Borkenkäfer im Nationalpark: Totengräber oder Geburtshelfer des Waldes?
Kein anderes Thema im Umfeld des Nationalparks Bayerischer Wald erhitzte die Gemüter so sehr wie die Windwürfe in den 80er- und 90er-Jahren und die darauf folgenden Borkenkäferwellen. Viele fürchteten um die dem Park benachbarten Nutzwälder und damit ihre Existenzgrundlage. Naturschützer und Nationalparkverwaltung versuchten davon zu überzeugen, dass der Borkenkäfer nicht die Ursache, sondern eine Folge des Waldsterbens ist - und ihn im Nationalpark gewähren zu lassen, der schnellste Weg zu einem stabilen Naturwald darstellt.
Infolge großflächiger Windwürfe erlebte der Nationalpark Bayerischer Wald in den 1980er-, 1990er- und Mitte der 2000er-Jahre drei intensive Borkenkäferwellen. Rund 60 Prozent der Altfichten fielen ihnen zum Opfer. Teilweise vermehrten sich die Käfer so massiv, dass sie sogar gesunde Bäume befielen.
Spätestens jetzt hatten vor allem viele Waldbauern genug vom Nationalpark. Sie fürchteten um ihre benachbarten Nutzwälder. Daneben sahen viele, vor allem ältere Menschen im Borkenkäfer den Totengräber ihres heimatlichen Waldes. Das ungewohnte Waldbild mit vielen toten Bäumen entsprach nicht „ihrem Wald“, in dem sie seit Generationen lebten und wirtschafteten. Sie sahen sich konfrontiert mit einem neuen, provozierenden Waldbild, das viele Fragen und Unsicherheiten aufwarf.
Der Borkenkäfer gehört zu Werden und Vergehen
Dabei ist der Borkenkäfer nicht die Ursache, sondern eine Folge des Waldsterbens im Bayerischen Wald. Luftverschmutzung, Bodenversauerung und hohe Temperaturen im Zuge des Klimawandels sowie der Waldbau in unnatürlichen Monokulturen setzen dem Wald seit Jahrzehnten schwer zu. Die starke Borkenkäfervermehrung, die ein Teil der Bevölkerung der Nationalparkverwaltung ankreidet, ist schlicht menschengemacht.
Das Leben der Borkenkäfer
Eiablage
Borkenkäferweibchen bohren sich unter die Borke von Bäumen und legen dort in sogenannten Brutgängen bis zu 50 Eier ab.
Larven
Die Larven fressen sich in der Borke von links nach rechts und unterbrechen so die Saftzufuhr von den Wurzeln zur Krone, also die Nahrungszufuhr des Baumes.
Käfer
An die 40.000 Käfer können nach der mehrwöchigen Entwicklungsphase den Baum verlassen und sich weiter ausbreiten.
Der Borkenkäfer macht unter diesen Voraussetzungen dasselbe wie seit Tausenden von Jahren: Besser als jeder Förster erkennt er kranke Bäume, befällt sie, tötet sie ab und führt sie so dem natürlichen Kreislauf von Werden und Vergehen zu. Die toten Bäume sind Lebensraum vieler Tier- und Pilzarten, die gefallenen Stämme ein ideales Nährbett für neue Waldgenerationen; zudem bieten sie den nachwachsenden Bäumchen Schutz vor Wildverbiss.
Was auf dem Gebiet des Nationalparks geschah und auch heute noch geschieht, ist in der Natur ein vollkommen normaler Prozess. Der Wald stirbt nicht durch den Borkenkäferbefall. Im Gegenteil: Der Borkenkäfer bereitet auf natürliche Weise den Weg für einen neuen, an die gewandelten Verhältnisse angepassten, vielgestaltigen und stabilen Wald. Untersuchungen zur Artenvielfalt belegen für viele Artengruppen einen markanten Anstieg im Artenreichtum durch die vom Borkenkäfer geschaffenen Lebensraumbedingungen. Bemerkenswert ist dabei vor allem ein signifikanter Anstieg von in Bayern und deutschlandweit gefährdeten Rote Liste-Arten.
Schutz-, Entwicklungs- und Naturzone
Borkenkäfer-Massenvermehrungen ("Kalamitäten") sorgen dafür, dass der Wald sich regeneriert und wieder näher in Richtung Urwaldzustand entwickelt – schneller und nachhaltiger als es der Mensch je initiieren könnte. Das wird von Teilen der Bevölkerung nicht oder äußerst kritisch gesehen.
Die Nationalparkverwaltung nimmt diese Bedenken ernst und bekämpft die Käfer in einer rund 500 Meter breiten Randzone des Nationalparks, um die Ausbreitung in benachbarte Privatwälder zu verhindern. Auch in den Entwicklungszonen werden Windbrüche aufgearbeitet, das heißt, das liegende Holz aus dem Wald entfernt. Kein menschliches Eingreifen und mithin keine Borkenkäferbekämpfung gibt es in den Naturzonen des Nationalparks, die derzeit mehr als 75 Prozent des Gebietes ausmachen und von denen keine Gefahr für umliegende Wälder ausgeht.
Die Mehrheit der örtlichen Bevölkerung sieht den Nationalpark mit seiner dynamischen Waldentwicklung übrigens inzwischen eindeutig positiv, auch wegen seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung für die Region. Im Nationalpark-Altgebiet liegt die Zustimmung bei 88 Prozent, im Erweiterungsgebiet sind es immerhin 62 Prozent.