Breitwasser statt Hochwasser
Vor wenigen Tagen hat das Bundesumweltministerium Eckpunkte eines neuen Hochwasserschutzgesetzes vorgestellt. Für den Hochwasserschutz sollen bundesweit Mindestanforderungen festgesetzt werden. Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN) hat dies als einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung begrüßt und für Bayern gravierende Defizite im Hochwasserschutz aufgezeigt:
Nach wie vor wird in Bayern vor allem in den technischen Hochwasserschutz mit höheren Deichen investiert, obwohl diese für Anwohner nur eine trügerische Sicherheit bieten und das Problem für die Unterlieger verschärft. Der ökologische Hochwasserschutz, d.h. die Rückverlegung von Deichen und Reaktivierung natürlicher Hochwasserräume – der Auen – geht dabei unter.
Solange die bayerische Staatsregierung weiter auf höhere Deiche, gesteuerte Polder, weitere Staustufen und weitere Straßen setzt, bleibt der bayerische Hochwasserschutz unglaubwürdig, so das Fazit von Prof. Dr. Hubert Weiger, Landesvorsitzender des BN und Sebastian Schönauer, stellvertretender Landesvorsitzender des BN und Sprecher des AK Wasser im BN und BUND.
Der ökologische Hochwasserschutz darf nicht nur verbale Priorität haben, sondern muss auch finanzielle und personelle Priorität haben. Der BN fordert daher endlich einen tatsächlichen absoluten Vorrang des ökologischen Hochwasserschutzes durch Schutz und Reaktivierung von Flüssen und Auen, eine konsequente Klimaschutz- und Verkehrsvermeidungs-Politik sowie ein konsequenter Rückhalt von Wasser im Einzugsgebiet der Flüsse durch Reduzierung der Flächenversiegelung und gerade in Südbayern durch strengen Schutz der Moore.
Jede Million, die hier nicht investiert wird, wird die Allgemeinheit später zur Bezahlung der immer höher werdenden Hochwasserschäden zahlen müssen, dabei auch von Schadensfällen, die wider besseres Wissen immer noch neu geschaffen und genehmigt werden.
„Bayerisches Aktionsprogramm zum Hochwasserschutz 2020“: geht der ökologische Hochwasserschutz unter "
„Das Drehbuch für den Hochwasserschutz liegt auf dem Tisch. Jetzt ist es Zeit für Taten.“, so der bayerische Umweltminister Dr. Werner Schnappauf am 10.10.2002.
Auch der BN fordert seit Jahren endlich eine Umsetzung der längst bekannten Ursachen der zunehmenden Hochwassergefahr. Die Vorlage des bayerischen „Aktionsprogrammes 2020 zum nachhaltigen Hochwasserschutz in Bayern“ ist mittlerweile 2 Jahre (Mai 2001), das verheerende Pfingst-Hochwasser 1999 mittlerweile 4 Jahre her. Was ist seitdem passiert "
Von 1999 bis 2002 hat der Freistaat Bayern nach eigenen Aussagen rund 360 Mio. € für den Hochwasserschutz ausgegeben. Der BN kritisiert, dass ein Großteil dieses Gelder in die schnelle Sanierung und Erhöhung von Deichen investiert wurde anstatt in die wesentlich effektivere Deichrückverlegung. Beispielsweise wurden allein im Zuständigkeitsbereich eines Wasserwirtschaftsamtes an der Donau von 1999 bis 2002 25 Mio. € nur in die Deichsanierung investiert. Weitere aufwändige Deichsanierungen sind derzeit im Verfahren.
Insgesamt sind von den jährlich vorgesehenen 115 Mio. € / Jahr des bayerischen Hochwasser-Aktionsprogrammes 12,5 Mio. € für die Deichnachrüstung an Gewässern 1. Ordnung vorgesehen, weitere 20 Mio. € für die Unterhaltung von Hochwasserschutzanlagen – und nur 17,5 Mio. € für den natürlichen Rückhalt an Gewässern 1. Ordnung. Für Gewässer 2. und 3. Ordnung, das sind die vielen kleineren Gewässer im Einzugsgebiet, sind nur 20 Mio. € für den gesamten (technischen und ökologischen) Hochwasserschutz vorgesehen.
Setzt man das in Bezug zu den bisherigen Ausgaben für die Flussrenaturierung, nach Angaben der bayerischen Staatsregierung in den letzten Jahren 25 Mio. € jährlich für die Renaturierung aller Gewässer (1., 2. und 3. Ordnung), zeigt sich, dass die Planungen des Programmes 2020 für die erhöhten Anforderungen für Fließgewässerschutz und Hochwasserschutz nur eine geringfügige Erhöhung der bisherigen Ausgaben bedeutet. Dagegen wurden allein in den letzten 10 Jahren in Bayern 750 Mio. € für den technischen Hochwasserschutz investiert, d.h. ca. 75 Mio. € pro Jahr.
Damit stellt das bayerische Hochwasserschutz-Programm der bayerischen Staatsregierung nach Ansicht des BN nur eine kaum veränderte Fortsetzung der bisherigen falschen Schwerpunktsetzung dar.
Zwar hat der BN grundsätzlich begrüßt, dass in dem Aktionsprogramm der natürliche Hochwasserschutz als eine wesentliche Säule angesehen wird, doch die Realität der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass die Gelder nach wie vor in den technischen Hochwasserschutz fließen. Hier ist dringend eine Umorientierung nötig, das bedeutet sowohl eine Umorientierung der finanziellen und personellen Schwerpunkte als auch verstärkte Werbung für die Notwendigkeit eines integrierten gesamtökologischen Flussraum-Managementes, das als Verantwortung der Allgemeinheit gesehen wird und nicht an Einzelinteressen scheitern darf.
Während sich Deicherhöhungen in der Regel rasch realisieren lassen, stoßen nämlich großflächige Deichrückverlegungen vielfach auf Widerstand vor Ort. Hier muss verstärkt gemeinsam nach Lösungen gesucht werden, mit der Anwohner und Unterlieger profitieren. Eine Deicherhöhung bringt zwar dem Anwohner einen gewissen besseren Schutz, dem Unterlieger jedoch mehr Wasser. Und auch für Anwohner kann ein höherer Deich eine größere Gefahr bedeuten, denn umso mehr und schneller steigt das Wasser bei einem Deichbruch. Hochwasserschutz muss die Ursachen an der Wurzel angehen und dem Wasser natürliche Ausbreitungsräume anbieten, um Hochwasserspitzen zu verringern und die gesamte Welle zu verzögern. Die Fehler im Umgang mit den Flüssen und Auen müssen wieder rückgängig gemacht werden und Auen als natürliche Überflutungsräume genutzt werden. Das ist ökologischer Hochwasserschutz, der gleichzeitig auch einen der am höchsten gefährdeten Lebensräume reaktivieren kann. Technischer Hochwasserschutz ist zum unmittelbaren Objektschutz natürlich unerläßlich, dürfen aber nicht die einzigen Maßnahmen bleiben.
Eine verstärkte Schwerpunktsetzung im ökologischen Hochwasserschutz würde auch den Ergebnissen der sogenannten „Ilmstudie“ entsprechen, die im Auftrag des bayerischen Landtages erstellt und im Jahr 2000 abgeschlossen wurde. Dieser Studie, die modellhaft die Möglichkeiten des vorbeugenden Hochwasserschutzes aufzeigt, fehlt bislang die weitere Umsetzung.
Inkonsequenz bayerischer Hochwasserschutz-Politik
Zusammengefaßt hat der BN anhand der Entwicklungen der letzten Jahre aufgezeigt, dass die bayerische Hochwasserschutz-Politik zentrale Defizite aufweist und vorhandene Vorgaben und Gesetze eklatant missachtet werden.. Die Glaubwürdigkeit wird nach Ansicht des BN durch folgende Beispiele in Frage gestellt:
- Das bayerische Aktionsprogramm zum Hochwasserschutz 2020 enthält drei Säulen: natürlicher Hochwasserschutz, technischer Hochwasserschutz und die weitergehende Hochwasservorsorge – der Schwerpunkt der Umsetzung liegt jedoch beim technischen Hochwasserschutz, nämlich der Erhöhung und Sanierung Deichen und der Errichtung von gesteuerten Poldern.
- In den jüngsten Anträgen der Parteien im Bayerischen Landtag fehlen insbesondere bei den Anträgen der CSU Forderungen zur Flussrenaturierung, für natürliche Retentionsräume, für einen echten Klimaschutz, für eine Reduzierung des Verkehrs und eine Reduzierung der Flächen-Versiegelung. Dagegen hat die Opposition den Wert des ökologischen Hochwasserschutzes erkannt.
- Die bayerischen Behörden arbeiten an einem Auen-Programm, das Auen- und Hochwasserschutz verbinden soll – gleichzeitig hält die bayerische Staatsregierung an den Staustufenplänen für die Donau zwischen Straubing und Vilshofen fest.
- Die bayerischen Behörden arbeiten an einem Moorentwicklungskonzept, Moore sind zentrale Wasserspeicher und ihr Schutz und ihre Entwicklung gerade für Südbayern ein wesentliches Element im Hochwasserschutz – dennoch weigert sich die bayerische Staatsregierung seit Jahren, zahlreiche Moorgebiete in das europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 aufzunehmen.
- Das neue Bayerische Landesentwicklungsprogramm stärkt den Schutz der Überschwemmungsgebiete vor Bebauung – dennoch wird in Bayern nach wie vor in Überschwemmungsgebieten gebaut und ein Brief von Minister Beckstein mit einem Appell zur nötigen Reduzierung des Flächenverbrauches wird fast als Geheimsache behandelt.
- Für den Hochwasserschutz nötig ist auch eine Reduzierung der Treibhausgase (Klimaveränderung). Dennoch setzt die bayerische Staatsregierung weiter auf den Ausbau des Straßennetzes und des Flugverkehrs.
Der BN fordert daher, diese Inkonsequenzen in der bayerischen Hochwasserschutz-Politik aufzugeben. Gefordert sind dabei sowohl die bayerische Staatsregierung als auch die Kommunen. Gefordert ist vor allem eine grenzüberschreitende Verantwortlichkeit und integriertes Handeln, wie es künftig auch die Wasser-Rahmen-Richtlinie der EU fordert. Zentrales Element muss dabei der ökologische Hochwasserschutz sein, der nicht nur verbale Priorität haben darf, sondern auch finanzielle und personelle Priorität haben muss. Daher hat der BN in den Eckpunkten des „Artikelgesetzes des Bundes zur Verbesserung des Hochwasserschutzes“ besonders begrüßt, dass den Flüssen wieder mehr Raum gegeben werden soll.
Prof. Dr. Hubert Weiger
Landesvorsitzender
Sebastian Schönauer
stellv. Landesvorsitzender
Christine Margraf
Leiterin Fachabteilung München
Zusammengefaßte Forderungen des BN
zum Hochwasser- und Auenschutz
Naturschutz
- Keine weiteren Zerstörungen an den Fließgewässern und Auen
- Unterschutzstellung der wertvollsten Gebiete, Sicherung der Kohärenz im Netz Natura 2000 (großflächiger Auenverbund im europaweiten Biotopverbund-Netz).
- bayernweites verbindliches Aktions-Programm zur Reaktivierung von Flüssen und Talauen und zur Wiedergewinnung ehemaliger Überschwemmungsgebiete. Der BN fordert eine Verdopplung der Überschwemmungsgebiete/rezenten Auen und eine Revitalisierung mindestens der Hälfte der verbauten Fließgewässer (bis 2020).
- Für die Revitalisierung muß im Vordergrund stehen: mehr Raum für Fluss und Aue (v.a. Uferaufweitung, Rückverlegung von Deichen), mehr auentypische Dynamik (Hydrologie und Morphologie), Durchgängigkeit für Organismen und Geschiebe, Wiederherstellung der ökologischen Einheit Fluss und Aue. Nötig sind klare fachliche Leitbilder und Visionen.
- Für die Reaktivierung von Überschwemmungsflächen muss im Vordergrund die natürliche Überflutungsdynamik stehen. Künstlich gesteuerte Polder bringen für den Naturschutz keine Verbesserung, sondern eher Verschlechterungen.
- Auengerechte Nutzung der Aue durch Wiesen und Auwälder, Erhöhung der Wasser-aufnahmekapazität der Böden (Ökologischer Landbau etc.).
- Erhalt und Renaturierung von Mooren, Feuchtgebieten und allen natürlichen Wasserrückhalteflächen im gesamten Einzugsgebiet der Flüsse (Umsetzung des Moorentwicklungskonzeptes).
- Verzicht auf neue Auffüllungen und Entwässerungen.
Flächennutzung:
Kommunale Planungshoheit muss künftig als Verantwortung für Naturschutz und Hochwasserschutz (auch für die Unterlieger !) verstanden werden.
- Förmliche Ausweisung von rechtskräftigen Überschwemmungsgebieten und Anpassung an die höchsten Hochwasser und ihre tatsächliche Sicherung nach den bestehenden Gesetzen
- Überprüfung aller Pläne und Programme (z.B. Flächennutzungspläne, Bebauungspläne bis hin zum Bundesverkehrswegeplan) auf ihre Vereinbarkeit mit dem Hochwasserschutz. Hierzu gehören auch Verbesserungen im Entwurf des neuen Bayerischen Landesentwicklungsprogrammes einschließlich der Beseitigung von Widersprüchen (das Ziel: Vorranggebiete für den Hochwasserabfluss in den Regionalplänen oder Schutz der Auen wird konterkariert durch gleichzeitige Projekte mit enormem weiteren Flächenverbrauch, weiterer Verkehrsbelastung und weiterer Ausbaumaßnahmen an den Gewässern).
- Striktes Verbot weiterer Siedlungen, Gewerbegebiete etc. in Überschwemmungsgebieten
- Förderung der Flächen-Entsiegelung und damit der natürlichen Versickerung, Förderung flächensparenden Bauens.
- Förderung der privaten dezentralen Regenwasserversickerung
- Auslagerung von hochwasserunverträgliche Nutzungen (Verschmutzung !)
- Erhalt von abflusshemmenden Strukturen in der Landschaft (z.B. Flurbereinigung)
- berprüfung der Förderung von Straßenbau in Überschwemmungsgebieten
- Bereitstellung von Flächen für neue Überschwemmungsgebiete, Verbesserung der Entschädigung bei Schäden auf auenverträglich landwirtschaftlich genutzten Flächen.
- Sicherung naturnaher Schutzwälder in den bayerischen Alpen
- Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung
UND:
- Energieeinsparung und Klimaschutz durch Verkehrs-Reduzierung