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Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya: Bayern muss beim Schutz der Biodiversität glaubwürdig werden:

Bund Naturschutz (BN) fordert Verzicht auf Prestigeprojekte wie A94 im Isental

14.10.2010

An der Großbaustelle der A94 bei Poigenberg (Landkreis Erding) bietet sich ein schreckliches Bild: „Hier wird bayerische Kulturlandschaft und artenreicher Lebensraum skrupellos und völlig überflüssig zubetoniert.“ zeigt Prof. Dr. Hubert Weiger, Landesvorsitzender des BN auf die Wunden in der Landschaft. „Wenn die Ziele der bayerischen Biodiversitätsstrategie nicht erreicht werden, braucht die bayerische Staatsregierung nicht lange nach den Ursachen zu suchen.“

Der Bund Naturschutz in Bayern e.V. (BN) greift das Beispiel des Baus der A94 im Isental heute deswegen auf, weil in 4 Tagen die Weltnaturschutzkonferenz in Japan beginnt. Dort werden die Staaten der Welt feststellen, dass das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 zu verlangsamen bzw. in der EU sogar zu stoppen, nicht erreicht wurde. Sie werden über Wege diskutieren, dieses Ziel bis 2020 zu erreichen. Auch Deutschland und Bayern sind diesem Ziel verpflichtet und haben sogar eigene Biodiversitäts-Strategien beschlossen. Die Realität sieht jedoch anders aus:

„Biologische Vielfalt ist die Grundlage all unseres Wirtschaftens, ihr Rückgang eine ähnliche existenzbedrohende Katastrophe wie der Klimawandel.“ soweit sind sich BN und zahlreiche fachliche und politische Verlautbarungen einig. Auch was zu tun wäre, ist weitgehend bekannt. Beispielsweise sind der Verzicht auf weitere Zerschneidungen und Lebensraumverlust zentrale Maßnahmen. „Es fehlt allein am politischen Willen, der biologischen Vielfalt und damit dem Schutz artenreicher Natur- und Kulturlandschaften tatsächlich in konkreten Verfahren Vorrang zu geben.“ bilanziert der BN. „Der begonnene und weiter geplante Bau der A94 ist ein Musterbeispiel für die Ignoranz und Unglaubwürdigkeit der bayerischen Staatsregierung. Auch das bayerische Verkehrsministerium muss endlich begreifen, dass Naturschutz weder nur eine Sache von Krötenzählern ist noch auf internationalen Konferenzen allein gelöst werden kann -  sie selbst sind verpflichtet, die bayerische Biodiversitätsstrategie umzusetzen und ihren Beitrag zum Erfolg internationaler Verpflichtungen zu leisten.“ Die bayerische Biodiversitätsstrategie wurde nämlich am 1.4.2008 vom Ministerrat verabschiedet und gilt daher für alle bayerischen Behörden.

Laut BN finden sich ganz Bayern laufend große oder kleine Projekt statt, bei denen Natur nur auf dem Papier, nicht aber in der Realität geschützt wird. Neben geplanten Großprojekten wie dem Donauausbau, der 3. Startbahn im Erdinger Moos oder dem Ausbau der A8 östlich von Rosenheim zählt der BN dazu v.a. auch zahlreiche Ortsumgehungen, Gewerbegebiete, die ungezügelte Zunahme des Maisanbaus oder geplante Wasserkraftwerke an den Alpenflüssen. In ganz Bayern lassen sich laufend Rückgänge von vielen Arten dokumentieren.

Naturverträglicher und billiger:
Der BN fordert seit Jahrzehnten als Alternative zur A94 im Isental den Ausbau der bestehenden B12 („Trasse Haag“) sowie die Elektrifizierung der Bahnstrecke  München – Mühldorf – Freilassing. „Wenn Wacker nun damit droht künftig eher in Sachsen zu investieren als in Burghausen, dann liegt das nicht an der Diskussion um die A94, sondern am seit Jahrzehnten verschleppten versprochenen Ausbau dieser Bahnlinie.“ kritisiert Richard Mergner, Verkehrsexperte und Landesbeauftragter des BN. „Anstatt Geld in eine naturzerstörerische Autobahn zu stecken, wären der Bund und Bayern besser beraten, endlich mit Vorrang diese Bahnstrecke auszubauen.“ Nach Ansicht des BN ist der Streit um A94 im Isental ein Musterbeispiel dafür, dass der Schutz der Biodiversität auch Einsparung öffentlicher Mittel  bedeuten könnte, die Politik aber offenbar lieber an teuren Großprojekten aus alten Zeiten festhält.

Schatzkammer Isental:
An der A94-Baustelle bei Poigenberg zeigt der BN auf den im Gerichtsverfahren so bedeutsamen Scheiberich (Apium repens), der in Bayern im Bestand stark gefährdet, in Deutschland sogar vom Aussterben bedroht ist (RL 2 bzw. 1), und für dessen Erhalt Bayern sehr große Verantwortung hat. Mitten durch das Vorkommen in einer Landschaft aus feuchten Wiesen geht nun die Autobahn. Am Rand sind noch Reste erhalten und die sogenannten Ausgleichsmaßnahmen sind mit Pfosten gut sichtlich zu erkennen. Noch werden die umgepflanzten Bestände gehegt und gepflegt. Doch wie lange noch? „Natur ist nicht beliebig verpflanzbar und ersetzbar.“ kritisiert Dr. Christine Margraf, Artenschutzreferentin des BN für Südbayern „die Ausgleichs- und Ausweich-Manie und den Machbarkeitswahn“ der Planer. „Ökologische Zusammenhänge sind sehr komplex, vielfach noch gar nicht vollends verstanden und vom Menschen nicht beliebig nachzuahmen.“ Wer meint, „zur Not mit extremem gärtnerischem Aufwand“ – so die Planer der A94 in der Gerichtsverhandlung – Schäden an der Natur verhindern zu können, verkennt die Kompliziertheit der Natur.

Von einer weiteren Brücke weiter östlich aus zeigt der BN auf das derzeitige Ende der Baustelle. „Wenn wir auch im Folgeabschnitt Forstinning – Pastetten wieder vor Gericht verlieren, wird hier weitergebaut: mitten durch den Haager Forst und wertvolle europäisch geschützte Lebensräume“ erläutert Manfred Drobny, Geschäftsführer beim BN Erding die ökologischen Folgen: „Seltene Vogelarten wie der Grauspecht und gefährdete Arten wie die Gelbbauchunke oder die Kreuzotter werden hier genauso Lebensraum verlieren wie quellige Feuchtbiotope und Auwälder.“ Noch weiter im Osten würde die Autobahn mitten durch den Wohn- und dem Nahrungsraum des Großen Mausohrs führen und diesen trennen. „Bei vielen dieser Arten handelt es sich eh nur noch um isolierte Restbestände ehemals größerer Vorkommen. Anstatt diese weiter zu gefährden, wären eigentlich zwingend Schutzmaßnahmen zur Verbesserung der Lebensräume dieser Arten nötig – auch laut Bayerischer Biodiversitätsstrategie.“

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Östliches Ende der Baustelle A94 mit Blickrichtung auf den Haager Forst. Aufnahme August 2010. Foto: Margraf

Dem BN geht es jedoch nicht nur um einzelne Arten – auch wenn gerade die europäisch geschützten Arten heutzutage vor Gericht einen sehr hohen Stellenwert haben. Der BN will mit dem Isental insgesamt eine einmalige Kulturlandschaft sichern, die struktur-, arten- und erlebnisreich und Heimat vieler Menschen ist. Den Mausohren mögen die Autobahnbauer vielleicht mit einer millionenteuren Einhausung den Weg über die Autobahn ebnen – aber der Wert des Isentals für die Menschen und das, was diese Landschaft ausmacht, ist mit einer Autobahn dahin: die A94 lässt sich nicht „verstecken“, auch wenn die Planer auf Druck der Kläger wie des BN noch so oft nachbessern.
Der BN und etliche Privatkläger haben daher auch gegen den nun geplanten Abschnitt „Pastetten-Dorfen“ Klage eingereicht. Die Klage des BN wird heute Nachmittag vor dem VGH verhandelt. Noch ist eine Umplanung auf die Trasse Haag möglich.


Für Rückfragen:
Dr. Christine Margraf, BN Artenschutzreferentin für Südbayern
Tel.: 089/548298-89, christine.margraf@bund-naturschutz.de