Dramatischer Artenschwund gefährdet auch Allerweltsarten
Die Artenvielfalt in Bayern geht in erschreckender Dramatik rasant bergab. Diese Warnung des BN wurde vom Landesamt für Umweltschutz bestätigt. Am vergangenen Freitag stellte das Bayerische Landesamt für Umweltschutz (LfU) auf einer Fachtagung in Augsburg nach zwölf Jahren die erste umfassende landesweite Fortschreibung der "Roten Listen" vor. Das Ergebnis ist schlimmer als es selbst die Fachleute des BN befürchtet hatten. Dem Verzeichnis der in Bayern gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Tiere und Pflanzen mussten zahlreiche neue Arten hinzugefügt werden. Selbst noch vor Jahren häufige "Allerweltsarten" der offenen Agrarlandschaft wie Feldlerche, Grasfrosch oder Goldammer stehen nun auf der Roten Liste!
Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BN: "Das Artensterben findet damit vor unserer Haustüre und nicht nur im tropischen Regenwald statt! Artenvielfalt ist ein Stück Lebensqualität, die Arten sichern auch unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Wenn weiter auf gesetzlich vorgeschriebene Schutzgebiete verzichtet wird, die staatlichen Naturschutzmittel gestrichen werden und auch noch die Gentechnik mit Totalherbiziden auf den Äckern Einzug hält, dann drohen biologische Wüsten in Bayern."
Als zentrale Gründe wurden vom LfU benannt die anhaltende Intensivierung auf landwirtschaftlichen Nutzflächen und der galoppierende Flächenverbrauch für Straßen, Siedlung und Gewerbe. Und ebenso deutlich wurde auf der Tagung als entscheidende Gegenmaßnahme gefordert, die Kürzung der staatlichen Naturschutzförderprogramme zurückzunehmen und das europäische Schutzgebietssystem "Natura 2000" mit FFH- und Vogelschutzgebieten umfassend und rasch zu realisieren, um den Artenschwund zu stoppen!
59 Artengruppen, von Pflanzen, Amphibien, Vogelarten bis zu Fischarten hatte das LfU landesweit analysiert und bewertet. Im Schnitt stehen 40-50% aller vorkommenden Tier- und Pflanzenarten Bayerns mittlerweile auf der Roten Liste. Im Unterschied zu den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nehmen heute nicht nur spezialisierte Arten z.B. der Moore oder Magerrasen ab, sondern auch die ehemals verbreiteten, häufigeren Arten in der normalen Landschaft. Insbesondere in den offenen Agrarlandschaften findet ein breiter Rückzug von Arten statt. Die Feldlerche als früherer "Allerweltsvogel" der Äcker steht ebenso auf der Roten Liste wie der vormals an jedem Graben vorkommende Grasfrosch. Statt bunt blühender, artenreicher Blumenwiesen dominieren inzwischen artenarme Monokulturen. Ebenso wie Arten stehen aber auch klein- und mittelbäuerliche landwirtschaftliche Betriebe gleichsam auf einer Roten Liste der Berufe - die Ursachen einer Agrarpolitik nach dem Motto "Wachse oder Weiche" sind die gleichen. Vor diesem schleichenden Verlust und Artenzusammenbruch in der Agrarlandschaft warnte der BN seit Jahrzehnten. Nun ist er landesweit fachlich bestätigt und dokumentiert.
Der Patient Natur ist nach wie vor schwer krank, liegt im Koma und die Staatsregierung rettet nicht, sondern verschlimmert den Zustand auch noch:
Das für Anlage neuer Biotope, Biotoperhalt und Biotopverbund zentrale "Landschaftspflegeprogramm" wird um über 50% in 2004 gekürzt. Kaum ein zweites staatliches Förderprogramm wurde so beschnitten.
Die überfällige Ausweisung von FFH- und Vogelschutzgebieten wird durch Kabinettsentscheidung von vergangenem Mittwoch um weitere zwei Monate verschleppt. Der politische Wille zur Ausweisung der für die Artenvielfalt entscheidenden Gebiete ist minimal.
Die Staatsregierung unterstützt die Einführung der Gentechnik auf Bayerns Äckern, die den Einsatz von Totalherbiziden auf zwei Drittel der landwirtschaftlichen Nutzflächen zur Folge hat. Dies beseitigt die Artenfülle der offenen Agrarlandschaft endgültig, da alle derzeit neu gefährdeten Tierarten der Feldflur wie Feldhase, Rebhuhn, Goldammer oder Feldlerche von der Pflanzenvielfalt der Äcker abhängen.
Reduzierung der Biologie und Umweltbildung im Lehrplan der bayerischen Schulen und an den Universitäten. Inhalte über heimische Arten und Ökologie werden gestrichen; es findet ein Ausverkauf von jeglichem Naturwissen statt.
Die "Forstreform" mit der Auflösung der Forstämter vernichtet alle Ansätze und ersten Fortschritte des naturnahen Waldbaus im Staatswald, der für die Artenvielfalt im Wald zentrale Funktionen hat.
Alle umweltpolitischen Entscheidungen und Vorgaben der Staatsregierung waren seit der Landtagswahl Entscheidungen gegen die Natur.
Die Auswertung der Artenveränderung durch das LfU hat aber auch sehr klar ergeben, dass lokal gezielte Schutzmaßnahmen wie Schutz vor Bejagung, Objektschutz, Ankauf, Pflege und Neuschaffung von Biotopen eindeutig zu positiven Bestandsentwicklungen führen, ob bei seltenen Orchideenarten wie dem Breitblättrigen Knabenkraut, Fledermäusen oder dem Weißstorch. Dies geschah im Rahmen von Modellprojekten, Artenhilfsprogrammen, durch die Tätigkeit von Landschaftspflegeverbänden und mitwirkenden Landwirten und v.a. durch den ehrenamtlichen Einsatz der Naturschutzverbände. Leider reichte in den letzten Jahren der Umfang dieser hoffnungsvollen Maßnahmen noch nicht aus, um landesweit eine Trendwende zu erreichen. Die Mittelkürzungen der Staatsregierung führen nun auch zum Zusammenbrechen dieser einzigen Erfolge des bayerischen Naturschutzes! Zahlreiche Rote Liste Arten der höchsten Gefährdungsstufe 1 ("vom Aussterben bedroht") werden diese Politik nicht überleben, wie das Auerhuhn, die Flußperlmuschel oder das Bayerische Federgras.
Die "Rote Liste" ist der entscheidende Maßstab für die Artenvielfalt und damit auch für ein Stück Lebensqualität in Bayern. Notwendig ist eine Agrarreform, die ökologische Leistungen der Landwirte honoriert und endlich die Subventionierung von Umweltbelastungen wie z.B. intensiver Maisanbau in Talauen stoppt und der Gentechnik eine klare Absage erteilt. Überlebensnotwendig für die Arten ist eine Rücknahme der Mittelkürzungen im Naturschutz, eine Ausweisung von Natura 2000-Gebieten auf 20% der Landesfläche wie z.B. im benachbarten Hessen, der Stopp von Flurbereinigungsverfahren in reich strukturierten Kulturlandschaften wie z.B. der Fränkischen Schweiz und ein Ende mit dem Flächenverbrauch auf der grünen Wiese.