Ein zukunftsfähiges Bayern geht vor "Bürokratieabbau" und "Rückzug auf Pflichtaufgaben"
Für die Erhaltung der Lebens- und Umweltqualität in einem zukunftsfähigen Bayern ist der Ausbau einer "grünen Infrastruktur" und die Erhaltung einer dem Gemeinwohl verpflichtenden Verwaltung unabdingbar. Mit größter Sorge sieht der Bund Naturschutz daher jüngste Bestrebungen, die mit der Begründung einer auch vom Bund Naturschutz für notwendig erachteten Konsolidierung der Staatsfinanzen unter den Schlagworten "Bürokratieabbau" und "Rückzug des Staates auf Pflichtaufgaben", den Abbau bewährter Strukturen im Bereich des vorsorgenden Natur- und Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes und einer nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft zum Ziel haben. In seiner Regierungserklärung im Oktober 1998 hatte Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber dem Schutz von Natur und Landschaft und einer nachhaltigen Entwicklung zum dauerhaften Schutz der Lebensgrundlagen mit dem Ziel einer ökologischen Wohlstandsgesellschaft einen hohen Stellenwert eingeräumt.
Der Bund Naturschutz erkennt an, dass in vielen Bereichen sei es beim Aufbau eines Biotopverbundsystems, der Förderung des ökologischen Landbaus oder einer Stärkung der naturnahen Waldwirtschaft in der Vergangenheit Fortschritte erzielt wurden. Der Bund Naturschutz sieht ebenso die Notwendigkeit, bürgerschaftliches Engagement zu aktivieren, da der Staat diese ehrenamtlichen Leistungen in vielen Bereichen nicht erbringen könnte. In seiner 90jährigen Geschichte war der Bund Naturschutz immer dem Gemeinwohl verpflichtet und ist auch bereit, in Zukunft als Teil der Bürgergesellschaft mit hunderttausenden ehrenamtlich geleisteter Stunden zur Erfüllung des Verfassungsauftrages zum Schutz von Natur und Umwelt beizutragen.
Auch in der nächsten Legislaturperiode müssen die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung und eines vorsorgenden Klima- und Hochwasserschutzes zur Sicherung des Umweltstandortes Bayern vorangebracht und in der Regierungserklärung hierzu die Weichen gestellt werden.
Für sieben Kernbereiche sieht der Bund Naturschutz in den kommenden fünf Jahren dringenden Handlungsbedarf:
Kein Abbau sondern Stärkung der das Gemeinwohl schützenden Verwaltung
Ziel einer Verwaltungsreform und Haushaltskonsolidierung darf nicht der radikale Abbau sondern muss die Stärkung der Gemeinwohl schützenden Verwaltung sein. Mit der Herauslösung der Landes- und Regionalplanung aus der Verantwortung des Umwelt- und Verbraucherschutzministeriums wurde leider schon eine negative Weichenstellung vorgenommen. Umweltskandale bis in die jüngste Vergangenheit, deren Kosten die Allgemeinheit tragen musste, haben die Notwendigkeit einer starken und effizienten Fachverwaltung in den Bereichen des Natur- und Umweltschutzes, des Verbraucherschutzes sowie der Forst- und Wasserwirtschaftsverwaltung deutlich gemacht.
Zur Erhaltung der Umwelt- und Lebensqualität in Bayern haben diese Verwaltungen maßgeblich beigetragen. Der Bund Naturschutz lehnt daher eine Zerschlagung z.B. der ortsnahen Forstämter oder der Wasserwirtschaftsämter ab und drängt auf die Stärkung der dezentralen Überwachungs- und Beratungsfunktion als Pflichtaufgaben des Freistaates. Einsparungen in diesen, das Allgemeinwohl sichernden Verwaltungen gehen häufig zu Lasten kommender Generationen und widersprechen dem Grundsatz der Generationengerechtigkeit. Wir dürfen unseren Kindern weder ökonomische Hypotheken, wie Sie zu Recht immer wieder feststellen, noch ökologische Hypotheken hinterlassen.
So ist es beispielsweise im Bereich der Waldwirtschaft vorrangig notwendig, die durch den Klimawandel vom Absterben bedrohten Fichtenwälder in stabile Mischwälder umzubauen. Dazu braucht es funktionsfähige Forstämter, welche den Staatswald vorbildlich als Bürgerwald bewirtschaften und die Privatwaldbesitzer kompetent beraten. Einsparungen an dieser Stelle würden zu Millionenschäden in kommenden Jahren führen, die nicht zuletzt auch die öffentlichen Haushalte belasten.
Auch im Bereich der Wasserwirtschaft rächt sich die Missachtung fachlicher Positionen durch Genehmigungserleichterungen beispielsweise im Bereich der Bebauung von Talauen oder der zunehmenden Versiegelung von Böden. Auch dadurch entstanden erhebliche Belastungen für die öffentlichen Haushalte. Der Abbau von Kontrollbehörden im Bereich des technischen Umweltschutzes begünstigt kriminelle Handlungen wie die Abfallskandale von Neuendettelsau bis hin zum Altlastenfall in Roßstadt, Landkreis Bamberg, eindeutig belegen. Auch hierdurch sind dem Staatshaushalt Schäden in Millionenhöhe entstanden.
Kosten sparen durch Förderung dezentraler Technologien
Der Bund Naturschutz sieht auch das Erfordernis der Haushaltskonsolidierung. Um diese Ziel zu erreichen ist es notwendiger denn je, statt zentraler Ver- und Entsorgungsstrukturen und staatlicher Infrastrukturgroßprojekte angepasste, dezentrale Technologien und kleinräumige Infrastrukturmaßnahmen mit Vorrang des Bestandserhaltes zu finanzieren. Im Verkehrsbereich werden von Seiten des Bund Naturschutz seit Jahren Milliarden sparende Alternativen zu Großprojekten sei es im Straßenbau, im Bereich der Streckenführung von ICE-Hochgeschwindigkeitstrassen oder der Transrapidverbindung zwischen München Hauptbahnhof und Flughafen vorgeschlagen. Auch im Bereich der Wasserwirtschaft sollten vorrangig die Erhaltung und Qualitätsverbesserung kommunaler Trinkwassergewinnungsanlagen statt zentraler Fernwasserversorgungskonzepte gefördert werden. Ähnliches gilt im Bereich der Abwasserwirtschaft sowie der Energieversorgung.
Heimat erhalten - Flächenverbrauch und Zersiedelung vermeiden
Bayern muss seinen Spitzenplatz beim Flächenverbrauch verlieren. Ziel einer deutlichen Umkehr bei der Wohngebietsausweisung und der Gewerbeflächenpolitik muss sein, dass ab 2010 keine neuen Flächen bebaut werden oder in dem Maß des Neubaus an anderer Stelle versiegelte Flächen renaturiert werden. Dies erfordert Vorrang für Flächenrecycling, Nachverdichtung und Umnutzung, Maßnahmen gegen die kommunale Konkurrenz bei Gewerbegebietsausweisungen und ein Ende des Straßenneubaus. Das Landesentwicklungsprogramm muss in der Zielsetzung und den Maßnahmenvorschlägen den Flächenverbrauch mit Zielvorgaben begrenzen und Verpflichtungen zu Flächenrecycling, Umnutzung und Nachverdichtung als Vorgaben für die Regionalplanung aufnehmen. Die Festlegung von Vorranggebieten für Siedlungsentwicklung sowie neuen Straßenbauprojekten und Flughafenplanungen ist zu streichen.
Klima- und Hochwasserschutz massiv verbessern " den Flüssen wieder naturnahe Auen geben
Bayern muss Vorreiter einer konsequenten Klimaschutzpolitik werden. Die maßlose Energieverschwendung muss gestoppt werden. Dies kann in erster Linie durch eine effiziente Wärmedämmung erreicht werden, wie dies auch durch die Ergebnisse der Enquete-Kommission des bayerischen Landtages dokumentiert wird. Darüber hinaus ist die Förderung und Markteinführung der Effizienztechnik und der Erneuerbaren Energien erheblich zu verstärken. Wenn Bayern die internationale Verpflichtungen zum Klimaschutz einhalten will, gilt es auch in der Regierungserklärung ehrgeizige und quantifizierte Ziele zu setzen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Die Subventionierung aller nichtregenerativen Energien und der Wasserkraft muss aus ökologischen und ökonomischen Gründen eingestellt werden. Dazu gehören eine bayerische Förderung der Solarenergie, die Förderung von Nah- und Fernwärmenetzen, die Vorbildfunktion öffentlicher Gebäude für Einspartechnik und Solartechnik.
Die Klimaveränderung hat in Verbindung mit falscher Nutzung der Aue und Kanalisierung der Fließgewässer zu einer Verschärfung der Hochwassergefahr geführt. Die Flussauen und Talräume müssen wieder ihre Funktion als natürliche Hochwasserspeicher erhalten. Bei den Investitionen zum Hochwasserschutz muss der ökologische Hochwasserschutz mit einer Reaktivierung von natürlichen Auen durch eine Rückverlegung von Deichen endlich den Vorrang vor technischen Polderlösungen bekommen. Für Straßen, Gewerbegebiete oder Kiesabbau in Talräumen und Überschwemmungsbereichen dürfen keine Flächen mehr zur Verfügung gestellt werden. Das Bauen in Hochwasser gefährdeten Bereichen muss generell verboten werden.
Das bayerische "Netz des Lebens" zum landesweiten Biotopverbund aufbauen
Das bayerische und auch das neue Bundes-Naturschutzgesetz fordern den Aufbau eines landesweiten Biotopverbundsystems, um die Verinselung von Lebensräumen und den Rückgang von Arten aufzuhalten. Mit der Vorstellung des 300. ABSP-Projektes im September hatte Ministerpräsident Stoiber die zentrale Bedeutung einer "grünen Infrastruktur für Bayern" bekräftigt. Auf diesem Grundstock sollte weiter aufgebaut werden. Dafür müssen die Naturschutzmittel in Bayern wesentlich erhöht werden. Allein für die Pflege der Staatsstraßen (Bestandserhalt und Unterhalt; jährlich 168 Mio. Euro) wendet der Freistaat bislang 7xmal mehr auf als für die Pflege der wertvollsten Biotope in Bayern. Statt heute jährlich 40 Mio. Euro sind 100 Mio. Euro für den Naturschutz in Bayern durch Umschichtungen aus anderen umweltbelastenden Etats, wie dem Straßenbau, erforderlich.
Die Naturschönheiten Bayerns müssen zu einem europäischen Biotopverbund Natura 2000 verknüpft werden. Die europäischen Naturschutz-Richtlinien (Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie von 1992 und Vogelschutz-Richtlinie von 1979) schreiben dies vor, um europaweit den Rückgang der biologischen Vielfalt aufzuhalten. Fließgewässer und ihre Auen sind das ökologische Rückgrat unserer Landschaften und natürliche Achsen in einem Biotopverbund. Auen gehören zu den vielfältigsten, aber auch zu den gefährdetsten Lebensräumen Mittel-Europas. Die Renaturierung der bayerischen Fließgewässer und Talauen muss daher verstärkt werden: Wiederherstellung natürlicher Flussdynamik durch Rücknahme von Ufer-Verbauungen, von Querbauwerken und von Hochwasserdämmen. Ein weiterer Ausbau der Wasserkraft ist abzulehnen, die Renaturierung unserer Flüsse hat oberste Priorität, alle noch frei fließenden Fließstrecken sind zu erhalten, insbesondere die Donau zwischen Straubing und Vilshofen und die Salzach.
Mobilität durch ein attraktives Bayernnetz für Bahn und Bus fördern und Prestigeprojekte im Straßenbau, Flugverkehr sowie den Transrapid ablehnen
Mobilitätschancen für alle durch ein attraktives Angebot mit Bahn und Bus auch im ländlichen Raum sowie die Verlagerung des Güterverkehr auf die Schiene erfordern ein modernes Bayernnetz im öffentlichen Verkehr. Die Straßenbauverwaltungen sind in Verkehrsverwaltungen für eine ganzheitliche Planung im gesamten Bereich des Bahn-, Bus-, Rad- und Fußverkehrs sowie der Güterlogistik umzuwandeln. Bei der Novellierung des Bundesverkehrswegeplans und des bayerischen Staatsstraßenplans sind alle neuen Straßenprojekte zugunsten des Substanzerhaltes des bestehenden Straßennetzes und im Ausnahmefall Ortsumfahrungen nach Einzelfallprüfung zu streichen.
Die Verbesserung des Hochwasserschutzes und der Schifffahrt auf der Donau darf nur durch flussbauliche Maßnahmen ohne neue Staustufen erfolgen. Wir bitten Sie, sich auch klar gegen die neuen Vorschläge der EU-Kommission auszusprechen, die zur Erreichung einer ganzjährigen Tauchtiefe an der gesamten Donau von 2,50 Metern gewaltige Eingriffe in europäisches Naturerbe nicht nur in Bayern bedeuten würden.
Eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft fördern und den Staatswald als "Bürgerwald" vorbildlich bewirtschaften
Die bayerische Landwirtschaft hat nur eine Chance, wenn sie mit gentechnikfreier und ökologisch orientierter Qualitätsproduktion sich von der Massenproduktion abhebt. In diesem Sinne bitten wir Sie, auf die Bundes- und EU-Agrarpolitik Einfluss zu nehmen und die eigene Förderung und Beratung danach auszurichten. Verbesserungen beim bayerischen Kulturlandschaftsprogramm zu Gunsten einer kleinstrukturierten Landwirtschaft sowie eine Beratungsoffensive für die Umwandlung von Acker in Grünland in besonders sensiblen Bereichen der bayerischen Talauen gehören hierzu ebenso wie der Stopp für Gentechnik-Freisetzungsversuche an staatlichen Einrichtungen in Bayern und Förderung ökologisch ausgerichteter landwirtschaftlicher Forschung sowie eine Kampagne für gentechnikfreie Futtermittel "aus der Region " für die Region. Besondere Hilfe benötigen die bayerischen Milchbauern, welche im Grünland wirtschaften. Dazu sind zusätzliche Fördermittel aus der Modulation einzusetzen beispielsweise für Beweidungsprämien.
Eine Privatisierung des Staatswaldes und die Auflösung der Forstämter als eigenständige Verwaltungseinheiten mit hoheitlichen Funktionen wird vom Bund Naturschutz abgelehnt. Sie wäre völlig kontraproduktiv für das Ziel einer vorbildlichen an den Gemeinwohlfunktionen orientierte Bewirtschaftung des Staatswaldes und einer Beratung des Privat- und Körperschaftswaldes, die dem Naturschutz und der nachhaltigen Erzeugung von Holz als wichtigem nachwachsenden Rohstoff Priorität einräumt.