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Tricksen und Vertuschen auch in Bayerns Atomkraftwerken

Verfall der Sicherheitskultur dramatisch

20.07.2007

Nicht nur in den schwedischen und norddeutschen Atomkraftwerken des Vattenfall-Konzerns ist Tricksen und Vertuschen die bevorzugte Kommunikationsform, sondern auch in den Atomkraftwerken in Gundremmingen. Die Parallelen zu den mit dem Reaktor in Krümmel nahezu baugleichen Anlagen sind bestürzend.

Nach Ansicht des Bundes Naturschutz führen die Stromkonzerne derzeit den Beweis, dass eine unbeherrschbare Technik wie die Atomkraft offensichtlich nur mit Tricksen und Vertuschen vor einer skeptischen und die Atomkraft mehrheitlich ablehnenden Öffentlichkeit zu schützen ist.
Dies gilt gleichermaßen für die interne Sicherheit wie für die Verlautbarungen der Werbeabteilungen.

Zentrale Probleme des Reaktorbetriebs bis heute nicht aufgeklärt

Wenn es um die Sicherheit und die Auswirkungen des Reaktorbetriebs geht stößt man bei der Kraftwerksleitung in Gundremmingen wie bei den Genehmigungsbehörden auf eine Mauer des Schweigens.

1. Nie aufgeklärt wurde eine massive Häufung missgebildeter Kinder in den Landkreisen östlich von Gundremmingen. Deren Auftreten fiel zeitlich mit dem Betrieb des Reaktors Gundremmingen A zusammen. Die Bayer. Staatsregierung hatte eine Studie veröffentlicht, wonach es sich um tausende registrierter Fälle handelte, über den langjährigen Durchschnitt hinaus.
Die Genehmigungsbehörden hatten danach jede Nachforschung unterbunden, schließlich sogar die Erhebung in Frage gestellt. (Ähnlich erging es den Untersuchungen zum „Leukämie-Cluster“ Krümmel.)

2. Die Havarie des damals noch vergleichsweise neuen Reaktors
Gundremmingen A im Januar 1977 wurde nie öffentlich aufgeklärt, stattdessen wurde der irreparabel geschädigte Atommeiler 3 Jahre später klammheimlich „stillgelegt“.

3. Im Jahre 2001 stiegen die radioaktiven Abgaben der Gundremminger Reaktoren ums 4-fache an, ohne dass jemals eine Erklärung dafür bekannt gegeben wurde.

4. Im Mai 2007 wurde ein undichtes Brennelement entdeckt, das 11 Tage später gemeldet, aber nicht ausgetauscht wurde. Bis zum Brennelementewechsel im Juli 2007 kamen – unbemerkt? – zwei weitere undichte Brennelemente hinzu.
(Im Reaktor Brunsbüttel vertuschte der Reaktorbetreiber Ende 2001 eine Wasserstoffexplosion zwei Monate lang mit dem Verdacht auf ein defektes Ventil, bis sich die Genehmigungsbehörde Zugang verschaffte. Mittlerweile waren große Mengen Radioaktivität aus dem geborstenen Rohr in den Reaktor geflossen.)

Trotz all dieser ungeklärten Vorfälle erhielten die Reaktorbetreiber die soforti-ge Genehmigung für den Bau eines riesigen Atommüllzwischenlagers mit ungewisser Zukunft.
Die Parallelen von Gundremmingen und Krümmel sind frappierend. Gundremmingen hat lediglich das Glück gehabt, dass keiner der Störfälle außerhalb des Reaktors so gut sichtbar war wie der Transformatorbrand in
Krümmel.

Den Atomkonsens verstanden die Atomkonzerne als Freibrief

Mit dem „Atomkonsens“ gestand die damalige Bundesregierung im Jahre 2000 den Stromkonzernen weitgehende Freiheiten zu:

  • Atommüllzwischenlager wurden als 40 Jahre dauernde „Entsorgung“ akzeptiert
  •  Atomkonzerne können steuerfrei über die Rücklagen zur Entsorgung (ca. 35 Mrd. €) verfügen
  •  die Haftung für große Reaktorunfälle übernimmt der Staat.


Im Vereinbarungstext heißt es wörtlich: „der ungestörte Betrieb wird gewährleistet“. Dies erklärt auch, warum ein Zwang zur Nachrüstung der Sicherheit nach den Anschlägen des 11. September ausblieb.

Die Folge: Die Atomkonzerne fühlen sich so mächtig, dass sie Störfälle für sich behalten, die Vernehmung ihrer Mitarbeiter verweigern, gegen die Veröffentlichung der amtlichen Mängellisten klagen.

Größte Gefahr: Menschliches Versagen und Verkettung von Stromkonzern und Kontrollbehörde

Wie die Vorgänge um das AKW Krümmel zeigen, ist das Hauptproblem beim Betrieb von Atomreaktoren das menschliche Versagen.
Die amtliche Risikostudie der Bundesregierung (1989), die deutschen Atomkraftwerken höchste Unfallrisiken bescheinigt, bewertet nur das technische, nicht aber das menschliche Versagen. Fast alle bisherigen Reaktorkatastrophen in Windscale, Harrisburg, Tschernobyl, Biblis, Forsmark, Krümmel usw. gingen wesentlich auf menschliches Versagen zurück.

Hinzu kommt als neues Risiko der „Verfall der Sicherheitskultur“, wie ihn Vattenfall selbst eingesteht.

Atomkraftwerke werden von offensichtlich unkritischen Bediensteten im Blindflug betrieben, die Sicherheitsstandards liegen weit unter denen anderer Wirtschaftsbetriebe.

  •  Anweisungen werden falsch übermittelt und nicht überprüft.
  •  Ein Ölbrand ist stundenlang nicht zu löschen.
  •  Der Reaktorleitstand ist nicht abgedichtet.
  • 25 Mitarbeiter, z. T. mit Gasmasken, stehen ratlos im Leitstand herum.
  •  Beim Herunterfahren des Reaktors gehen die Betriebsdaten verloren.


Die tatsächlich von Atomkraftwerken ausgehende Gefahr ist also noch wesentlich größer als die amtliche Risikostudie einräumt.

Verfall der staatlichen Kontrollkultur

Bruno Thomauske, der unter Minister Gabriels Amtsvorgänger Trittin im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz ab 2001 die Verhandlungen über atomare Zwischenlager leitete und mit großem Wohlwollen die Lager genehmigte, wechselte nahtlos in eine Spitzenposition des Stromkonzerns Vattenfall. Jetzt ist er auch dort als zu risikofreundlich entlassen worden.

Staatliche Kontrolle wird unglaubwürdig, wenn leitende Kontroll-Beamte in die Atomindustrie wechseln. Bruno Thomauske ist dabei nur ein Fall unter mehreren. Es darf nicht sein, dass Beamte der Kontrollbehörden wegen ihres atomfreundlichen Gebarens zum Stromkonzern wechseln, den sie bisher kontrollieren sollten. Auch die Atomkontrollbehörden benötigen eine neue Sicherheitskultur.

Atomkraft zu riskant

Die unter Umweltminister Töpfer 1989 veröffentlichte Risikostudie Kernkraftwerke bescheinigt deutschen Reaktoren, dass technisches Versagen zu hunderttausenden von Toten führen kann.
Das Bundeswirtschaftsministerium errechnete auf der Basis dieser Risikostudie 1992, dass Unfallfolgen von mehr als 5000 Mrd. € ungedeckt sind und dem Staat und der Allgemeinheit aufgebürdet werden.
Darüber hinaus belegen Vergleiche der Internationalen Atomenergieorganisation IAEA, dass Katastrophen in deutschen Reaktoren viel dramatischer ablaufen als in denen anderer westlicher Länder.

Sofortige Stillegung aller Atomanlagen

Das nach Krümmel und Brunsbüttel lädierte Ansehen der Atomlobby und die zutage getretene Unfähigkeit, mit einer so gefährlichen Technik umzugehen muss zur sofortigen Schließung dieser Reaktoren führen.

Wer in seinen Werbekampagnen so wenig Gebrauch von zutreffenden und nachprüfbaren Fakten macht, zeigt auch beim Reaktorbetrieb keine Verlässlichkeit.

Nur abgeschaltete Atomkraftwerke sind sichere Atomkraftwerke.

Der Bund Naturschutz fordert:

  • Stillegung aller Atomkraftwerke vor der nächsten Reaktorkatastrophe, also sofort.
  • Erhöhte staatliche Aufsicht aller noch laufenden Reaktoren.
  • Veröffentlichung aller Mängellisten noch laufender Atomkraftwerke
  •  Verbot des Wechsels verantwortlicher Beamter einer Aufsichtsbehörde zu einem Stromkonzern



gez. Prof. Dr. Hubert Weiger, Landesvorsitzender des Bundes Naturschutz in Bayern e.V.

gez. Richard Mergner, Landesbeauftragter des Bundes Naturschutz

gez. Dr. Ludwig Trautmann-Popp, Energiereferent des Bundes Naturschutz

 

Bei Rückfragen:

Landesbeauftragter Richard Mergner

Tel. 0171 / 6394 370/ Tel. 0911/8187 815/ Fax 0911/86 95 68

 

Energiereferent Ludwig Trautmann-Popp

Tel. 0951/5190 609, Fax 0951/5190 610

E-Mail: energie@bund-naturschutz.de