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Intakte Auen: natürlicher Hochwasserschutz für Bayern

Naturnahe Flüsse und Auen sind nicht nur „Hot Spots“ der Artenvielfalt, sie bieten uns auch einen hervorragenden ökologischen Hochwasserschutz.

Hochwasser an Flüssen und Bächen ist ein natürliches Phänomen. Es geht meist auf extreme Niederschläge zurück – doch immer ist auch der Mensch im Spiel. So haben wir in den letzten Jahrzehnten unsere Landschaft systematisch so umgebaut, dass sie „das Wasser nicht mehr halten kann“: Wasser wird systematisch durch den Ausbau von Entwässerungen und Drainagen aus der Landschaft abgeleitet. Immer mehr Fläche wurde versiegelt, der Boden durch intensive Landwirtschaft verdichtet und Wälder gerodet. Die meisten Flüsse haben wir mit Deichen verbaut, sie begradigt und gestaut und außerdem ihrer Auen beraubt. So verfügen die deutschen Flüsse heute nur noch über rund 20 Prozent ihrer früheren natürlichen Überschwemmungsfläche.

Wo aber das Land kein Wasser mehr aufnehmen kann, fließt immer mehr Niederschlagswasser immer schneller zu großen Hochwasserwellen zusammen. Spätestens in den großen Flüssen sammelt sich dann innerhalb kurzer Zeit so viel Wasser, dass die spärlichen Reste der früheren Überschwemmungsflächen nicht mehr ausreichen, um es aufzunehmen. Die Fließgewässer schwellen weiter an und wenn schließlich die Deiche brechen, kommt es zur Katastrophe. Das Hochwasser zerstört Hab und Gut, manchmal sogar Menschenleben.

Natürlicher Hochwasserschutz statt Bauwut

Bis heute ist die Wasserwirtschaft überwiegend auf immer höhere Dämme und den Bau von Flutpoldern fixiert. Doch höhere Deiche bieten den Anwohnern nur eine trügerische Sicherheit und verschärfen die Hochwassergefahr für jene, die weiter flussabwärts leben (Unterlieger). Sie ändern nichts an den Ursachen der Hochwasserprobleme. Flutpolder sollen sogar nur die Hochwasserspitzen bei Extremereignissen kappen, haben aber sonst keine Wirkung. Deiche können brechen, ein Flutpolder bei schlechter Steuerung nahezu wirkungslos sein. Weder Deiche noch Flutpolder reduzieren die Wassermenge, die in den Flüssen ankommt. Technischer Hochwasserschutz ist als Objektschutz wichtig, kann aber keinen flächigen Hochwasserschutz bieten. Vielmehr braucht es einen Paradigmenwechsel. Der BUND Naturschutz fordert deshalb seit langem einen natürlichen Hochwasserschutz. Vorrang müssen naturnahe Maßnahmen haben, die durch technische Maßnahmen ergänzt werden – und nicht umgekehrt. Doch was genau bedeutet natürlicher Hochwasserschutz?

  • Verbesserung des Wasserrückhalts im Einzugsgebiet durch eine regenspeichernde Landbewirtschaftung, die die Porenstruktur und Versickerungsfähigkeit des Bodens erhält, beispielsweise durch Sicherung von dauerhaftem Bewuchs (Untersaat), Sicherung von Wiesen (Wasserabfluss von Wiesen ist nachweislich langsamer und geringer als von Äckern), Schaffung von Strukturen, vor allem quer zum Hang, Erhaltung und Verstärkung natürlicher Muldenstrukturen und Wälder.
  • Erhöhung der Wasserspeicherfähigkeit von entwässerten Mooren durch Renaturierung.
  • Verlangsamung des Abflusses an den zahlreichen kleinen Gewässern durch Renaturierung und Wiederherstellung ehemaliger Flussschleifen und durch Aktivitäten des Bibers.
  • Die Errichtung von Deichen am Fluss hat aus Breitwasser Hochwasser gemacht und es beschleunigt zu den Unterliegern geschickt. Das Motto muss deshalb lauten: Breitwasser statt Hochwasser. Das heißt Wiederanbindung von Auen an den Fluss, indem Deiche weiter landeinwärts an den Rand der Aue verlegt werden.
  • Versiegelung von Böden durch Bebauung reduzieren.

Die Wirksamkeit all dieser Maßnahmen ist nachgewiesen. Wenn sie einzeln keinen Schutz vor einem 100-jährigen Hochwasser bringen, müssen sie kombiniert und in der Summe berechnet werden. Wenn die Summe der möglichen natürlichen Maßnahmen im Einzugsgebiet nicht ausreicht für den Schutz von gefährdeten Siedlungen, sind technische Maßnahmen zur Ergänzung einzusetzen.

Bayern vertagt den ökologischen Hochwasserschutz

Das „Problem“ dieser Maßnahmen: Sie brauchen Fläche und die Bereitschaft vieler Einzelner. Doch der bayerische Hochwasserschutz fängt quasi „hinten“ an. Bei der Umsetzung des bayerischen „Aktionsprogramms Hochwasserschutz 2020“, das 2013 erweitert wurde auf das „Aktionsprogramm 2020plus“ setzte die Politik vor allem auf technische Maßnahmen. Dagegen wurden von 2000 bis 2014 nur 55 Kilometer Deiche zurückverlegt und nur 25 Millionen Kubikmeter neue Überschwemmungsflächen (Retentionsraum) gewonnen. Nach Angaben des bayerischen Umweltministeriums wurden bislang 924 Kilometer Gewässer in Bayern renaturiert und nur rund 1.883 Hektar Auenfläche.

Der Schwerpunkt der Umsetzung liegt derzeit auf dem „bayerischen Flutpolder-Konzept“, für das  mit einer „Dialogreihe“ entlang der Donau geworben wird. Begründet wird es mit dem nötigen Hochwasserschutz für Passau – dabei haben Fachleute schon lange ausgerechnet, dass es für Passau entscheidend ist, die gefährliche Überlagerung von Inn und Donau zu vermeiden. Dazu muss vor allem die durch den Flussausbau und Deichbau beschleunigte Hochwasserwelle der Donau wieder verlangsamt werden. Das wird durch Renaturierung, Deichrückverlegung und besseren natürlichen Rückhalt in der Landschaft erreicht, nicht jedoch durch Polder. Das bayerische Flutpolder-Konzept ist ein auf Extrem-Hochwasserereignisse reduziertes technisches Konzept, das nichts an den Ursachen der Hochwasserprobleme ändern wird. Zwar werden derzeit auch die Potenziale von Auen für den Wasserrückhalt untersucht, und seit 2014 läuft zudem das Forschungsvorhaben „Dezentraler natürlicher Rückhalt in Bayern“, es fehlt jedoch eine Gesamtbetrachtung, wie sich eine Vielzahl von natürlichen Wasserrückhalte-Maßnahmen im Einzugsgebiet auf den Abfluss an größeren Flüssen auswirken und dort den Umfang technischer Maßnahmen (auch der Polder) reduzieren kann.

Gute Beispiele

Beispielhaft für die Reaktivierung natürlicher Wasserrückhalteräume sind die zum Teil schon durchgeführten Deichrückverlegungen an der Mittleren Isar. Der Auwald zwischen München und Freising hat 2005 das Hochwasser spürbar verzögert. Mit einer Deichrückverlegung gewinnen der natürliche Hochwasserschutz und die Aue, die auf den Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser angewiesen ist. Die natürliche Überflutung von Auen entschärft also die Hochwassergefahren für die Menschen und belebt die Lebensräume der Aue.

Ein Musterbeispiel für dezentralen Hochwasserschutz ist auch das BN-Talauenprojekt im Südlichen Steigerwald. Auslöser für das von Rudolf Kolerus, damals Vorsitzender der BN-Ortsgruppe Scheinfeld, initiierte Talauenprojekt waren die starken Hochwässer 1993 und 1995, die ganze Tallandschaften überfluteten und gescheiterte Renaturierungsversuche. Es entwickelte sich ein landesweit einmaliges Gemeinschaftsprojekt von Kommunen, Amt für Ländliche Entwicklung Ansbach, Wasserwirtschaftsamt Ans-bach, Landschaftspflegeverband Mittelfranken, Landwirten und BN für dezentralen Hochwasserschutz, Renaturierung von Fließgewässern, sanften Tourismus und regionale Wirtschaftskreisläufe. Es wurde ein System von landschaftsangepassten Grünbecken angelegt, die die Gemeinden heute bei Starkregen vor Überschwemmungen schützen. Nach Auffassung von Hubert Weiger, Ehrenvorsitzender des BN, „braucht jede bayerische Kommune derartige Wasserrückhaltung im Oberlauf der Gewässer. Der Klimawandel führt zur Verschärfung der Hochwassersituation und zu häufigeren Starkregen. Neben mehr Platz für Hochwässer durch Deichrückverlegung an den großen Flüssen braucht der Hochwasserschutz in Bayern dringend ein dichtes Netz dezentraler Wasserrückhaltung bereits im Oberlauf der kleinen Bäche und Flüsse!“ Das Talauenprojekt Steigerwald ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie Hochwasserschutz und Renaturierung zum Wohl von Mensch und Natur verknüpft werden können.