrenze ausgebaut. Weitere Ausbaumaßnahmen und Begradigungen - noch dazu ohne umfassende Umweltrisikoabschätzung - führen selbst nach Aussagen der Wasser- und Schiffahrtsdirektion Süd zu Abflußbeschleunigungen. Statt eines 1,3 Milliarden DM Steuergelder verschlingenden Ausbau des Mains zur "Wasserautobahn" fordert der BN 300 Millionen Mark für die ökologische Revitalisierung des Mains inklusive der Schaffung neuer Rückhalteräume.
Ein einziges positives Beispiel: während überall am Main Auen verloren gehen, gibt es am gesamten Mainlauf derzeit nur eine Maßnahme, wo dem Fluß wieder Raum gegeben wird. Am Obermain bei Zapfendorf im Landkreis Bamberg hat das Wasserwirtschaftsamt Bamberg im Rahmen eines Modellprojektes gezielt den Main aufgeweitet, Uferbefestigungen zurückgenommen und will den Flußlauf durch Anbindung alter Flußschleifen verlängern.
Die Summe der negativen Eingriffe führt dazu, daß Hochwasser immer schneller und höher auflaufen. Jetzt tritt im Schnitt alle drei Jahre ein "Jahrhunderthochwasser" auf.
Anhang : Renaturierung - eklatanter Widerspruch zwischen Wort und Tat
Für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung naturnaher Flüsse bestehen eine Fülle von positiven Zielaussagen von politischen Instanzen und entsprechende Zielaussagen in Arten- und Biotopschutzprogrammen, Fachplanungen der Naturschutzbehörden, Gesetzen etc.
z.B.:
Landesentwicklungsprogramm Bayern (Bayer. Staatsregierung 25.1.94):"Naturnahe Gewässer einschließlich ihrer Uferbereiche sollen von beeinträchtigenden Nutzungen freigehalten werden. ... Fließgewässer, die für Naturräume repräsentativ und in großen Teilen noch naturnah erhalten sind, sollen, soweit möglich und vertretbar, auch über diese Bereiche hinaus zu naturnahen Fließgewässersystemen weiterentwickelt werden. Naturnahe Fließstrecken sollen in ihren Biotopfunktionen möglichst erhalten und einschließlich ihrer angrenzenden ökologisch wertvollen Auenbereiche zu möglichst naturnahen Landschaftsräumen weiterentwickelt werden.
Presseerklärung des BayStMLU (27.8.97):"... Flüsse und ihre Auen stehen in engster Wechselwirkung zueinander. Ziel ist es deshalb, die natürliche Bewegungsfreiheit der Flüsse und Bäche zu erhalten und dort, wo sie eingeschränkt ist, möglichst wieder zurückzugeben."
Beschluß des Bayerischen Landtags (27.4.95):"Programm für die Auensanierung in Bayern: Die Staatsregierung wird aufgefordert, umgehend ein Untersuchungsprogramm für eine Auensanierung in Bayern vorzulegen, das auch Möglichkeiten, Abflußmengen und -geschwindigkeiten von Hochwässern zu reduzieren, vorsieht. Es sollten insbesondere ... folgende Lösungsmöglichkeiten untersucht werden: Reduktion des Fließgeschwindigkeit durch Renaturierung von Fließgewässern mit Aufweitung des Gerinnes und der Möglichkeit zur natürlichen Gerinneverlegung; Wiederbestockung von Auwaldflächen in noch oder wieder regelmäßig überfluteten Retentionsräumen der Flüsse und Bäche; kritische Überprüfung geplanter Staustufen bzw. Verzicht auf den Bau weiterer Staustufen ... Minderung der Abflußgeschwindigkeit auf landwirtschaftlichen Flächen und in Siedlungsräumen."
(Zur "Umsetzung" dieses Beschlusses läuft bislang laut Bericht BayStMLU vom 29.01.98 lediglich eine beispielhafte Überprüfung für das Einzugsgebiet der Ilm, Lkr. Pfaffenhofen, durch ein vom Bezirk Oberbayern beauftragtes Ingenieurbüro, wo dort entsprechende Rückhalteräume bestehen bzw. wieder aktiviert werden können. Abschluß bis Mitte 1999. Gutachterkosten: gerade 495.000 DM)
BayStMLU: Broschüre: Wasserwirtschaft in Bayern: Flüsse, Auen, Täler erhalten und entwickeln (1997):"Durchgängigkeit: Fließgewässer und ihre Auebereiche sind lineare Biotope, deren Lebensgemeinschaften in besonderer Weise von der Durchgängigkeit abhängig sind ... Auf den Erhalt der von Natur aus bestehenden Durchgängigkeit dieser Lebensräume ist deshalb zu achten - auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Vernetzung mit anderen Biotopen in der Landschaft. Dort wo die Durchgängigkeit durch Einbauten unterbrochen ist, z.B. durch Querbauwerke, ist sie wiederherzustellen, z.B. mittels Umgehungsgerinne.""Dynamik: ... Deshalb sollte grundsätzlich versucht werden, die natürlichen räumlichen und zeitlichen Veränderungen möglichst zu fördern. ...""Einheit: ... Die weitreichende Verzahnung der Fließgewässer mit ihrer Aue ist zu erhalten bzw. wieder herzustellen."
Neues Bayerisches Naturschutzgesetz am 23.6.98 vom Landtag verabschiedet und seit 1.9.98 gültig; enthält im ersten Artikel "Ziele und Grundsätze des Naturschutzes und der Landschaftspflege" zwei neue Grundsätze:
Art. 1 (2) Nr. 8: "Auwälder sind zu schützen, zu erhalten, und soweit erforderlich, wiederherzustellen.
Art. 1 (2) Nr. 9: "Die natürliche oder naturnahe Bodenvegetation in Talauen ist zu erhalten, zu entwickeln, und soweit erforderlich, wiederherzustellen."