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Erweiterungspläne für Kraftwerk Staudinger

Anachronistische Fehlplanung in Zeiten des Klimawandels

09.08.2007

Die jüngste Hochwasserkatastrophe hat den letzten Skeptikern vor Augen geführt, dass die dramatischen Folgen des Klimawandels selbst die Prognosen des UN-Klimarates weit übertreffen.

Umso skandalöser ist es, dass die deutschen Stromkonzerne ausgerechnet jetzt neue Kohlekraftwerke planen, die aufgrund der schlechten Brennstoffnutzung den Klimawandel weiter anheizen werden. So wird beim geplanten Block 6 des Kraftwerks Staudinger die ungenutzte Abwärme derart groß sein, dass damit für weit mehr als eine Million Menschen die Heizung ihrer Wohnungen gesichert werden könnte.

 

Als völlig inakzeptabel bezeichnete es der Bund Naturschutz, dass bereits ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren läuft, ohne dass die zuständige Hessische Regierung das auch vom BN schon mehrfach geforderte Raumordnungsverfahren durchgeführt hat.

Nach allen Vorgaben hessischer wie bayerischer Regionalpläne ist das geplante Kraftwerk grundsätzlich nicht raumverträglich.

Das jetzige Genehmigungsverfahren hätte deshalb erst gar nicht begonnen werden dürfen.

 

 

Kraftwerkssektor traurige „Spitze“

 

Nach wie vor stehen die deutschen Stromkonzerne bei uns an der Spitze aller CO2-Emittenten: knapp 40% des CO2 wird über Kraftwerkskamine in die Luft geblasen. Nur Insidern ist bekannt, dass damit die CO2 – Emissionen der Kraftwerke über denen des Verkehrs und der Industrie zusammengenommen liegen.

 

Trotz der unübersehbaren dramatischen Auswirkungen des Klimawandels ignorieren die Stromkonzerne unverantwortlicher Weise die von Bundeskanzlerin Merkel auf deutscher wie europäischer Ebene festgeschrieben Vorgaben zum Klimaschutz: Energieeinsparung um 20%, Ausbau der Erneuerbaren Energien auf 20%.

 

Als ginge ihn der Klimawandel nichts an, hat der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) beim Klimagipfel von Bundeskanzlerin Merkel angekündigt, 22 neue Kraftwerke mit 18.000 MW Leistung zu errichten - allesamt mit fossilen Brennstoffen befeuert (Braun- und Steinkohle, Gas) und allesamt ohne Nutzung der gigantischen Abwärmemengen – d. h. ohne Kraftwärmekopplung.

 

 

Staudinger 6 – größtes Steinkohlekraftwerk Deutschlands

 

Ein herausragendes Negativbeispiel ist nach Einschätzung des Bundes Naturschutz die geplante Erweiterung des Kohlekraftwerks Staudinger in Großkrotzenburg, auf der hessischen Mainseite, nicht weit von Aschaffenburg.

Glaubt man der Betreibergesellschaft E.ON muss hier ein neuer Kraftwerksblock mit einer Nettostrom - Leistung von 1055 MW errichtet werden, da bis 2012 die Kraftwerksblöcke 1 – 3 mit insgesamt 791 MW Leistung nach über 45 Jahren Betriebszeit altersbedingt stillgelegt werden sollen.

 

Für die Menschen im bereits extrem belasteten Rhein-Main-Gebiet würde das bedeuten:

 

·      8 Mio. Tonnen Treibhausgase (statt derzeit 5 Mio. Tonnen)

·      6.000 Tonnen atemwegsreizende Schwefeldioxide (statt derzeit 1.200 Tonnen)

·      500 Tonnen krebserregende Feinstäube

 

(Angaben: E.ON März/April 2007)

 

Anachronistisch erscheint diese Planung umso mehr, als dieser neue Kraftwerksblock nicht nur mit Steinkohle, Tiermehl, Klärschlamm und Petrolkoks betrieben, sondern auch die Abwärme völlig ungenutzt in die Atmosphäre abgegeben werden soll.

 

Die Firma E.ON hat damit offensichtlich keine Skrupel, mehr als die Hälfte der vom nagelneuen Kraftwerksblock 6 erzeugten Energie ungenutzt verpuffen zu lassen, obwohl damit die Wohnungen für weit mehr als 1 Mio. Menschen beheizt werden könnten.

Die gesamte Primärleistung liegt über 2300 MW, davon entfallen auf die Abwärme knapp 1.300 MW.

 

In Zeiten des Klimawandels muss dies umso mehr verurteilt werden, als bei allen deutschen Großkraftwerken schon jetzt die ungenutzte Abwärmemenge größer ist, als zur Heizung aller Wohnungen, Büros und Fabriken in Deutschland gebraucht würde.

 

 

Raumordnungsverfahren längst überfällig

 

Der Bund Naturschutz wirft der Genehmigungsbehörde, dem Regierungspräsidium Darmstadt vor, unter Umgehung des Raumordnungsverfahrens ein sehr E.ON-freundliches Genehmigungsverfahren eingeleitet zu haben.

 

Denn anders als im Raumordnungsverfahren spielen nach dem Bundes-Immissionschutzgesetz Energieverschwendung und Klimabedrohung im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren nur eine untergeordnete Rolle.

 

Das für ein derart raumbedeutsames Kraftwerksprojekt vorgeschriebene Raumordnungsverfahren hätte sehr schnell zur Einstellung des Verfahrens geführt, weil die Planung vielen Regionalplanerischen Forderungen widerspricht.

So heißt es dort:

  • die „Aufnahmekapazität der Atmosphäre ist begrenzt,
  • bei Bedarf an überörtlicher Stromerzeugung ist Kraftwärme gekoppelten Anlagen grundsätzlich der Vorzug zu geben“ oder
  • Großkraftwerke sollen nur erweitert werden, wenn sich aus dieser Maßnahme in der Gesamtbetrachtung ökologische Vorteile ergeben.“

 

Die Zusatzbelastung mit Schadstoffen, der die Bevölkerung im bereits extrem belasteten Rhein-Main-Gebiet ausgesetzt sein wird, ist nicht zu rechtfertigen.

 

Gegen den Neubau eines Kohleblocks im Kraftwerk Staudinger spricht schließlich ebenso, dass der Standort Großkrotzenburg schon deshalb völlig ungeeignet ist, weil selbst  bei Einbau der vom BN geforderten Kraft-Wärme-Kopplung für die anfallenden 1.300 MW Abwärme lt. Berechnungen von TÜV-Nord in diesem Raum nur ein theoretisches Abnahmepotential für maximal 300 MW als Fernwärme bestünde.

 

 

Kraftwerksplanung falsch gepolt

 

Eine Energieverschwendung, wie mit dem neuen Kraftwerk geplant, ist zu Beginn des „Klimaschutzjahrhunderts“ anachronistisch und in höchstem Maße unverantwortbar.

 

Statt sich ihrer Verantwortung zu stellen und in den Klimaschutz zu investieren, haben die deutschen Stromkonzerne – anders als in vielen anderen EU-Staaten – die umweltschonende Kraftwärmekopplung in eigenen und industrieeigenen Kraftwerken während der zurückliegenden Jahrzehnte massiv zurückgedrängt.

Bei gerade noch 12% der Stromerzeugung (früher 30%) wird auch die anfallende Abwärme genutzt. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu der in Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums  im Jahr 2005 erstellten Studie „Nationales Potenzial für hoch effiziente Kraft-Wärme-Kopplung“, wonach 57% des deutschen Stroms wirtschaftlich aus Kraft-Wärme-gekoppelten Kraftwerken kommen könnte.

 

Es gibt also auf Jahrzehnte hinaus keinen vernünftigen Grund, Kraftwerke ohne Abwärmenutzung zu planen! Deutschland ist voll von geeigneten Kraftwerksstandorten, wie die Studie des Bundeswirtschaftsministers betont. Der Kohlendioxidausstoß würde dramatisch zurückgehen, wenn nur noch Kraftwerke mit Kraft-Wärmekopplung errichtet würden. Großkrotzenburg ist – so hat es E.on eingeräumt – kein Standort für eine angemessene Nutzung der Kraftwerksabwärme.

 

Im Gegenteil: die Abwärme des Kraftwerks Staudinger 6 würde den Main und die Atmosphäre aufheizen, unnütz viel Kohlendioxid würde freigesetzt, was indirekt zu einer weiteren Erwärmung des Klimas führt.

 

 

Investitionsruine Staudinger 6 ?

 

Das Branchenblatt Brennstoff-Wärme-Kraft (BWK) gibt in seinem neuesten Bericht zu bedenken, dass „angesichts fortschreitender Marktliberalisierung Investitionsentscheidungen ein beachtliches Risiko darstellen“. CO2-Zertifikatspreis und die Energiesparziele der Bundesregierung werden dem Kraftwerk, das 2012 (also zu Beginn der nächsten CO2-Zertifikatshandelsperiode) in Betrieb gehen soll, die wirtschaftliche Grundlage entziehen.

 

Die beste Alternative bietet nach Auffassung des BN die Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien. Dieser Strom hat sich in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich durchgesetzt. Seit 2000 nahm der Strom aus Erneuerbaren Energien um 35 Mrd. kWh zu (zum Vergleich: seit dem Beschluss zum „Atomausstieg“ 2000 nahm der Atomstrom um knapp 10 Mrd. kWh ab). Nach den Statistiken des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft, wird dieser Trend so weitergehen. Auch das wird der Rentabilität veralteter Kraftwerkstechnik wie bei Staudinger 6 arg zusetzen.

 

Es gibt also keinen Bedarf für fossile Kraftwerke mit dem umweltschädlichen Potenzial vom Kohleblock 6 am Standort Großkrotzenburg!

 

 

 

Was ist Kraft-Wärme-Kopplung?

 

Kraftwerke, die Strom aus Wärme (z. B. Verbrennung von Kohle oder Gas, Spaltung von Atomkernen) erzeugen, können aus physikalischen Gründen nicht 100% ihres Brennstoffs in Strom umwandeln.

Beim Steinkohlekraftwerk Staudinger 6 werden es z. B. rd. 45% sein. Also liegen 55% der Energie in der Form von Wärme vor. Am Standort Großkrotzenburg wird diese gigantische Menge an Heizenergie aber nicht genutzt.

Wenn Kraftwerke Strom und Wärme verkaufen, heißt dies: Kraft-Wärme-Kopplung, was die mit Abstand effizienteste Nutzung fossiler Brennstoffe darstellt.

 

 

 

Der Bund Naturschutz fordert, dass angesichts des immer rasanter werdenden Klimawandels:

 

·      umgehend ein umfassendes Raumordnungsverfahren für das geplante Steinkohlekraftwerk Staudinger 6 durchgeführt wird;

·      alle Genehmigungsverfahren für fossile Kraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung sofort eingestellt werden;

·      als Ersatz für alte Kraftwerke vorrangig Kraftwerke auf der Basis Erneuerbarer Energien realisiert werden sollen;

fossile Kraftwerke nur dann noch genehmigt werden dürfen, wenn ein umfassendes Konzept für eine weitreichende Nutzung der Abwärme vorliegt.

Prof. Dr. Hubert Weiger, 1. Vorsitzender

Dr. Ludwig Trautmann-Popp, Energiereferent