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Schluss mit dem Gifteinsatz auf kommunalen Grünflächen und an Autobahnen in Franken

Bund Naturschutz wendet sich gegen Einsatz von Diflubenzuron

06.04.2011

Der Bund Naturschutz (BN) kritisiert den Gifteinsatz in Frankens Kommunen gegen den Eichenprozessionsspinner. In wenigen Wochen (Mai) werden voraussichtlich wieder etliche Kommunen und auch die Autobahndirektion Nordbayern das Biozid Diflubenzuron 80% in großer Menge verspritzen. In den letzten Jahren wurde das Gift in mindestens 26 fränkischen Gemeinden und in riesiger Menge auch an den Autobahnen in der Metropolregion gespritzt. Bei einer Aktion in Herzogenaurach, wo in den letzten Jahren laut einer Antwort der Staatsregierung auf eine Landtagsanfrage von Bündnis 90/Die Grünen an mindestens 29 Stellen der Wirkstoff Diflubenzuron im Stadtgebiet versprüht worden war, verdeutlichten Vertreter des BN, dass hier Gesundheitsgefahren drohen.

"Diflubenzuron besteht aus fluorierten und chlorierten Benzolringen, die zwar nach einigen Tagen zerfallen, ihre Abbauprodukte sind aber nicht leicht biologisch abbaubar und vermutlich krebserregend. Das Umweltbundesamt schätzt das Gift als für Menschen schädlich ein. Es ist sehr giftig für Wasserorganismen und gefährdet das Trinkwasser. Als Biozid besitzt es keine eigene Zulassung, sondern wird im Rahmen von Übergangsregelungen als Altwirkstoff eingesetzt. Es führt darüber hinaus zu einer enormen Dezimierung der Biodiversität von Schmetterlingen und Insekten", so Richard Mergner, Landesbeauftragter des BN.

"Wir fordern die Gemeinden auf, dieses Jahr unter keinen Umständen mehr Diflubenzuron einzusetzen, sondern Befallsstellen mechanisch zu beseitigen. Nach einer Giftbehandlung mussten ja auch bisher die Nester abgesaugt oder abgeflämmt werden. Auch die Autobahndirektion Nordbayern darf nicht mehr Diflubenzuron verspritzen. Es ist doch unglaublich, dass hier in den letzten Jahren prophylaktisch und ohne Schutz der Autofahrer mehrere hundert Tonnen des Spritzmittels versprüht wurden. Und das auch an Parkplätzen, wo die Leute dann ihre Brotzeit essen", so Mergner.

"Eine Überprüfung der Schädlingsbekämpfung gegen den Eichenprozessionsspinner ist dringend geboten. Das Bayerische Umweltministerium und das Bayerische Sozialministerium sind gefordert, die Überwachung sicherzustellen und mit der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft "Chemikaliensicherheit" Verstöße gegen Sicherheitsauflagen zu ahnden. In Weisendorf, Lkr. Erlangen-Höchstadt wurden solche Verstöße aktenkundig, weitere Verstöße sind in fast allen Kommunen anzunehmen, die bisher Diflubenzuron einsetzten. Wir befürchten, dass wohl meist auf die vorgeschriebene Abwägung verschiedener Bekämpfungsmethoden verzichtet und gleich zur chemischen Keule gegriffen wurde sowie dass mehrtägige Absperrungen der gespritzten Bereiche unterlassen wurden", so Mergner.

Diflubenzuron führt zu Artensterben

Da die chemischen Bekämpfungsmaßnahmen keinen dauerhaften Erfolg bringen und massive ökologische Schäden zu befürchten sind, kritisiert der BN diese Gifteinsätze gegen den Eichenprozessionsspinner. "Seit Jahren wurde Diflubenzuron gespritzt, aber erst seit kurzem weiß man aus einer wissenschaftlichen Studie aus Schwabach, dass der dortige Einsatz im Stadtpark mit Diflubenzuron und Bazillus thuringiensis (k) zu einem Verlust von 3/4 der in solchen Eichenhainen üblichen Schmetterlingsarten führte, der Eichenprozessionsspinner aber z.T. profitierte, weil auch Brutvögel betroffen waren, die die Raupen fressen", so Tom Konopka, Regionalreferent des BN. Eine jährliche Begiftung von kommunalen Grünflächen und an Autobahnen lehnt der BN kategorisch wegen der ökologisch nicht absehbaren Auswirkungen auf die Umwelt und den Menschen ab.

Gifteinsatz ohne Sinn und Verstand

„Wir kritisieren massiv, dass in vielen Kommunen und entlang der Autobahnen in großen Mengen ein Gift ausgebracht, ohne dass vorher in einem objektiven und nachprüfbaren Verfahren festgestellt wurde, ob bzw. wo die Eichenprozessionsspinner überhaupt in einer problematischen Dichte vorkommen,“ kritisiert BN-Waldreferent Ralf Straußberger. „Außerdem wurden – insbesondere entlang der Autobahnen - nicht nur Eichen, sondern auch andere Baumarten mit Gift besprüht, an denen der Eichenprozessionsspinner überhaupt nicht vorkommt.“

Forderungen des Bundes Naturschutz

Der BN fordert, dass mechanische Maßnahmen bei hygienischen Problemen bevorzugt werden. Der BN kann akzeptieren, dass in Einzelfällen bei nachgewiesener hoher Befallsdichte durch den Eichenprozessionsspinner in Stadtnähe, Spielplatznähe oder bei häufig begangenen Wanderwegen gegen den Prozessionsspinner vorgegangen wird, weil dessen Haare tatsächlich allergische Reaktionen auslösen können. Dabei sollen jedoch mechanische Verfahren, wie das Absammeln, Abflammen oder Besprühen der Nester mit Wasserglas bevorzugt werden. Dies wird andernorts seit Jahren erfolgreich praktiziert.

Der BN fordert, dass kein Diflubenzuron im kommunalen Bereich und an Autobahnen eingesetzt wird. Im kommunalen Bereich dürfen ausschließlich mechanische Bekämpfungsmaßnahmen zum Tragen kommen. Die Notwendigkeit chemischer Bekämpfungsmaßnahmen muss grundsätzlich überprüft werden, wie dies nach Biozidrecht auch vorgeschrieben ist. Die verschiedenen Bekämpfungsmethoden müssen mit der Nichtbekämpfung abgewogen werden.

Außerdem fordert der BN umfassende ökologische Begleituntersuchungen zu den der Auswirkungen bisheriger Gifteinsätze. Unerlässlich für eine Entscheidung, ob überhaupt etwas gegen den Eichenprozessionsspinner unternommen werden muss, sind objektive und nachprüfbare Prognoseverfahren für kommunale Grünflächen. Wegen der gefährlichen Auswirkungen der Abbauprodukte des Diflubenzurons darf dieses Mittel keine Genehmigung mehr erhalten. Der BN fordert außerdem, dass Kommunen und Autobahndirektionen Informationsveranstaltungen dazu durchführen müssen.

für Rückfragen:
Tom Konopka, Regionalreferent für Mittel- und Oberfranken
Tel. 0911/81878-14, Fax 0911/869568, tom.konopka(at)bund-naturschutz.de

Ralf Straußberger, Waldreferent
Tel. 0911/81878-21, Fax 0911/869568, ralf.straussberger(at)bund-naturschutz.de

Hintergrundinformationen

Diflubenzuron/Dimilin

Bei Diflubenzuron 80% mit dem Wirkstoff Diflubenzuron (1-(4-Chlorphenyl)-3-(2,6-Difluorbenzoyl)-Harnstoff) handelt es sich um einen hochwirksamen Häutungshemmer, der den Chitinstoffwechsel von Insekten unterbricht. Diflubenzuron blockiert Enzyme, die normalerweise für die Chitinbildung und Aushärtung der Chitinhaut sorgen. Dadurch wird die Häutung verhindert, es kommt zum Absterben der Raupen und der Puppen. Das Gift kann schon im Eistadium tödlich wirken. Diflubenzuron ist ein Fraßgift, das über die Blattnahrung aufgenommen wird. Es tritt keine Sofortwirkung ein, die betroffenen Raupen fressen bis zur nächsten Häutung weiter. Als Dimilin 80 WG wird der Wirkstoff Diflubenzuron in Forsten nach dem Pflanzenschutzgesetz gegen den Eichenprozessionsspinner verwendet. 2010 waren mehrere 1000 Hektar in Franken betroffen.

Begründung für den Einsatz von Diflubenzuron als Biozid

Bei einer Gesundheitsgefährdung des Menschen durch die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners darf derzeit Diflubenzuron als Biozid im öffentlichen Grün eingesetzt werden. Dafür gilt noch eine auslaufende Sondergenehmigung, da es bereits vor dem Jahr 2000 eingesetzt wurde. Die Bekämpfung wird dabei i.d.R. vor dem 3. Larvenstadium durchgeführt, d.h. im Mai, da erst dann die gefährlichen Brennhaare ausgebildet werden. Die Brennhaare des Eichenprozessionsspinners können zu starken allergischen Reaktionen führen. Verantwortlich dafür ist das Protein Thaumetopoein auf den Haaren. Voraussetzung für den Diflubenzuroneinsatz sind die fachliche Untersuchung des Befalls, die Abwägung geeigneter Methoden (darunter z.B. mechanische Beseitigung) und erst im Extremfall der Einsatz des Spritzmittels. Dabei ist für 24 Stunden nach dem Einsatz ein grundsätzliches Betretungsverbot einzuhalten und danach dürfen die Flächen bis 48 Stunden nur mit ausreichender Schutzausrüstung betreten werden, d.h. es sind umfangreiche Absperrungen und Informationen der Öffentlichkeit notwendig. Zu Gewässern ist ein Abstand von 100 Metern einzuhalten. Diflubenzuron darf nicht in Gewässer gelangen, auch nicht indirekt über die Kanalisation. Üblicherweise müssen ältere Nester trotzdem mechanisch beseitigt werden, weil die Brennhaare weiterhin allergen wirken.

Verbreiteter Einsatz in Franken

Auf eine Landtagsanfrage von Bündnis 90/Die Grünen in Folge des Falles Weisendorf hat das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit im September 2010 mitgeteilt, dass in den letzten Jahren Diflubenzuron in folgenden fränkischen Kommunen eingesetzt wurde: Igensdorf, Gebsattel, Schwabach, Adelsdorf, Lauf, Bruckberg, Dietenhofen, Lichtenau, Herzogenaurach, Röttenbach, Heroldsberg, Veitsbronn, Oberasbach, Puschendorf, Bad Windsheim, Röthenbach a.d.P., Absberg, Pfofeld, Mühlhausen, Gremsdorf, Aurachtal, Großenseebach, Pleinfeld, Großlangheim, Wiesentheid, Kitzingen.

Nürnberg verzichtet auf den Einsatz des synthetischen Giftes und hat z.B. im Volkspark Dutzenteich mechanische Bekämpfungen durchgeführt.

Die Autobahndirektion Nürnberg setzt aufgrund der Biozid-Verordnung Diflubenzuron "aus hygienischen Gründen" gegen den Eichenprozessionsspinner entlang der Autobahnen ein, "um Verkehrsteilnehmer zu schützen." (NN 3.5.07). 2010 wurden allein an den Autobahnen A3, A6, A9, A73 um Nürnberg und an der A70 bei Bamberg 500.000 Liter Spritzbrühe entlang der Autobahnen "incl. Parkplätze" gesprüht. "Für Menschen gilt der Wirkstoff als unbedenklich", behauptet die Autobahndirektion Nordbayern im Mai 2010.

Gefahren durch Diflubenzuron

Laut Umweltbundesamt (Schreiben vom 23.6.2010) "wird Diflubenzuron im Rahmen der Zulassung von Biozid-Wirkstoffen gemäß Biozid-Richtlinie 98/8/EG in der Produktart 18 (Insektizide) … geprüft. Die Bewertung … ist noch nicht abgeschlossen. … Die im Bewertungsentwurf vorgeschlagene Umwelteinstufung/Kennzeichnung für den Biozidwirkstoff ist N, R50/53 (gefährlich für die Umwelt, sehr giftig für Wasserorganismen/kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben). Diflubenzuron ist nicht leicht biologisch abbaubar."

Das große Problem bei Diflubenzuron ist, dass es ein Breitbandmittel ist, d.h. es wirkt nicht nur selektiv auf den Eichenprozessionsspinner, sondern auf sämtliche Insektenarten, die sich im Larvenstadium befinden. Dies bedeutet es werden auch unschädliche, eventuell seltene und geschützte Arten wie der Heckenwollafter betroffen. Ganze Generationen vieler Klein- und Großschmetterlinge, wie der Blaue Eichenzipfelfalter, die Grüne Eicheneule, die Ockerbraune Herbsteule oder die Olivgrüne Eicheneule können betroffen sein, weil deren Raupen wegen des Gifteinsatzes absterben.

Diflubenzuron ist außerdem tödlich für Fische, Fischnährtiere und Algen. Bei Untersuchungen wurden auch Auswirkungen auf den Bruterfolg von Singvögeln festgestellt (fast vollständiger Ausfall der Zweitbruten von Kohlmeisen, da diese nicht mehr ausreichend Raupen für die Aufzucht einer zweiten Brut vorfinden). Ebenso ist ein deutlicher Rückgang bei Netzflüglern zu beobachten. In Weisendorf beeinträchtigte 2010 ein unsachgemäßer Einsatz von Diflubenzuron an einem Waldrand eine gewerbliche Heuschreckenzucht. Wegen des entstandenen Schadens ist derzeit ein zivilrechtliches Verfahren anhängig.

Die Eiche als El Dorado für Insekten wird regelmäßig begiftet

Besonders gravierend ist der Diflubenzuroneinsatz für die Biodiversität, weil die Eiche die Baumart mit dem höchsten natürlichen Insektenreichtum aller Waldbäume ist. Auf keiner anderen heimischen Baum- oder Pflanzenart leben mehr Insektenarten als auf der Eiche. Aus den bekannten Insektengruppen leben allein etwa 400 Schmetterlingsarten, mehr als 50 Bockkäferarten sowie etwa 10 Borken- und Kernkäferarten direkt bzw. indirekt an und von der Eiche. Dazu kommen noch Dutzende Arten von Zweiflüglern und Hautflüglern.

Massive Auswirkungen der Begiftung nicht langfristig untersucht

Der BN kritisiert seit langem, dass Hinweisen auf schädliche Auswirkungen nicht ausreichend nachgegangen wurde. So ist nach Kenntnis des BN, der vom Aussterben bedrohte Maivogel, dessen Raupen an Eschen leben, nach der Spritzung von 1993/94 am Hohenlandsberg bei Weigenheim ausgefallen und dauerhaft verschwunden. Andere Arten haben sich erst nach Jahren erholt. Außerdem belegen Untersuchungen von Vogelbruten in Nistkästen, dass in begifteten Waldgebieten die Zweitbruten vollständig ausgefallen und verhungert sind. Zudem sind anscheinend Flächen bereits mehrfach begiftet worden, ohne dass die Auswirkungen ausreichend untersucht wurden. All diesen Kritikpunkten hätte man in langfristigen Untersuchungen nachgehen müssen. Ebenso fehlt regelmäßig die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung durch entsprechende Fachleute (saP). Die für Natura 2000-Arten (FFH-Anhang IV-Arten und Arten der Vogelschutzrichtlinie) vorgeschriebene Verträglichkeitsprüfungen werden ebenfalls meist unterlassen.

Klimawandel mitverantwortlich für Raupenvermehrung

Die regelmäßigen Massenvermehrungen blattfressender Schmetterlingsraupen an Eichen sind eine Folge der Klimaänderung. Die CO2-Immissionen aus Industrie, Verkehr und Haushalten führen zu Temperaturerhöhungen und zu einer Abnahme der Niederschläge. Davon profitieren insbesondere die blattfressenden Insekten wie die Eichenprozessionsspinner, die warm-trockenes Klima lieben.