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Tiere und Pflanzen

Gentechnikfreie Nahrung - Proteste gehen weiter

Die landesweiten Vorbereitungen für eine Großdemonstration am 30. September in Nürnberg für gentechnikfreie Nahrung und Sicherung des Standorts Bayern als gentechnikfreie Anbauregion laufen auf vollen Touren.

22.09.2006

Die landesweiten Vorbereitungen "Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind nach den neuerlichen Skandalen mit gentechnisch manipuliertem Reis aus den USA massiv verunsichert und wollen mehr Schutz für Ihre Nahrung", so die Initiatoren. Auch das deutsche Gentechnikgesetz dürfe nicht verwässert und die Haftungsregelungen aufgeweicht werden. Mit dem Aufruf für eine Großdemonstration will das Bündnis aus Naturschutzverbänden, Bauernorganisationen, Imkern, Kirchengruppen und VerbraucherInnen ein Zeichen setzen, damit die Politik über strenge Haftungs- und Zulassungsregeln und einen Anbaustopp die Ausbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen und Nahrungsbestandteilen verhindert . Die beteiligten Verbände rechnen mit der Teilnahme mehrerer tausend Verbraucherinnen und Verbraucher und rund 50 Landwirten mit Traktoren in der Nürnberger Innenstadt. Der Demonstrationszug beginnt am Samstag, den 30.9. um 11.00 Uhr auf der Südseite des Nürnberger Bahnhofs und zieht über Frauentorgraben und Plärrer zum Jakobsplatz. Dort findet ab 12.00 Uhr eine große Anti-Gentechnik-Kundgebung mit Musik und Kurzansprachen statt. Die Besucher können sich an zahlreichen Infoständen über Risiken der Gentechnik und gesunde Alternativen informieren. Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly wird ein Grußwort sprechen.

Verbreitung in der Natur unausweichlich - deshalb: Moratorium und Importverbote gefordert
Derzeit sind in Deutschland fünf gentechnisch veränderte Bt-Maissorten, die für Insekten giftig sind (Resistenzgen aus Bacillus thuringiensis - Bt) für den Anbau zugelassen. 2006 wuchs dieser Mais gemäß den Angaben im öffent-
lich zugänglichen Standortregister bundesweit auf deutlich unter 1000 Hektar Anbaufläche. In Bayern waren es lediglich ca. 4 Hektar, die sich hauptsächlich auf den staatlichen Versuchsflächen der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft befanden. Private Landwirte in Bayern hatten ihren geplanten Anbau auf Grund massiver öffentlicher Proteste wieder zurückgezogen.
Freisetzungsversuche laufen in Bayern u.a. mit genmanipulierten stärkeveränderten Kartoffeln, in anderen Bundesländern sind weitere Versuche mit Kartoffeln und Raps genehmigt, für GVO Weizen ist ein Antrag gestellt (weitere Infos siehe Anlage 1).
Daneben gibt es für den Handel eine Reihe weiterer Zulassungen, z.B. Mais, Soja, und pflanzliche Öle als Nahrungs- und auch als Futtermittel. Erst diese Woche hat Minister Seehofer der EU-Zulassung von gentechnisch verändertem Raps als industriellem Handelsprodukt zugestimmt.
Jüngster Skandal: illegal haben sich gentechnisch veränderter Reis und Reisprodukte auch in Europas Lebensmittelregalen verbreitet, die aus den USA und China stammen, aber weder in der EU noch anderswo zugelassen wurden.
Diese Liste ließe sich noch verlängern, Fakt ist jedoch:
Noch ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland und Europa kaum wesentlich über das Versuchstadium hinausgekommen. Werden Gentech-Pflanzen jedoch in größerem Ausmaß eingesetzt, sind sie nicht mehr rückholbar und Europas Felder wären genauso wie die Agrarflächen der USA , Kanadas und anderer Agrarstaaten auf Dauer durch Gentechpflanzen kontaminiert. Freisetzungsversuche und Forschung im Freiland dienen deshalb vor allem einem: vollendete Tatsachen zu schaffen und den Menschen zu suggerieren, dass die Entwicklung nicht mehr zu stoppen sei und sie keine Handlungsmöglichkeiten mehr hätten.

Doch genau gegen diese Strategie der Verunsicherung und Entmutigung wendet sich das Bündnis Bayern für gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft. Über entsprechende Gesetze in Deutschland und der EU ist die Gentechnikfreiheit auf dem Acker und im Regal durchaus zu sichern. Auch in Bayern können entsprechende Zielsetzungen in Gesetzeswerke aufgenommen werden, wie z.B. bei der jetzt anstehenden Neufassung eines bayerischen Gesetzes zur Förderung der Bayerischen Landwirtschaft, dem Agrarwirtschaftsgesetz. Risiken durch die Gentechnik könnten dadurch zunächst verringert werden (Anlage 2).

Forderungen
Das Bündnis hat einen umfangreichen Forderungskatalog aufgestellt, was die EU, die Bundes- und die bayerische Politik betrifft (Anlage 3), u.a. ein sofortiges erneutes Moratorium für den Gentechnikanbau in der EU und keine weiteren Zulassungen für gentechnisch veränderte Organismen, solange Risiken für Mensch, Tier und Umwelt nicht ausgeschlossen werden können.
Darüber hinaus geht es aktuell darum, anders als es von Verbraucherschutzminister Seehofer wiederholt für Herbst angekündigt wurde, die Haftungsregelung im deutschen Gentechnikgesetz nicht aufzuweichen, da ansonsten der flächendeckenden Verunreinigung durch gentechnisch veränderte Bestandteile in Lebens- und Futtermitteln Tür und Tor geöffnet würde (Anlage 4). Schließlich sind die Importe von Reis und Reisprodukten aus den USA und China mit sofortiger Wirkung auszusetzen.

Für Rückfragen:

Marion Ruppaner
BN Referentin für Landwirtschaft
Tel. 0911/81 87 8-20
E-Mail: marion.ruppaner@bund-naturschutz.de

Arthur Stein
Landesvorsitzender der LVÖ
Tel. 08139-8649
E-Mail: info@lvoe.de

Anlage 1 zur PM vom 22. 9.06:

Freisetzungsversuche in Deutschland

Derzeit laufen zahlreiche Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen in Deutschland und auch in Bayern, die vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) genehmigt wurden (www.bvl.bund.de), beispielhaft sind einige genannt.
So führt die Technische Universität München einen Versuch mit genmanipulierten, im Karotingehalt veränderten Kartoffeln in Roggenstein im Landkreis Fürstenfeldbruck und in Oberviehhausen, Landkreis Deggendorf, durch.
Der Firma BASF wurden Versuche mit stärkeveränderten und pilzresistenten Kartoffeln an verschiedenen Standorten in Deutschland, darunter auch in Möttingen, Bayern, genehmigt, diese Versuche sollen bis zum Jahre 2010 laufen.
Erst kürzlich erhielt die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft die Genehmigung zur Freisetzung stärkeveränderter Kartoffeln auf drei Standorten im Landkreis Pfaffenhofen. Dieser Versuch soll sogar bis zum Jahr 2015 dauern
Auf Antrag der Universität Rostock wurde für einen Standort im Landreis Doberan (Mecklenburg-Vorpommern) 2006 die Freisetzung einer genmanipulierten Kartoffelsorte genehmigt, die als sog. Pharmapflanze der Produktion eines Choleraimpfstoffes dienen soll.
Ein Antrag auf Freisetzung transgener pilzresistenter Gerste der Universität Gießen erhielt 2006 ebenfalls die Genehmigung durch das BVL.
Für die nächste Vegetationsperiode ist ein Versuch mit gentechnisch veränderten Weizen, der eine veränderte Eiweißzusammensetzung hat, geplant. Dieser Versuch ist noch mehr als andere umstritten, da er in Gatersleben auf dem Areal des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) stattfinden soll - in 500 Metern Abstand zu Vermehrungsflächen für alte vom Aussterben bedrohte Pflanzensorten, darunter zahlreiche Weizensorten, die in der dortigen Genbank eingelagert sind, und aus Erhaltungsgründen immer wieder angebaut werden müssen. Eine Kontamination von Genbankbeständen würde die Züchtung der Zukunft gefährden.
Auch Versuche mit gentechnisch verändertem Raps wurden in Deutschland im Jahr 2006 auf mehreren Versuchsparzellen im Freiland in Mecklenburg Vorpommern genehmigt.
Die Firmen Monsanto, Pioneer und Dow Agro Sciences wollen bis zum Jahr 2010 Freisetzungsversuche mit Mais, der sowohl insekten- als auch herbizidresistent ist, an verschiedenen Standorten durchführen.
Für den Handel gibt es eine Reihe weiterer Zulassungen, z.B. Mais, Soja, und pflanzliche Öle als Nahrungs- und auch als Futtermittel. Erst diese Woche hat Minister Seehofer auf EU-Ebene der Zulassung von gentechnisch verändertem Raps als Handelsprodukt zugestimmt, obwohl er sich wiederholt geäußert hatte, Raps sei in Deutschland nicht koexistenzfähig.


Anlage 2 zur PM vom 22. 9.06:

Fehlender Nutzen und Risiken

Die gentechnische Veränderung von Pflanzen birgt Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt: Neu in transgenen Pflanzen gebildete Stoffe und Eiweiße können toxisch oder allergen wirken, wie am Beispiel eines in Erbsen gebildeten Bohneneinweißes gezeigt wurde, das zu Immunreaktionen bei Mäusen führte. Ein durch den Einbau der Fremdgene möglicherweise veränderter Stoffwechsel kann Qualität und Verträglichkeit der aus transgenen Pflanzen hergestellten Lebensmittel beeinflussen.
Vielfältige Effekte von Gentech-Pflanzen auf die Umwelt werden diskutiert, angesichts der Komplexität der Ökosysteme sind sie aber kaum abzuschätzen. Pflanzen mit neuen Resistenzeigenschaften und Inhaltsstoffen wirken sich auch auf andere Organismen aus, die nicht getroffen werden sollen (Nichtzielorganismen). So gefährden die in insektenresistentem Bt-Mais gebildeten Giftstoffe Schmetterlinge wie Schwalbenschwanz und Tagpfauenauge, Effekte auf Nützlinge und das Bodenleben sind nicht ausgeschlossen. Der Anbau von herbizidresistenten Pflanzen beeinträchtigt die Artenvielfalt von Wildpflanzen und der davon lebenden Tiere, wie Studien in England gezeigt haben. Der Herbizidverbrauch nimmt mit dem Anbau derartiger Pflanzen nicht ab sondern zu, nicht zuletzt bedingt durch das Auftreten herbizidresistenter Unkräuter, die mit höheren Dosen und zusätzlichen Spritzmitteln bekämpft werden. Überdies sind gentechnisch veränderte Pflanzen, einmal freigesetzt, praktisch nicht mehr rückholbar, da Wind und Insekten (und auch der Mensch) für die Verbreitung von Pollen und Samen sorgen.

Gentechnik trägt zur Industrialisierung der Landwirtschaft bei und begünstigt intensive Monokulturen. Statt auf einfache Rezepte zu setzen, wie ausgewogene Fruchtfolgen oder Unterpflügen von Ernteresten, um Schädlingsbefall zu vermeiden, werden gänzlich neue Risiken geschaffen. Erfahrungen aus den USA und Kanada belegen, dass über das Patentrecht Farmer immer weiter entrechtet werden, der soziale Zusammenhalt in den Dorfgemeinschaften untergraben wird, und private Konzernpolizeien die Landwirte ausspionieren und unter Druck setzen, Saatgut, Dünger und Pestizidprogramm im Paket abzunehmen, was einer Art moderner Leibeigenschaft entspricht. GVO-Kontamination gefährdet die gentechnikfreie Landwirtschaft, bürdet der traditionellen Landwirtschaft neue Kosten auf und verweigert den VerbraucherInnen echte Wahlfreiheit.

Falsche Versprechungen

Die Versprechungen der Agrogentechnik, zu höheren Erträgen und geringerem Pestizideinsatz zu führen, haben sich als hohl entpuppt, ebenso wenig wird sich die Vorstellung, ein komplexes Problem wie der Hunger in der Welt lasse sich durch eine technologische Lösung beheben, bestätigen.
Nichtsdestotrotz sollen mit vermehrtem Aufwand an Steuermitteln Informationskampagnen über Potentiale der so genannten neuen Generation von transgenen Pflanzen gestartet werden. So werden Steuergelder verschleudert, statt auf Förderung und Ausbau umwelt- und gesundheitsverträglicher Landwirtschaft zu setzen.

Anlage 3 zur PM vom 22. 9.06:

Forderungen des Bündnis Bayern für gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft


Als Wähler/innen und Konsument/innen fordern wir

von der Europäischen Kommission und dem Europaparlament:

 Gesetzlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht der europäischen Staaten für ein Verbot des Anbaus von genmanipulierten Pflanzen und Sicherung der gentechnikfreien Regionen
 Wiederherstellung eines Moratoriums für die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen
 Kennzeichnungspflicht für Milch, Fleisch, Eier etc. von Tieren, die mit genmanipuliertem Futter ernährt wurden
 Reinheitsgebot für Saatgut ! Stopp für gentechnische Verunreinigung

von der Bundesregierung und dem Bundestag:

 Einsatz bei den Verhandlungen mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament für obige Forderungen
 Sicherung der gentechnikfreien Produktion, Wahlfreiheit und Transparenz im deutschen Gentechnikgesetz
 Vollständige Haftungs- und Risikoübernahme durch Gentechnikkonzerne und Gentechnikbauern gesetzlich absichern
 Rücknahme der Sortenzulassungen für gentechnisch veränderten Mais

von der bayerischen Staatsregierung und dem Landtag:

 Einsatz für Bayern als gentechnikfreie Region
 Kein Versuchsanbau mit genmanipulierten Pflanzen auf bayerischen Staatsgütern
 Keine Steuergelder für Pro-Agro-Gentechnik-Kampagnen in bayerischen Schulen, Universitäten und der Öffentlichkeit

Anlage 4 zur PM vom 22. 9.06:

Welche Veränderungen drohen durch die geplanten
Änderungen des deutschen Gentechnikgesetzes

Vor Pfingsten ist ein interner Entwurf des Eckpunktepapiers zur Novelle des Gentechnikgesetzes aus dem Landwirtschaftsministerium an die Öffentlichkeit gelangt. Obwohl das Ministerium im Anschluss mitteilte, es sei noch nichts beschlossen, zeigt das Papier die Grundrichtung an: Agrarminister Horst Seehofer will die Mindeststandards des geltenden Gesetzes senken und öffnet damit der gentechnischen Verunreinigung von Landwirtschaft und Natur Tür und Tor.
Laut Eckpunktepapier (Stand 26. 5. 2006) soll das Gentechnikgesetz gentechnische Verunreinigungen in großem Stil ermöglichen:

Auskreuzungsprodukte aus experimentellen Freisetzungen sollen ungekennzeichnet in die Nahrungskette gelangen dürfen:

Bündnis-Kommentar: Bereits am 21. 2. 2006 hat die EU-Kommission in einem Schreiben an das Landwirtschaftsministerium klargestellt, dass es für Auskreuzungsprodukte aus Freisetzungen keine Grenzwerte gibt. Für sie gilt eine toleranz. Für den Fall, dass ein Mitgliedsland davon abweicht, kündigt die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren an. Dem BMELV und dem BMBF ist ein möglicher Vertragsbruch durchaus bewusst: "Es ist wahrscheinlich, dass die KOM (Kommission) die genannte Regelung beanstanden wird mit der Folge, dass (-) sich ein Vertragsverletzungsverfahren anschließen könnte." Nimmt Seehofer tatsächlich sehenden Auges ein Vertragsverletzungsverfahren in Kauf, wäre dies ein Kniefall vor der deutschen Gentech-Forschungslobby und eine politische Bankrotterklärung.

Das Haftungsrecht soll für die konventionelle Landwirtschaft erst bei Verunreinigungen oberhalb von 0,9 Prozent greifen. Die Haftungstatbestände des Paragraphen 36 a des geltenden Gentechnikgesetzes sollen abschließend definiert werden. Dazu soll das Wörtchen "insbesondere" gestrichen werden. Im geltenden Gesetz hält es die Liste der drei explizit genannten Haftungstatbestände (Gentechnisch veränderte Organismen, die über keine Zulassung verfügen; Verunreinigungen oberhalb von 0,9 Prozent, Produkte, die nach der Bio- oder der "Ohne Gentechnik"-Verordnung erzeugt werden) offen. Dadurch wird eine Klage im Falle einer Verunreinigung konventioneller Ernten unterhalb eines Verunreinigungsgrades von 0, 9 Prozent ermöglicht.

Bündnis Kommentar
Das Bündnis weist die angekündigte Streichung des "insbesondere" als Angriff auf die gentechnikfreie konventionelle Landwirtschaft entschieden zurück. Denn ohne das "insbesondere" greift eine Entschädigung erst für Verunreinigungen oberhalb von 0,9 Prozent. So würde der Großteil der sich abzeichnenden Haftungstatbestände nicht mehr erfasst. Bereits heute lehnen Verarbeiter wie Mühlen oder Lebensmittelhersteller am Beginn der Verarbeitungskette auch gering verunreinigte Chargen ab, da sie ihrerseits einen Puffer benötigen, um den Kennzeichnungsschwellenwert nicht zu überschreiten. Das heißt für konventionell wirtschaftende Landwirte: Sie müssen ihren Abnehmern entweder die Gentechnikfreiheit ihrer Produkte oder einen Verunreinigungsgrad deutlich unter 0, 9 Prozent garantieren, andernfalls ist ihre Ernte unverkäuflich.

Schon das geltende Gesetz schöpft den Spielraum der EU-Frei-setzungs-richtlinie 2001/18 nicht aus. Paragraph 26 a besagt: "Die Mitgliedsstaaten können die geeigneten Maßnahmen ergreifen, um das unbeabsichtigte Vorhandensein von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in anderen Produkten zu verhindern." Das ermöglicht zum einen die Ausgestaltung von Koexistenzregeln ("Gute Fachliche Praxis") und zum anderen die Setzung deutlich niedrigerer Grenzwerte. Darüber hinaus definiert das EU-Recht einen die Kennzeichnung auslösenden Grenzwert allein für Lebens- und Futtermittel: Unter der Voraussetzung, dass die Verunreinigung zufällig oder technisch unvermeidbar war, gelten die 0,9 Prozent für diese beiden Fälle. Das EU-Recht definiert keinen Grenzwert für nicht kennzeichnungspflichtige Verunreinigungen von Ernteprodukten.

Für den BUND ist die Übertragung des Grenzwerts für Lebens- und Futtermittel auf Ernteprodukte unzulässig und gefährlich. Ein Grenzwert für Verunreinigungen auf dem Feld muss deutlich unterhalb von 0,9 Prozent liegen. Er muss so ausgestaltet sein, dass er den Großteil der Haftungsfälle abdeckt. Wenn Entschädigungen erst ab einem Grenzwert von 0,9 Prozent gewährt werden, ist das der Anfang vom Ende der gentechnikfreien Landwirtschaft und der gentechnikfreien Lebensmittelproduktion in Deutschland. Eine solche Regelung verschlechtert den seit 2004 im EU-Recht festgeschriebenen Zustand, gentechnische Verunreinigungen über Grenzwerte unsichtbar zu machen und Verbrauchern damit allein die Wahl zwischen mehr oder weniger verunreinigten Lebensmitteln zuzugestehen - sie beschleunigt das im EU-Recht angelegte Ende der Wahlfreiheit.

Hinzu kommt, dass gentechnische Verunreinigungen nicht allein unter dem Blickwinkel eines ökonomischen Interessenausgleichs und der Wahlfreiheit betrachtet werden können. In ihrer Stellungnahme für das Panel der Welthandelsorganisation vom Februar 2006 räumt die EU-Kommission gravierende Wissenslücken in Bezug auf die Sicherheit von GVO ein. Darüber hinaus hat sie aufgrund von Mängeln in der Sicherheitsbewertung eine Reform der zentralen Zulassungsbehörde für GVO innerhalb der EU, der European Food Safety Authority (EFSA), eingeläutet. Das heißt: Von gentechnischen Verunreinigungen kann ein Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt ausgehen. Wenn sie über Grenzwerte unsichtbar gemacht werden, unterläuft das nicht allein das Vorsorgeprinzip, sondern auch möglicherweise eines Tages notwendige Rückrufaktionen oder andere Notfallmaßnahmen.